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AUGSBURG/Martini-Park: PRIMA DONNA Deutschsprachige Erstaufführung der Oper von Rufus Wainwright. Premiere

05.02.2018 | Oper


Sally du Randt als Régine Saint Laurent – die PRIMA DONNA. Foto: Jan-Pieter Fuhr / Theater Augsburg

AUGSBURG / Martini-Park: PRIMA DONNA 

Deutschsprachige Erstaufführung der Oper von Rufus Wainwright

Am 03.02. 2018

„Ein saures Amt, und heut zumal, wohl gibt’s mit der Kreide manche Qual“ – meint der Herr Beckmesser in den „Meistersingern“. Noch nie ist mir diese Bemerkung so deutlich in Erinnerung gerufen worden, wie bei der Besprechung, die ich nun über die „Deutschsprachige Erstaufführung“ von Rufus Wainwrights Erstlingsoper PRIMA DONNA zu schreiben mich bemühe: die MERKER-Leser wissen es längst – seit nunmehr fast acht Jahren berichte ich ziemlich regelmäßig über das Augsburger Operngeschehen; nicht alles, was ich dort erlebt habe, waren Sternstunden; aber in der überwältigenden Fülle der Aufführungen konnte ich von spannendem, oft auch diskussionswürdigem Musiktheater berichten, getragen von einem sehr gutem Sängerensemble, einem leistungsfähigem Orchester und Chor. Man fährt nicht acht Jahre lang jeweils über 600 km, um sich zu ärgern – das im Voraus!

Der Augsburger Opernspielplan war – solange ich ihn beobachtet habe – nie „bequem“, nie routiniert: er war interessant und ambitioniert. „Die Latte“, wie man zu sagen pflegt, „ lag recht hoch“ – was einen Ausrutscher, auch mal einen Missgriff, nicht ausschließt. Wer nichts wagt, kann nichts gewinnen – das muss auch hier gelten. Ambitioniert ist der derzeitige Opernspielplan in gewisser Weise auch: zwei „Klassikern“ (FREISCHÜTZ und FORZA DEL DESTINO) stehen zwei Novitäten gegenüber, einmal die hier zu besprechende PRIMA DONNA weiters die für Mai geplante – ebenfalls deutsche Erstaufführung – von SOLARIS, einer Oper von Dai Fujikura. So weit, so gut. Nun also PRIMA DONNA!

Das Werk hat eine Vorgeschichte mit einigen Fragezeichen: ursprünglich als Auftrag der MET New York (!) entstanden, kam die dortige Uraufführung aus fadenscheinigen Gründen nicht zustande: der Komponist bestand auf der französischen Sprache, die MET wollte einen englischen Text (?!); aus spielplantechnischen Gründen hätte die MET frühestens 2014 die Uraufführung bringen können – das war dem, damals 36jährigen Komponisten zu spät (?!); schließlich wurde die Oper am 10.07.2009 in Manchester uraufgeführt, was die „Frankfurter Allgemeine“ seinerzeit mit der Bemerkung abtat: Das Libretto ist banal, die … Handlung plump, von der breiigen Musik bleiben allenfalls ein folkloristisch gefärbtes Lied und die extrem hohen Falsett-Töne in Erinnerung… (FAZ vom 14.07.2009). Dennoch hätte es tosenden Applaus gegeben. Es folgten Aufführungen in London und Toronto (2010), an der New York City Opera (2012). Im September 2015 erschien eine Studio-Gesamtaufnahme bei der Deutschen Grammophon, die durch eine Sponsoring-Kampagne des Komponisten finanziert wurde – nicht etwa als Eigenproduktion des Labels. Das alles müssten Dramaturgen, Operndirektoren und Intendanten doch auch wissen! Da schaut man doch mal genauer hin, sollte man denken. Und Augsburg tat ein Übriges: es erwirkte das Einverständnis des Komponisten zu einer deutschen Textfassung, da schöpft man ja auch Hoffnung…

Der Komponist liebt die Oper – sagt er; können wir ihm das glauben?   Er sagt, er liebt auch den Gesang – und das kann ich ihm nicht glauben!  Und er liebt die Melodien von … und hier stock ich schon wieder, denn in diesem Zusammenhang große Opernkomponisten zum Vergleich heran zu führen, streikt mir der Computer. Möglich, dass er vieles kennt von Leuten, die er verehrt. Dennoch ist es weder Puccini noch Richard Strauss zuzumuten, in diesem Zusammenhang überhaupt nur genannt zu werden. Donizetti wird angeblich mit einer Arie und einem Duett zitiert – das ist weder als Zitat markiert,  noch wird es, selbst wenn es aus einer unbekannten Oper des italienischen Meisters stammen sollte, als „Originalzitat“ wahrgenommen. Wainwright ist ja auch kein „studierter“ Komponist, ein Klavierstudium hat er bald wieder abgebrochen; er hantiert mit einem großen romantischen Orchester, ohne die Grundlagen der Opernmusik und der Behandlung von menschlichen Singstimmen überhaupt kapiert zu haben, folgerichtig kann er sie auch nicht so behandeln, wie sie behandelt werden müssten! Er schreibt in Stimmlagen, die es in der Oper so eigentlich überhaupt nicht gibt: ein Bariton, der in Osminschen Tiefen  ebenso wie in tenoralen Höhen zu tun hat, eine Soubrette, die den Tonumfang der Königin der Nacht überschreitet und eine Sängerin der Hauptrolle, die ständig in höchsten Tönen und ebenso in der tiefen Alt-Lage sich zu bewegen hat – von der Instrumentation einmal ganz abgesehen: je extremer die Stimmlage, desto ungeschickter das Orchester dazu. Und was die Melodien betrifft: wenn er mal ein Thema hat, dann prägt es sich deshalb ein, weil er es durch Dauer-Ostinato zu Tode quält. Merken das Korrepetitoren und Dirigenten nicht? Geht eigentlich heutzutage Alles?

Ob die simple Story überhaupt als Opernstoff geeignet ist, bleibe dahingestellt: Die berühmte Sängerin Régine Saint Laurent hat vor sechs Jahren nach glänzender Premiere der für sie geschriebenen Oper ALIÈNOR bei einer Reprise die Stimme verloren und daraufhin ihre Laufbahn beendet; vereinsamte und verarmte und denkt nun, mit Hilfe ihres ehrgeizigen Butlers Philippe an ein Comeback, bei dem ihr auch die Dienerin Marie helfen will; ein Journalist, André, der für Publicity sorgen soll, entpuppt sich als verkappter Tenor und menschlich als Hallodri, schließlich findet kein Comeback statt. –  Jedenfalls so wie hier (selbstverständlich ist der Komponist auch einer der Librettisten!) taugt es dazu sicher nicht: keine Beziehung zwischen den Protagonisten wird angedacht, alles bleibt im Ungefähren. Régine verliebt sich (vielleicht?) in den Journalisten, vielleicht auch er in sie – das weiß man nicht so genau. Er „entledigt“ sich einer evtl. Beziehung, indem er eine „Verlobte“ vorschiebt, die weiland wie Kate Pinkerton plötzlich im Raum steht. Da diese Verlobte aber eine stumme Rolle ist, taugt sie nicht zum „Abschiedsterzett“, da muss die Dienerin herhalten! Und das soll etwas mit dem ROSENKAVALIER zu tun haben – man glaubt’s ja nicht! Es ist nur langweilig! Hätte dort ein Regisseur nicht helfend eingreifen müssen? Über die hölzerne deutsche Textfassung (Dr. Lothar R. Nickel) möchte ich den Mantel des Schweigens legen; offensichtlich befinde ich mich dort sogar mit dem Team des Theaters in Übereinstimmung, denn man blendet bei den Übertiteln einigermaßen verständliches Deutsch ein, was aber auf der Bühne leider nicht gesungen wird, nicht gesungen werden kann, weil es nicht auf die Noten passt!(Und auf diese Weise verwirren die Übertitel mehr, als sie helfen!) Hier zumindest hätte Wainright Recht: in französischer Sprache ist es wenigstens komponiert!

Dem Regisseur (Hans Peter Cloos) fiel jedenfalls nichts ein, was der Sache einen übergreifenden Sinn hätte geben können. Im Gegenteil: er ergriff dort, wo sich Möglichkeiten hätten finden lassen müssen (z. B. wenn die Diva sich beim Anhören ihrer eigenen Aufnahme an die Premiere erinnert) die Flucht – organisierte sinnlose Abgänge und Auftritte, die noch mehr verwirrten und beschäftigte sich mehr mit den Statistenrollen als den Protagonisten.Das,  was hier stattfand war pure Langeweile und man kann nicht verstehen, weshalb nicht wenigstens der Ausruf der Prima Donna: „So geht das nicht! Auf keinen Fall! Sagt die Vorstellung ab“ (2.Akt, 7. Szene) beherzigt wurde.

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Sally du Randt als Régine Saint Laurent – die PRIMA DONNA. Foto: Jan-Pieter Fuhr / Theater Augsburg

Fehlt noch was?

Ach ja – die Sänger, das Orchester, der Dirigent: sie alle taten mir unendlich leid, weil sie auf verlorenem Posten kämpften: Betraut mit Partien, derer sie sich mit großem Respekt und stimmlicher Präsenz annahmen, allein gelassen von einer Regie, die das Wort Personenregie offensichtlich nicht kennt. WiardWitholt meisterte die umfängliche Baritonpartie mit großer stimmlicher Präsenz und musikalischer Sicherheit; ihm fehlte der Regisseur, der dem stimmlichen Potential darstellerische Gelöstheit und Beweglichkeit an die Seite stellen könnte. Ebenso stand es um die stimmlich frische und höhensichere Jeannette Wernecke (a.G.) und den jungen, teilweise noch an stimmliche Grenzen stoßenden Tenor  Roman Poboinyi, die bei strafferer Führung durch die Regie hätten an Glaubhaftigkeit gewinnen können. Selbst Sally du Randt, stimmlich in Bestform vom tiefen Register der Altistin bis hinauf auf das cis3, habe ich noch nie so alleingelassen auf der Bühne stehen sehen, wie hier; ihre große Erfahrung und ihr Persönlichkeitswert haben Defizite der Regie überspielt – welche Möglichkeiten wurden gerade bei ihr verschenkt, die sie geradezu die Idealbesetzung für eine solche Rolle ist! Nahezu grotesk der Einfall, Fotos ihrer Augsburger Karriere einzublenden! Das war nun fast ein Bumerang. Zwischen der szenischen Dichte der  Katerina Ismailowa, Jenufa,Violanta und diesem Abend liegen Welten. Das waren großartige Aufführungen, die ohne Sally du Randt in Augsburg nicht möglich gewesen wären. Daran gilt es anzuknüpfen!

Die Augsburger Philharmoniker spielten unter Lanzelot Fuhry mit Präzision und Eleganz. Leider durchgängig zu laut, was ich ihnen nicht anlasten möchte – sondern der ungeschickten Instrumentation (siehe oben)!


Sally du Randt,  Roman Poboinyi. Foto: Jan-Pieter Fuhr / Theater Augsburg

Und, um den Kreis zum anfangs Gesagten zu schließen: man fährt nicht 600 km (nachts!) durch die Gegend, um sich zu ärgern. Kritische Hinweise und Einwände gegen Aufführungen oder Werke erfüllen den Schreiber nicht mit hämischer Freude oder einer orgiastischen Lust an der Vernichtung – im Gegenteil: ein solcher Abend stimmt auch den Berichterstatter unendlich traurig.

Werner P. Seiferth

 

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