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AXEL RANISCH: Ich lebe und liebe was ich tue

Mavra/Iolanta an der Bayerischen Staatsoper

Axel Ranisch: Ich lebe und liebe was ich tue

Mavra/Iolanta an der Bayerischen Staatsoper (15.4.2019)

 
Mit ©Adelina Yefimenko im Gespräch. Foto: Wilfried Hösl

 

Nach dem riesigen Erfolg mit „Orlando Paladino“ (Opernfestspiele der Bayerischen Staatsoper 2018) und „Liebe zu drei Orangen“ an der Oper Stuttgart kehrte Axel Ranisch auf die Bühne des CuvilliésTheaters mit der Neuproduktion der „Doppel“-Oper Mavra/Iolanta nach München zurück. Sein Experiment mit den Sängern des Opernstudios zwei Opern von Strawinsky und Tschajkowskij zu verknüpfen ist exzellent gelungen.

Der konventionelle Weg war aber für den kreativen Geist Axel Ranisch zu einfach. Im Bewusstsein, zwei Einakter mit einem oder mehreren gemeinsamen Leitgedanken an einem Abend zu spielen, was eigentlich zur alten Aufführungstradition des Operngeschäfts gehört, hat Axel Ranisch das fast „Unmögliche“ gewagt. Die zwei Handlungen wurden nicht nacheinander, sondern miteinander gespielt. In dieser neuen Leseart beider Opern wurden Strawinskys „Mavra“ zum Puppentheater, in dem Iolanta (sitzend am Fenster im imaginären Häuschen wie in einem goldenen Käfig) die Aufführung selbst erfindet und gestaltet. Iolanta wird zur Regisseurin, dabei kann und will sie nicht (wie auch Axel Ranisch) das Theater und Privatleben trennen. Sie spielt mit ihren kleinen Puppen, während die Pupen lebendig auf der Bühne mit riesigen künstlichen Köpfen von jungen Sängern mit viel Humor und gefeiertem stimmlichen Können gespielt und gesungen werden (Parascha – Anna El-Khashem, ihr Liebhaber Wassili – Freddie De Tomaso, ihre Mutter – Noa Beinart und ihre Nachbarin – Natalia Kutateladze). Die vier Darsteller in Strawinskys „Mavra“, die das Volks- und Puppentheater, einer Varieté-Tradition ähnlich, nachahmen, begleitet das kleine Extra-Orchester. Ebenfalls stellen Musiker (Blechbläser mit Celli Bassi, Violino I, Violino II, Viola) ein Hof-Orchester auf der Bühne dar. Ihre den Moden der Mozartzeit nachempfundenen Kostüme und Perücken erinnern gleichfalls an eine gemeinsame Quelle für beide Komponisten und für Axel Ranisch selber – Mozarts Musik. Damit sind auch die stilistischen Kontraste zwischen Strawinskys Parodie und Tschajkowskijs Spätromantik topographisch clever voneinander getrennt.

Dabei verweist alles, was auf der Bühne passiert, deutlich daraufhin, dass Iolanta – eine blind geborene Tochter des Königs Rene, nie das Licht sehend, nachdenklich singend „Mir fehlt etwas, aber ich weiß nicht was“, das Sehen und Licht eigentlich nicht fehlt, sondern die alltägliche menschliche Liebe.

Einmal sagte Axel Ranisch über sich folgendes: „Ich lebe und liebe was ich tue“. Und das wichtigste dabei ist für ihn der Familienzusammenhalt. Das nächste – „Ich hasse Hierarchien und Abhängigkeiten“. Seine Genialität nimmt er nicht wahr, aber sie erscheint in den exzellenten Ideen seiner Filme, Operninszenierungen und in seinem herzlichen Zusammensein mit ihm nahestehenden Menschen – Familienmitglieder, Freunde, zu denen Axel Ranisch auch alle Mitwirkende jeder seiner Produktionen zählt. Allen diesen Mitmenschen „kann er blind vertrauen“.

Das kann aber die Iolanta (Miriam Mesak) Tschajkowskijs nicht. Das konnte auch nicht der Prinz (Elmar Gilbertsson) Prokofiews aus Ranischs „Liebe zu drei Orangen“, der von der Realität ins Computer-Spiel versank. Die Vater-Figur (König Rene: Markus Suihkonen) bleibt für Iolanta nicht vertrauenswürdig. Fremde sind auch der arabische Arzt Ibn-Hackia (Oğulcan Yılmaz), Iolantas Begleiterinnen Marta, Brigitte, Laura, ganz zu schweigen von der bösen Gestalt der Patriarchin (Nora Bollmann), die Axel Ranisch in den Rollstuhl verbannt. Iolanta, die sich absolut einsam in ihre Puppenwelt verschließt, wird aber das Vertrauen, die Liebe und das Zusammensein lernen, wenn sie sich in Ritter Vaudémont (Long Long) verliebt. In Tschaikowskiys Oper handelt es um die wundersame Heilung Iolantas als Metapher des mystischen Weges ihrer Seele zu Gott. Und wie das Axel Ranisch in seiner neuen, aus seiner eigenen Erfahrung erfundenen Geschichte gestaltet, welche besonderen Herausforderungen die Inszenierung beider Opern an ihn stellte, ist der Regisseur bereit in unserem Gespräch zu verraten.

 

Adelina Yefimenko: Lieber Axel, erstmal eine ganz konstruktive Frage. Die Berührungspunkte von Tschaikowskis und Strawinskys Opern zu finden sind nicht neu. An der Oper Frankfurt fand dieses Jahr eine kontroverse Verbindung von „Ödipus Rex“ und „Iolanta“ in der Neuproduktion von Lydia Steier statt. Interessant ist aber, dass genau die „Mavra“ als „Grenz-Werk“ zwischen den „russischen“ und den „neoklassischen“ Perioden in Strawinskys Gesamtwerk die erste Oper wurde, in der der Komponist seine Annäherung an Tschaikowskis Musik und seine letzte Oper „Iolanta“ manifestieren wollte. Dein mutiger Versuch (von Opernexperten von „frech“ bis „unverschämt“ genannt und trotzdem gelobt), die Opern-Partituren „Mavra“ und „Iolanta“ zu zerschneiden und dann zusammen „mit neuem Faden“ zu nähen, wirkte konzeptuell schön durchgedacht und schön strukturiert. Der Begriff „durcheinander“, den ich auch in einer Premierenkritik gelesen habe übersieht die transparente Struktur Deiner Inszenierung. Wie entstanden die ersten Impulse solcher Lesart und wie hast du danach zusammen mit der Dirigentin Alevtina Joffe den ersten Grundstein gelegt, um aus diesen zwei stilistisch absolut gegenseitigen Musikwelten ein unglaublich organisches Häuschen einer „Doppel“-Oper Mavra/Iolanta zu bauen?

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Axel Ranisch. Foto: dennis Paul

Axel Ranisch: Zunächst stand eine ganz praktische Überlegung hinter der Auswahl beider Werke. Alle zwölf Mitglieder des Opernstudios sollten eine passende Rolle bekommen, die ihnen die Möglichkeit bietet, möglichst viele Facetten ihres Talentes unter Beweis zu stellen. „Iolanta“ stand früh fest, irgendwann kam „Mavra“ dazu. Als ich die Anfrage erhielt, die Regie für diesen Abend zu übernehmen, war die Kombination beider Werke bereits gesetzt. Nur wie und in welcher Reihenfolge blieb mir überlassen. Also begann ich die Partituren zu studieren. Iolanta kannte ich bereits durch Anna Netrebko und von einer Inszenierung aus Lyon. Auch die düstere Inszenierung von Lydia Steier fiel gerade in die Vorbereitungszeit und beeindruckte mich sehr. Ich muss kurz voranschicken, dass es keinen Komponisten gibt, der mir näher wäre und mir mehr aus dem Herzen spricht, als Tschaikowski. Ich fühle mich ihm seelenverwandt. Und in keiner anderen Oper kommt das allgegenwärtige Leid seiner gebrochenen Seele und die fast hysterische Sehnsucht nach Erlösung so stark zum Ausdruck, wie in „Iolanta“. Ich glaube, dass sich Tschaikowski mit Iolanta identifiziert hat. Und genau das tue ich auch. Ich sehe in ihr eine junge Frau voller Verlangen, das sie nicht ausleben kann. Sie ist kein Kind mehr. Weder ihr Vater, noch ihre Amme können sie länger belügen. Sie fühlt, dass sie anders ist, kann es aber nicht belegen, weil sie niemanden hat, dem sie sich anvertrauen kann. Aus einer Knospe wächst eine Blüte; aus einer Larve schlüpft ein Schmetterling. Im Käfig aber kann er nicht fliegen. Tschaikowski baut seine Partitur wie einen Eisberg. Nur die Spitze ragt heraus. Der emotionale Vulkanismus im Inneren der Figuren bleibt hinter einem verklärten, undurchsichtigen Vorhang verborgen. Strawinskys „Mavra“ ist das komplette Gegenteil: Wild, expressiv, direkt, laut, anzüglich, erotisch und komisch. Die Figuren sind viel karikakaturartiger angelegt. Die Liebe zwischen Parascha und ihrem Husaren Wassili ist nicht zart, sonder deftig, der Humor pubertär.

Ich weiß nicht mehr ob ich in der Badewanne lag (gute Ideen kommen mir oft in der Badewanne), oder im Zug saß, aber plötzlich war mir vollkommen klar, dass die holzschnittartigen Figuren Strawinskys die Puppen in Iolantas Spielzimmer sein müssen. Sie selbst ist es, die sich all die pubertären Späße ausdenkt. Anhand ihrer Spiele lässt sich ablesen, wie wenig Kind sie noch ist und wie faustdick sie es inzwischen hinter den Ohren hat. Eine solche Idee bedeutet aber auch, dass sich das Puppenspiel kontinuierlich weiterentwickeln muss und das geht nicht, ohne die Handlungen der beiden Opern zu einer gemeinsamen zu verschmelzen.

Im Oktober traf ich in Moskau, ein wenig nervös, aber von meinem Dramaturgen Nikolaus Stenitzer ermutigt, die Dirigentin Alevtina Ioffe, um ihr von meiner gewagten Idee zu berichten – schließlich trifft man die Entscheidung für einen derartigen Eingriff nicht allein. Glücklicherweise war Alevtina Feuer und Flamme für die Idee und so bastelten wir gemeinsam an einer musikalisch klugen Aufteilung der Stücke. Wir legten fest, dass der Abend mit Tschaikowskis Ouvertüre beginnen sollte, dass wir „Iolanta“ in zwei Akte aufteilen (vor und nach Vaudemont) und „Mavra“ als Prolog, Intermezzo und Epilog ins Stück integrieren. Unser Dramaturg regte uns zu der Idee an, zwei unterschiedliche Orchester zu benutzen und das kleine kammermusikalisch besetzte Orchester für „Mavra“ als Teil der Handlung auf die Bühne zu setzen. So entstand die Architektur der Inszenierung.

 

Adelina Yefimenko: Tschajkowskij nannte seine Oper „Iolanta“ „das Vaterland des Lichtes“. Das Licht war auch das sakrale Symbol der traditionellen Inszenierungen von „Iolanta“ als Opern-Mysterium. Die Hauptdarstellerin wird wie eine Heilige wahrgenommen. Sie äußert ihr Credo an den Ritter „um Gott für immer zu preisen, brauche ich kein Licht: Gottes Güte ist unendlich und hat keine Grenzen“ usw. Im visuellen Raum der Bühnenbilder wurde sogar die sakrale Architektur präsent. Die letzte Chor-Apotheose bildet dabei ein konzeptuelles Ergebnis, das sich von der literarischen Quelle des lyrischen Dramas Heinrich Herz „König Rene`s Tochter“ stark unterscheidet. Iolanta überwindet nicht ihre Krankheit oder ihre Erlangung der irdischen Liebe, sondern erkennt die Gnade Gottes, damit sie das Licht und die sichtbare Welt als „Quelle der Schöpfung“ erkennt. Was bedeutet das Licht, bzw. Licht-Symbol in Deiner Inszenierung?

 

Axel Ranisch: Ich glaube, dass sich Tschaikowski so sehr Erlösung wünschte und Absolution, dass er bereit war, all sein Sehnen durch Gottesfürchtigkeit zu ersetzen. Zumindest tut Iolanta das stellvertretend für ihn, in dem sie die Gabe des Lichts als Gnade Gottes, zur Verherrlichung der Schöpfung begreift. Ich glaube aber, dass Gott noch ein Stück größer ist. Das Licht, dass er uns schenkt, ist die Liebe, die uns selbst zum leuchten bringt. Deshalb endet meine Inszenierung etwas anders als üblich: Iolanta erklärt Vaudemont, dass sie kein Licht braucht, um Gottes Schöpfung preisen zu können. Zunächst begreift er nicht, was sie meint. Doch als er erkennt, dass Iolanta, um sein Leben zu retten, die eigene Heilung vortäuscht, versteht er die Bedeutung ihrer Worte und blendet sich selbst. Was offensichtlich blutrüstig erscheint, ist ein selbstloser Vertrauensbeweis. Denn ohne Augenlicht leuchtet die Liebe Gottes in beiden noch viel heller. Und so wird es in der größten Apotheose plötzlich dunkel auf der Bühne.

 

Adelina Yefimenko: Tschajkowskij stellt das Mysterium des Lichtes als diametral entgegengesetzten Weg zu den transzendentalen Mysterien des irdischen Lebens dar. Die Sehnsucht nach der irdischen Liebe löst sich durch Iolantas Gefühle zum Ritter Vaudémont auf. Die Liebe sollte in der letzten Oper Tschaikowskys ihre Blindheit heilen. Gleichfalls deutet ihre Liebe Schritt für Schritt einen geistigen Aufstieg. Die Offenbarung der Liebe Gottes einerseits und die Liebe als Pfad des irdischen Lebens? Welche Kraft und welchen Sinn offenbart diese Liebe nach Deiner Deutung von Mavra/Iolanta? Sind dabei die Unterschiede zwischen trivialer und romantischer, bzw. geistlicher Liebe wichtig?

 

Axel Ranisch: Oh ja. Für die triviale Liebe stehen stellvertretend Parascha und Wassili, die in Iolantas Puppenspiel nie voneinander lassen können. Es sind verspielte, naive, primitive, aber zum größten Teil theoretische Gelüste. In dem Moment, wo mit Vaudemont ganz praktisch die Liebe Einzug in Iolantas Leben hält, wird die Sache komplexer und komplizierter. Ihre romantische, beinahe platonische Liebe, erfüllt von Sehnsucht und sicher auch von Projektion, schenkt ihnen die fast übermenschliche Kraft, im Finale der Oper so zu handeln, wie eben beschrieben. Es widerstrebt mir allerdings, so weit zu gehen und die geistliche Liebe Iolantas zu Gott über die Liebe zu Vaudemont zu stellen, weil für mich die Liebe der beiden mit der Liebe Gottes gleichzusetzen ist. Im Epilog, nach der Apotheose, geschieht statt dessen etwas anderes, wunderbares mit Iolanta und Vaudemont: Durch ihre Liebestaten, durch die Blindheit beider, verbinden sie sich, verdeutlicht durch das Wechselspiel mit den Puppen, zu einem gemeinsam fühlenden und denkenden Ganzen, welches, so hoffe ich, gleichermaßen zu einer geistigen, romantischen, als auch trivialen Liebe fähig ist.

 

Adelina Yefimenko: Iolanta heilt ihre Sehnsüchte nicht nur mit dem Puppenspiel, sondern sie sucht im idyllischen königlichen Garten ihres Vaters den Kontakt mit den irdischen (Blumen) und der spirituellen (Engel) Substanz. Diesen Kontakt sucht sie nicht bei der Familie, beim Vater. Weil sie kein Vertrauen hat? Einmal hast du gesagt, dass du nicht an das Gute und Böse glaubst. Trotzdem merkt man die Anwesenheit des Bösen in dieser Geschichte. Was (wer) sind Deiner Meinung nach die Bösen für Iolante?

 

Axel Ranisch: Ich glaube fest daran, dass sich das Böse nicht in einer Person versammelt, sondern immer in jeder Figur enthalten ist. König René beispielsweise ist nicht böse, sondern unsicher. Er hat keine Frau mehr und nur eine Thronfolgerin gezeugt, und die ist nicht nur blind, sondern auch noch einem Ritter versprochen, der davon nichts weiß. Eine wirklich verfahrene Situation für einen Monarchen. Es ist nicht so, dass er Iolanta nicht liebt, vielmehr fühlt er ihren Makel als den eigenen und hasst sich selbst dafür. Ich habe ihm mit der Patriarchen eine Mutterfigur an die Seite gestellt, die sein mangelndes Selbstwertgefühl spiegelt.

 

Adelina Yefimenko: Die Vorahnung der verborgenen Geheimnisse macht die pastorale Welt Iolantas artifiziell, raffiniert und sie versinkt in der Faszination der Traumwelt, wie die leuchtenden Video-Projektionen des Gartens von Falko Herold. In Tschaikowskys Oper identifiziert man die Symbole des Schlafes und des Gartens mit dem Paradies in seiner göttlichen Schönheit. Was ist das Konzept des Gartens in Deiner „Doppel“-Oper?

 

Axel Ranisch: Für mich ist der Garten kein Paradies, sondern Zweck zur Selbstlüge. König René redet sich ein, dass er es seiner Tochter an nichts fehlen lässt und umgibt sie mit allerlei Annehmlichkeiten. In Wirklichkeit hält er sie gefangen. Das weiß er und nichts bedrückt ihn mehr, als diese Tatsache. Der Garten, die schönen Projektionen sind nichts als Schein, ein Pflaster auf den Wunden. Deshalb brechen diese Illusionen in unserer Inszenierung auch immer wieder in sich zusammen und offenbaren, wie in der Arie des Königs, das Innenleben der Figuren. Wenn zum Wiegenlied ein Chor von Sklavenmädchen singt, dann ist das an die Innenwand projizierte Aquarium mit den Fischen nur oberflächlich ein schönes und beruhigendes Bild. In Wirklichkeit verdeutlicht es die Gefangenschaft aller Mädchen und Iolanta selbst.

 

Adelina Yefimenko: In „Iolanta“ legte Tschaikowsky eine wichtige symbolische Bedeutung auf des Zeit des Geschehens. Die Oper beginnt am Morgen und endet mit den letzten Schimmern der Abenddämmerung. Das Wunder geschieht zusammen mit der Dämmerung. Was bedeutet für Dich diese Andeutung Tschaikowskys?

 

Axel Ranisch: So weit ich weiß, ist es genau andersherum. Beziehungsweise, habe ich es umgekehrt inszeniert. Die Oper beginnt am Abend. Iolanta wird singend zu Bett gebracht. Während sie schläft wird sie vom maurischen Arzt untersucht, bei Nacht dringen Vaudemont und Robert in ihr Verließ ein und die wundersame Heilung im Finale geschieht parallel zum Sonnenaufgang. Das macht natürlich Sinn, wenn man davon ausgeht, dass Iolanta ihr bisheriges Leben im Schatten verbracht hat.

 

Adelina Yefimenko: Iolantas „Geheimnis-Motiv“ erinnert an die neuen Interpretationen des „Lohengrin“-Frageverbotes als Freiheitsverbot. Das Motiv erscheint mindestens 20 Mal (absteigende Sekunden- und Quinten Motiven mit dem Tonika-Dreiklang). Nach der schockierenden Entdeckung ihres Geheimnisses leidet Iolanta genau so stark, wie Vaudémont über das Schicksal. Und dann erscheinen die Puppen auf die Vorderbühne. Diese Aktion löst aber nicht alle Geheimnisse und Leiden des Liebespaares Iolanta/ Vaudémont mit dem Rollen-Tausch auf: aus den Menschen werden Puppen, aus den Puppen Menschen. Welches Geheimnis steckt in einem solchem Schluss dieser „Doppel“-Oper?

 

Axel Ranisch: Das Ende ist offen. Es gibt kein Happy End und trotzdem bleibt ein Hoffnungsschimmer. Die beiden Paare müssen fliehen, um ihre Liebe zu leben und dann an einem vollkommen neuen Ort bei Null anfangen. Wie, wo und ob sie glücklich werden, dieses Geheimnis überlasse ich von ganzem Herzen der Fantasie jedes einzelnen Zuschauers.

 

Adelina Yefimenko: Ich glaube, Dein Regie-Konzept, beide Opern „Iolanta“ als Gleichnis, Mysterum und „Mavra“ als Varieté, Parodie zu verschmelzen, würde Ibn-Hackia gefallen. In seiner Arie manifestiert er die Spinoza-Philosophie in einem Satz, der die wichtigste Botschaft von Tschaikowsky und Strawinsky in einem Satz resümiert: „Zwei Welten – leibliche und geistige // In allen Phänomenen des Seins // Trennen wir bedingt voneinander, // da sie untrennbare Freunde sind“. Wie reihst Du Deine eigene Botschaft für das Publikum ein, das Deine Inszenierung erlebt.

 

Axel Ranisch: Ich würde gerne für einen ehrlichen Umgang der Menschen miteinander plädieren. Wenn wir etwas aus beiden Geschichten lernen können, dann, dass es uns nicht hilft, einander zu belügen, zu hintergehen, zu verheimlichen, zu intrigieren. Die Wahrheit ist immer der größte Vertrauensbeweis. Wahre Liebe hält das aus.

 

Adelina Yefimenko: man könnte als Vorbild dieser Inszenierung noch Richard Strauss nennen, der in „Ariadne auf Naxos“ mit dem Begriff „summo et unico loco“ spielt und seinen Hofmeister reden lässt: „die Tanzmaskerade wird weder als Nachspiel und Vorspiel aufgeführt, sondern mit dem Trauerstück Ariande gleichzeitig“. Ich glaube, nach Deinen vortrefflichen Operninszenierungen sollte man nach Joseph Haydn den Blick auf die Opern Mozarts werfen. Und nach Tschajkowsky und Strawinsky könnte man sich schon an die Opern von Richard Strauss wagen. Für die Inszenierung welcher dieser Opern würdest Du alle Deine aktuellen Projekten hinten anstellen?

 

Axel Ranisch: Also ganz ehrlich, an Mozart und Strauss traue ich mich nicht ran. Das gleiche gilt für Wagner und Beethoven. Allein die Vorstellung die Zauberflöte, Elektra, Parsifal oder Fidelio inszenieren zu müssen, treibt mir Schweißperlen auf die Stirn. Für Tschaikowski und Strawinsky, auch für Haydn, Britten oder Janacek hingegen lass ich alles stehen und liegen. Ein ganz großer Traum wären First Igor, die Chowanschtschina oder Sadko. Das russische Repertoire erfüllt mich mit unvorstellbarem Glück.

 

Adelina Yefimenko: Ganz ehrlich, ich lass alles stehen und liegen, um Deine neuen Inszenierungen zu erleben. Viel Inspiration und Erfolg wünsche ich Dir bei allen Deinen Projekten.

(15.4.2019)

 Mit ©Adelina Yefimenko im Gespräch

 

Nach dem riesigen Erfolg mit „Orlando Paladino“ (Opernfestspiele der Bayerischen Staatsoper 2018) und „Liebe zu drei Orangen“ an der Oper Stuttgart kehrte Axel Ranisch auf die Bühne des CuvilliésTheaters mit der Neuproduktion der „Doppel“-Oper Mavra/Iolanta nach München zurück. Sein Experiment mit den Sängern des Opernstudios zwei Opern von Strawinsky und Tschajkowskij zu verknüpfen ist exzellent gelungen.

Der konventionelle Weg war aber für den kreativen Geist Axel Ranisch zu einfach. Im Bewusstsein, zwei Einakter mit einem oder mehreren gemeinsamen Leitgedanken an einem Abend zu spielen, was eigentlich zur alten Aufführungstradition des Operngeschäfts gehört, hat Axel Ranisch das fast „Unmögliche“ gewagt. Die zwei Handlungen wurden nicht nacheinander, sondern miteinander gespielt. In dieser neuen Leseart beider Opern wurden Strawinskys „Mavra“ zum Puppentheater, in dem Iolanta (sitzend am Fenster im imaginären Häuschen wie in einem goldenen Käfig) die Aufführung selbst erfindet und gestaltet. Iolanta wird zur Regisseurin, dabei kann und will sie nicht (wie auch Axel Ranisch) das Theater und Privatleben trennen. Sie spielt mit ihren kleinen Puppen, während die Pupen lebendig auf der Bühne mit riesigen künstlichen Köpfen von jungen Sängern mit viel Humor und gefeiertem stimmlichen Können gespielt und gesungen werden (Parascha – Anna El-Khashem, ihr Liebhaber Wassili – Freddie De Tomaso, ihre Mutter – Noa Beinart und ihre Nachbarin – Natalia Kutateladze). Die vier Darsteller in Strawinskys „Mavra“, die das Volks- und Puppentheater, einer Varieté-Tradition ähnlich, nachahmen, begleitet das kleine Extra-Orchester. Ebenfalls stellen Musiker (Blechbläser mit Celli Bassi, Violino I, Violino II, Viola) ein Hof-Orchester auf der Bühne dar. Ihre den Moden der Mozartzeit nachempfundenen Kostüme und Perücken erinnern gleichfalls an eine gemeinsame Quelle für beide Komponisten und für Axel Ranisch selber – Mozarts Musik. Damit sind auch die stilistischen Kontraste zwischen Strawinskys Parodie und Tschajkowskijs Spätromantik topographisch clever voneinander getrennt.

Dabei verweist alles, was auf der Bühne passiert, deutlich daraufhin, dass Iolanta – eine blind geborene Tochter des Königs Rene, nie das Licht sehend, nachdenklich singend „Mir fehlt etwas, aber ich weiß nicht was“, das Sehen und Licht eigentlich nicht fehlt, sondern die alltägliche menschliche Liebe.

Einmal sagte Axel Ranisch über sich folgendes: „Ich lebe und liebe was ich tue“. Und das wichtigste dabei ist für ihn der Familienzusammenhalt. Das nächste – „Ich hasse Hierarchien und Abhängigkeiten“. Seine Genialität nimmt er nicht wahr, aber sie erscheint in den exzellenten Ideen seiner Filme, Operninszenierungen und in seinem herzlichen Zusammensein mit ihm nahestehenden Menschen – Familienmitglieder, Freunde, zu denen Axel Ranisch auch alle Mitwirkende jeder seiner Produktionen zählt. Allen diesen Mitmenschen „kann er blind vertrauen“.

Das kann aber die Iolanta (Miriam Mesak) Tschajkowskijs nicht. Das konnte auch nicht der Prinz (Elmar Gilbertsson) Prokofiews aus Ranischs „Liebe zu drei Orangen“, der von der Realität ins Computer-Spiel versank. Die Vater-Figur (König Rene: Markus Suihkonen) bleibt für Iolanta nicht vertrauenswürdig. Fremde sind auch der arabische Arzt Ibn-Hackia (Oğulcan Yılmaz), Iolantas Begleiterinnen Marta, Brigitte, Laura, ganz zu schweigen von der bösen Gestalt der Patriarchin (Nora Bollmann), die Axel Ranisch in den Rollstuhl verbannt. Iolanta, die sich absolut einsam in ihre Puppenwelt verschließt, wird aber das Vertrauen, die Liebe und das Zusammensein lernen, wenn sie sich in Ritter Vaudémont (Long Long) verliebt. In Tschaikowskiys Oper handelt es um die wundersame Heilung Iolantas als Metapher des mystischen Weges ihrer Seele zu Gott. Und wie das Axel Ranisch in seiner neuen, aus seiner eigenen Erfahrung erfundenen Geschichte gestaltet, welche besonderen Herausforderungen die Inszenierung beider Opern an ihn stellte, ist der Regisseur bereit in unserem Gespräch zu verraten.

 

Adelina Yefimenko: Lieber Axel, erstmal eine ganz konstruktive Frage. Die Berührungspunkte von Tschaikowskis und Strawinskys Opern zu finden sind nicht neu. An der Oper Frankfurt fand dieses Jahr eine kontroverse Verbindung von „Ödipus Rex“ und „Iolanta“ in der Neuproduktion von Lydia Steier statt. Interessant ist aber, dass genau die „Mavra“ als „Grenz-Werk“ zwischen den „russischen“ und den „neoklassischen“ Perioden in Strawinskys Gesamtwerk die erste Oper wurde, in der der Komponist seine Annäherung an Tschaikowskis Musik und seine letzte Oper „Iolanta“ manifestieren wollte. Dein mutiger Versuch (von Opernexperten von „frech“ bis „unverschämt“ genannt und trotzdem gelobt), die Opern-Partituren „Mavra“ und „Iolanta“ zu zerschneiden und dann zusammen „mit neuem Faden“ zu nähen, wirkte konzeptuell schön durchgedacht und schön strukturiert. Der Begriff „durcheinander“, den ich auch in einer Premierenkritik gelesen habe übersieht die transparente Struktur Deiner Inszenierung. Wie entstanden die ersten Impulse solcher Lesart und wie hast du danach zusammen mit der Dirigentin Alevtina Joffe den ersten Grundstein gelegt, um aus diesen zwei stilistisch absolut gegenseitigen Musikwelten ein unglaublich organisches Häuschen einer „Doppel“-Oper Mavra/Iolanta zu bauen?

 

Axel Ranisch: Zunächst stand eine ganz praktische Überlegung hinter der Auswahl beider Werke. Alle zwölf Mitglieder des Opernstudios sollten eine passende Rolle bekommen, die ihnen die Möglichkeit bietet, möglichst viele Facetten ihres Talentes unter Beweis zu stellen. „Iolanta“ stand früh fest, irgendwann kam „Mavra“ dazu. Als ich die Anfrage erhielt, die Regie für diesen Abend zu übernehmen, war die Kombination beider Werke bereits gesetzt. Nur wie und in welcher Reihenfolge blieb mir überlassen. Also begann ich die Partituren zu studieren. Iolanta kannte ich bereits durch Anna Netrebko und von einer Inszenierung aus Lyon. Auch die düstere Inszenierung von Lydia Steier fiel gerade in die Vorbereitungszeit und beeindruckte mich sehr. Ich muss kurz voranschicken, dass es keinen Komponisten gibt, der mir näher wäre und mir mehr aus dem Herzen spricht, als Tschaikowski. Ich fühle mich ihm seelenverwandt. Und in keiner anderen Oper kommt das allgegenwärtige Leid seiner gebrochenen Seele und die fast hysterische Sehnsucht nach Erlösung so stark zum Ausdruck, wie in „Iolanta“. Ich glaube, dass sich Tschaikowski mit Iolanta identifiziert hat. Und genau das tue ich auch. Ich sehe in ihr eine junge Frau voller Verlangen, das sie nicht ausleben kann. Sie ist kein Kind mehr. Weder ihr Vater, noch ihre Amme können sie länger belügen. Sie fühlt, dass sie anders ist, kann es aber nicht belegen, weil sie niemanden hat, dem sie sich anvertrauen kann. Aus einer Knospe wächst eine Blüte; aus einer Larve schlüpft ein Schmetterling. Im Käfig aber kann er nicht fliegen. Tschaikowski baut seine Partitur wie einen Eisberg. Nur die Spitze ragt heraus. Der emotionale Vulkanismus im Inneren der Figuren bleibt hinter einem verklärten, undurchsichtigen Vorhang verborgen. Strawinskys „Mavra“ ist das komplette Gegenteil: Wild, expressiv, direkt, laut, anzüglich, erotisch und komisch. Die Figuren sind viel karikakaturartiger angelegt. Die Liebe zwischen Parascha und ihrem Husaren Wassili ist nicht zart, sonder deftig, der Humor pubertär.

Ich weiß nicht mehr ob ich in der Badewanne lag (gute Ideen kommen mir oft in der Badewanne), oder im Zug saß, aber plötzlich war mir vollkommen klar, dass die holzschnittartigen Figuren Strawinskys die Puppen in Iolantas Spielzimmer sein müssen. Sie selbst ist es, die sich all die pubertären Späße ausdenkt. Anhand ihrer Spiele lässt sich ablesen, wie wenig Kind sie noch ist und wie faustdick sie es inzwischen hinter den Ohren hat. Eine solche Idee bedeutet aber auch, dass sich das Puppenspiel kontinuierlich weiterentwickeln muss und das geht nicht, ohne die Handlungen der beiden Opern zu einer gemeinsamen zu verschmelzen.

Im Oktober traf ich in Moskau, ein wenig nervös, aber von meinem Dramaturgen Nikolaus Stenitzer ermutigt, die Dirigentin Alevtina Ioffe, um ihr von meiner gewagten Idee zu berichten – schließlich trifft man die Entscheidung für einen derartigen Eingriff nicht allein. Glücklicherweise war Alevtina Feuer und Flamme für die Idee und so bastelten wir gemeinsam an einer musikalisch klugen Aufteilung der Stücke. Wir legten fest, dass der Abend mit Tschaikowskis Ouvertüre beginnen sollte, dass wir „Iolanta“ in zwei Akte aufteilen (vor und nach Vaudemont) und „Mavra“ als Prolog, Intermezzo und Epilog ins Stück integrieren. Unser Dramaturg regte uns zu der Idee an, zwei unterschiedliche Orchester zu benutzen und das kleine kammermusikalisch besetzte Orchester für „Mavra“ als Teil der Handlung auf die Bühne zu setzen. So entstand die Architektur der Inszenierung.

 

Adelina Yefimenko: Tschajkowskij nannte seine Oper „Iolanta“ „das Vaterland des Lichtes“. Das Licht war auch das sakrale Symbol der traditionellen Inszenierungen von „Iolanta“ als Opern-Mysterium. Die Hauptdarstellerin wird wie eine Heilige wahrgenommen. Sie äußert ihr Credo an den Ritter „um Gott für immer zu preisen, brauche ich kein Licht: Gottes Güte ist unendlich und hat keine Grenzen“ usw. Im visuellen Raum der Bühnenbilder wurde sogar die sakrale Architektur präsent. Die letzte Chor-Apotheose bildet dabei ein konzeptuelles Ergebnis, das sich von der literarischen Quelle des lyrischen Dramas Heinrich Herz „König Rene`s Tochter“ stark unterscheidet. Iolanta überwindet nicht ihre Krankheit oder ihre Erlangung der irdischen Liebe, sondern erkennt die Gnade Gottes, damit sie das Licht und die sichtbare Welt als „Quelle der Schöpfung“ erkennt. Was bedeutet das Licht, bzw. Licht-Symbol in Deiner Inszenierung?

 

Axel Ranisch: Ich glaube, dass sich Tschaikowski so sehr Erlösung wünschte und Absolution, dass er bereit war, all sein Sehnen durch Gottesfürchtigkeit zu ersetzen. Zumindest tut Iolanta das stellvertretend für ihn, in dem sie die Gabe des Lichts als Gnade Gottes, zur Verherrlichung der Schöpfung begreift. Ich glaube aber, dass Gott noch ein Stück größer ist. Das Licht, dass er uns schenkt, ist die Liebe, die uns selbst zum leuchten bringt. Deshalb endet meine Inszenierung etwas anders als üblich: Iolanta erklärt Vaudemont, dass sie kein Licht braucht, um Gottes Schöpfung preisen zu können. Zunächst begreift er nicht, was sie meint. Doch als er erkennt, dass Iolanta, um sein Leben zu retten, die eigene Heilung vortäuscht, versteht er die Bedeutung ihrer Worte und blendet sich selbst. Was offensichtlich blutrüstig erscheint, ist ein selbstloser Vertrauensbeweis. Denn ohne Augenlicht leuchtet die Liebe Gottes in beiden noch viel heller. Und so wird es in der größten Apotheose plötzlich dunkel auf der Bühne.

 

Adelina Yefimenko: Tschajkowskij stellt das Mysterium des Lichtes als diametral entgegengesetzten Weg zu den transzendentalen Mysterien des irdischen Lebens dar. Die Sehnsucht nach der irdischen Liebe löst sich durch Iolantas Gefühle zum Ritter Vaudémont auf. Die Liebe sollte in der letzten Oper Tschaikowskys ihre Blindheit heilen. Gleichfalls deutet ihre Liebe Schritt für Schritt einen geistigen Aufstieg. Die Offenbarung der Liebe Gottes einerseits und die Liebe als Pfad des irdischen Lebens? Welche Kraft und welchen Sinn offenbart diese Liebe nach Deiner Deutung von Mavra/Iolanta? Sind dabei die Unterschiede zwischen trivialer und romantischer, bzw. geistlicher Liebe wichtig?

 

Axel Ranisch: Oh ja. Für die triviale Liebe stehen stellvertretend Parascha und Wassili, die in Iolantas Puppenspiel nie voneinander lassen können. Es sind verspielte, naive, primitive, aber zum größten Teil theoretische Gelüste. In dem Moment, wo mit Vaudemont ganz praktisch die Liebe Einzug in Iolantas Leben hält, wird die Sache komplexer und komplizierter. Ihre romantische, beinahe platonische Liebe, erfüllt von Sehnsucht und sicher auch von Projektion, schenkt ihnen die fast übermenschliche Kraft, im Finale der Oper so zu handeln, wie eben beschrieben. Es widerstrebt mir allerdings, so weit zu gehen und die geistliche Liebe Iolantas zu Gott über die Liebe zu Vaudemont zu stellen, weil für mich die Liebe der beiden mit der Liebe Gottes gleichzusetzen ist. Im Epilog, nach der Apotheose, geschieht statt dessen etwas anderes, wunderbares mit Iolanta und Vaudemont: Durch ihre Liebestaten, durch die Blindheit beider, verbinden sie sich, verdeutlicht durch das Wechselspiel mit den Puppen, zu einem gemeinsam fühlenden und denkenden Ganzen, welches, so hoffe ich, gleichermaßen zu einer geistigen, romantischen, als auch trivialen Liebe fähig ist.

 

Adelina Yefimenko: Iolanta heilt ihre Sehnsüchte nicht nur mit dem Puppenspiel, sondern sie sucht im idyllischen königlichen Garten ihres Vaters den Kontakt mit den irdischen (Blumen) und der spirituellen (Engel) Substanz. Diesen Kontakt sucht sie nicht bei der Familie, beim Vater. Weil sie kein Vertrauen hat? Einmal hast du gesagt, dass du nicht an das Gute und Böse glaubst. Trotzdem merkt man die Anwesenheit des Bösen in dieser Geschichte. Was (wer) sind Deiner Meinung nach die Bösen für Iolante?

 

Axel Ranisch: Ich glaube fest daran, dass sich das Böse nicht in einer Person versammelt, sondern immer in jeder Figur enthalten ist. König René beispielsweise ist nicht böse, sondern unsicher. Er hat keine Frau mehr und nur eine Thronfolgerin gezeugt, und die ist nicht nur blind, sondern auch noch einem Ritter versprochen, der davon nichts weiß. Eine wirklich verfahrene Situation für einen Monarchen. Es ist nicht so, dass er Iolanta nicht liebt, vielmehr fühlt er ihren Makel als den eigenen und hasst sich selbst dafür. Ich habe ihm mit der Patriarchen eine Mutterfigur an die Seite gestellt, die sein mangelndes Selbstwertgefühl spiegelt.

 

Adelina Yefimenko: Die Vorahnung der verborgenen Geheimnisse macht die pastorale Welt Iolantas artifiziell, raffiniert und sie versinkt in der Faszination der Traumwelt, wie die leuchtenden Video-Projektionen des Gartens von Falko Herold. In Tschaikowskys Oper identifiziert man die Symbole des Schlafes und des Gartens mit dem Paradies in seiner göttlichen Schönheit. Was ist das Konzept des Gartens in Deiner „Doppel“-Oper?

 

Axel Ranisch: Für mich ist der Garten kein Paradies, sondern Zweck zur Selbstlüge. König René redet sich ein, dass er es seiner Tochter an nichts fehlen lässt und umgibt sie mit allerlei Annehmlichkeiten. In Wirklichkeit hält er sie gefangen. Das weiß er und nichts bedrückt ihn mehr, als diese Tatsache. Der Garten, die schönen Projektionen sind nichts als Schein, ein Pflaster auf den Wunden. Deshalb brechen diese Illusionen in unserer Inszenierung auch immer wieder in sich zusammen und offenbaren, wie in der Arie des Königs, das Innenleben der Figuren. Wenn zum Wiegenlied ein Chor von Sklavenmädchen singt, dann ist das an die Innenwand projizierte Aquarium mit den Fischen nur oberflächlich ein schönes und beruhigendes Bild. In Wirklichkeit verdeutlicht es die Gefangenschaft aller Mädchen und Iolanta selbst.

 

Adelina Yefimenko: In „Iolanta“ legte Tschaikowsky eine wichtige symbolische Bedeutung auf des Zeit des Geschehens. Die Oper beginnt am Morgen und endet mit den letzten Schimmern der Abenddämmerung. Das Wunder geschieht zusammen mit der Dämmerung. Was bedeutet für Dich diese Andeutung Tschaikowskys?

 

Axel Ranisch: So weit ich weiß, ist es genau andersherum. Beziehungsweise, habe ich es umgekehrt inszeniert. Die Oper beginnt am Abend. Iolanta wird singend zu Bett gebracht. Während sie schläft wird sie vom maurischen Arzt untersucht, bei Nacht dringen Vaudemont und Robert in ihr Verließ ein und die wundersame Heilung im Finale geschieht parallel zum Sonnenaufgang. Das macht natürlich Sinn, wenn man davon ausgeht, dass Iolanta ihr bisheriges Leben im Schatten verbracht hat.

 

Adelina Yefimenko: Iolantas „Geheimnis-Motiv“ erinnert an die neuen Interpretationen des „Lohengrin“-Frageverbotes als Freiheitsverbot. Das Motiv erscheint mindestens 20 Mal (absteigende Sekunden- und Quinten Motiven mit dem Tonika-Dreiklang). Nach der schockierenden Entdeckung ihres Geheimnisses leidet Iolanta genau so stark, wie Vaudémont über das Schicksal. Und dann erscheinen die Puppen auf die Vorderbühne. Diese Aktion löst aber nicht alle Geheimnisse und Leiden des Liebespaares Iolanta/ Vaudémont mit dem Rollen-Tausch auf: aus den Menschen werden Puppen, aus den Puppen Menschen. Welches Geheimnis steckt in einem solchem Schluss dieser „Doppel“-Oper?

 

Axel Ranisch: Das Ende ist offen. Es gibt kein Happy End und trotzdem bleibt ein Hoffnungsschimmer. Die beiden Paare müssen fliehen, um ihre Liebe zu leben und dann an einem vollkommen neuen Ort bei Null anfangen. Wie, wo und ob sie glücklich werden, dieses Geheimnis überlasse ich von ganzem Herzen der Fantasie jedes einzelnen Zuschauers.

 

Adelina Yefimenko: Ich glaube, Dein Regie-Konzept, beide Opern „Iolanta“ als Gleichnis, Mysterum und „Mavra“ als Varieté, Parodie zu verschmelzen, würde Ibn-Hackia gefallen. In seiner Arie manifestiert er die Spinoza-Philosophie in einem Satz, der die wichtigste Botschaft von Tschaikowsky und Strawinsky in einem Satz resümiert: „Zwei Welten – leibliche und geistige // In allen Phänomenen des Seins // Trennen wir bedingt voneinander, // da sie untrennbare Freunde sind“. Wie reihst Du Deine eigene Botschaft für das Publikum ein, das Deine Inszenierung erlebt.

 

Axel Ranisch: Ich würde gerne für einen ehrlichen Umgang der Menschen miteinander plädieren. Wenn wir etwas aus beiden Geschichten lernen können, dann, dass es uns nicht hilft, einander zu belügen, zu hintergehen, zu verheimlichen, zu intrigieren. Die Wahrheit ist immer der größte Vertrauensbeweis. Wahre Liebe hält das aus.

 

Adelina Yefimenko: man könnte als Vorbild dieser Inszenierung noch Richard Strauss nennen, der in „Ariadne auf Naxos“ mit dem Begriff „summo et unico loco“ spielt und seinen Hofmeister reden lässt: „die Tanzmaskerade wird weder als Nachspiel und Vorspiel aufgeführt, sondern mit dem Trauerstück Ariande gleichzeitig“. Ich glaube, nach Deinen vortrefflichen Operninszenierungen sollte man nach Joseph Haydn den Blick auf die Opern Mozarts werfen. Und nach Tschajkowsky und Strawinsky könnte man sich schon an die Opern von Richard Strauss wagen. Für die Inszenierung welcher dieser Opern würdest Du alle Deine aktuellen Projekten hinten anstellen?

 

Axel Ranisch: Also ganz ehrlich, an Mozart und Strauss traue ich mich nicht ran. Das gleiche gilt für Wagner und Beethoven. Allein die Vorstellung die Zauberflöte, Elektra, Parsifal oder Fidelio inszenieren zu müssen, treibt mir Schweißperlen auf die Stirn. Für Tschaikowski und Strawinsky, auch für Haydn, Britten oder Janacek hingegen lass ich alles stehen und liegen. Ein ganz großer Traum wären First Igor, die Chowanschtschina oder Sadko. Das russische Repertoire erfüllt mich mit unvorstellbarem Glück.

 

Adelina Yefimenko: Ganz ehrlich, ich lass alles stehen und liegen, um Deine neuen Inszenierungen zu erleben. Viel Inspiration und Erfolg wünsche ich Dir bei allen Deinen Projekten.


Foto: Bayerische Staatsoper/ Wilfried Hösl


Foto: Bayerische Staatsoper/ Wilfried Hösl


Foto: Bayerische Staatsoper/ Wilfried Hösl

 

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