Bad Goisern: „COUNTER & STRINGS 3.0“ – Konzert in der evangelischen Pfarrkirche, 15. 02.2024 im Rahmen von Salzkammergut 24 & Festwochen Gmunden
Alois Mühlbacher, Countertenor, Spring String Quartet
Die Evangelische Pfarrkirche in Bad Goisern. Foto: Petra und Helmut Huber
Der aus Hinterstoder stammende Countertenor begann seine Karriere als St. Florianer Sängerknabe und ist inzwischen weltweit gefragt – sei es die Mailänder Scala, die bekanntesten Originalklangorchester, um Ostern Matthäuspassion in Wien und Los Angeles… Außerdem leitet er nun das Barockfestival St. Pölten
Das 27jährige Linzer Quartett aus Christian Wirth und Marcus Wall, Violinen, Julian Gillesberger, Viola und Stephan Punderlitschek, Violoncello läßt sich als „eines der führenden Jazz-Rock-Classical-Crossover-Streichquartette Europas“ bezeichnen (was natürlich extreme bis unkonventionelle Spieltechniken einschließt). Zusammenarbeit mit Lee Konitz, Konstantin Wecker, Angelika Kirchschlager oder Herbert Lippert belegt dies ebenso wie weltweite Konzerttätigkeit, bis hin zur Carnegie Hall. Seit 2020 konzertiert man immer wieder auch mit Alois Mühlbacher, macht Aufnahmen – eine besonders gelungene als Queen-Cover Don´t Stop Me Now – Alois Mühlbacher/Spring String Quartet – YouTube.
Im Rahmen der Kulturhauptstadtjahr-Idee „Hausmusik-Roas“ von Franz Welser-Möst konnte diese Kombination auch für einen Auftritt im Salzkammergut gewonnen werden. Die 210 Jahre alte Kirche bietet geschätzt 400 Sitzplätze und eine erstklassige, transparente, intime Akustik – wahrscheinlich auf die klassische Schuhschachtelform dieses Gotteshauses mit flachem Plafond zurückzuführen und damit Erbe der seinerzeitigen architektonischen Beschränkungen für Kirchen der „Protestanten“, das sich jetzt als Vorteil entpuppt.
Der Innenraum der Kirche. Foto: Petra und Helmut Huber
Jedenfalls ist das, bis auf den Cellisten, im Stehen vor dem Altar spielende Ensemble bis in die hintersten Reihen in allen Details zu hören, und die ebenso samtige wie tragfähige Stimme von Herrn Mühlbacher sowieso. Nur das Mikrophon für die zwischen Sänger und Musikern abwechselnde und in jedem Fall humorvolle Moderation schwächelt in der zweiten Hälfte des samt Zugaben pausenlosen, gut 100 Minuten langen Abends etwas…
Die bunte Selbstdefinition des Quartetts, mit ein paar Akzenten auf den 200. Geburtstag von Anton Bruckner, findet sich auch klar im Programmablauf, der unter dem Motto „Feuer und Eis“ steht – zwei physikalische Zustände, die einander vernichten können, sich aber auch metaphorisch für viele menschliche Gefühlszustände eignen, etwa auch für die eisige Ablehnung, die Bruckners ungelenke Heiratsanträge erfuhren („wenn die Mädels gwußt hättn, daß der Antragsteller noch in 200 Jahr gfeiert wird, hättens vielleicht anders reagiert…“):
Epitaph/King Krimson, ein paar Takte Volksmusik, dann schreitet Alois Mühlbacher singend durch den Mittelgang nach vorne – „Fammi combattere“ aus Händels „Orlando“ und verblüfft das Publikum mit seiner Stimmqualität gleich einmal. Dann folgt ein Steiermärker (Tanz) von Anton Bruckner, und von selbigem aus dem Streichquartett in c-moll das Scherzo. Es folgen tief empfundene, atmosphärische Spätromantik – Hugo Wolfs Vertonung von J. v. Eichendorffs „Der Musikant“ – und darauf ein humorvoll dekonstruierendes Stück zwischen Frühbarock und Moderne: „Thin Ice“ von Danny Seidenberg, eine Paraphase auf Antonio Vivaldis „L‘inverno“ aus den „Quattro stagioni“.
Dann der erste Schlager des Abends: „What power art thou“ aus Henry Purcells „King Arthur“, vor fast 45 Jahren von Klaus Nomi als „Cold Song“ zum Pop-hit gemacht – Mühlbacher läßt uns trotz oder gerade wegen seines wunderbaren Gesanges frieren und das Streichquartett Klangfülle und Farbenreichtum wie ein ganzes Barockorchester hören.
Kurz durchgeatmet mit „Texas Rain“, erneut von Seidenberg, dann ein „Ave Maria“ von Anton Bruckner, sein drittes, WAB 7, 1882 für eine Sängerin aus Wels komponiert, die eine tessitura von zwei Oktaven hatte, und in deren stimmliche Fußstapfen der Countertenor ebenso (scheinbar) mühelos steigt wie das Quartett den ursprünglich komponierten Klavier/Harmonium-Part übernimmt.
Nochmals ein buntes Instrumentalstück von Seidenberg, „Snow What?“, bevor mit „Ombra mai fu“ aus „Serse“ von G. F. Händel einer der größten Hits der Barockmusik den Schatten einer Platane als Rettung vor dem Feuer der Sonne lobt und Mühlbacher mit dem SSQ für die stimmungsgeladene und gefühlvolle Gestaltung einen Begeisterungssturm kassiert. Aber es geht noch mehr: mit Matthias Claudius‘ und Franz Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ läßt der Countertenor auch mit der Rollenverteilung in diesem Lied seine „zweite“ Stimme, einen vorzüglichen lyrischen Bariton, hören – natürlich ebenso mit großem Applaus quittiert.
Wieder eine kurze Erholungsphase für den Sänger, derweil das Quartett eine interessante Version von Joni Mitchells „Night Ride Home“ hören läßt. Und dann noch eine vokale Überraschung: Die „Kittlfaltn“ von Roland Josef Leopold Neuwirth wird von Mühlbacher im Duett mit Christian Wirth gesungen, und der „fremdgehende“ Geiger macht seine Sache (unverstärkt!) ganz und gar nicht schlecht, um nicht gar zu sagen: ein wunderbar homogenes und ausgewogenes Duett, um keinen Deut schlechter als das gefühlvolle Extremschrammel-Orignal mit RJLN und Doris Windhager! Beim Volkslied „Da Meran Lula“ legt auch noch der Bratschist sein Instrument zur Seite, und so singt ein putzmunteres Terzett zur Pizzicato-Begleitung der Herren Wall und Punderlitschek.
„Be Cool“ von Joni Mitchell gerät ein bisserl sehr cool, um nicht zu sagen, hängt etwas durch – aber das ist zu verschmerzen, denn es folgt mit Bruce Springsteens „Fire“ ein erneuter Höhepunkt an begeisternder stimmlicher wie instrumentaler Neugestaltung eines modernen Klassikers; und traurig, daß das der Prof. DDDr. Kurt Ostbahn nimmer hören kann – als großartiger Musiker hätte er diese Version ebenso geliebt wie das Publikum in Bad Goisern!
Alois Mühlbacher, Countertenor, Spring String Quartet. Foto: Petra und Helmut Huber
Und es geht ebenso hervorragend ins Finale: Bei „I Want to Break Free“ von John Deacon, dem Bassisten von „Queen“, taucht Herr Mühlbacher voll in die exaltierte Bühnenpersönlichkeit von Freddie Mercury ein. Dann darf er für die witzige mariage vom Scherzo aus Bruckners IX. mit „Burn“ von Deep Purple noch etwas verschnaufen, bevor er sich mit „Heast as ned?“ von Hubert von Goisern und Wolfgang Staribacher am genius loci vergreift… und, wir trauen uns es fast nicht zu schreiben: diese Interpretation gefällt uns um einiges besser als das Original – mehr Spannung, mehr Hintergrund, tiefere Gedanken.
Der Saal dürfte das ähnlich empfunden haben: tobende Begeisterung, standing ovation, also natürlich Draufgaben – drei werden es: „Venti, turbini, prestate“ („Rinaldo“, G. F. Händel), eine Versammlung von Gstanzln, bis hin zum „Hiatamadl“, delikat und virtuos vom Quartett mit Bossa Nova und diversen Jazz-Stilen gewürzt, und „Wandrers Nachtlied“ von J. W. Goethe in der Vertonung von Franz Schubert als nun wirklich endgültiger Schlußpunkt eines begeisternden Abends – eine Weltspitzenstimme mit fantasievoller instrumentaler Partnerschaft im intimen, fast familiären, also hausmusikalischen Rahmen!
Petra und Helmut Huber