Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

AUGSBURG/ Staatstheater im Martinipark: FIDELIO. Premiere

22.05.2023 | Oper international

Beethovens FIDELIO  in Augsburg

Premiere am Sonntag, 21. Mai 2023 im Staatstheater im Martinipark

fuk
Sally du Randt als Leonore. Foto: Jan Pieter Fuhr

Früher – als nun wirklich nicht alles schlechter war als heute – habe ich mal gelernt, dass bei Beethovens FIDELIO  u. a. eines der Interpretationsprobleme darin besteht, ein vernünftiges Verhältnis zwischen der großartigen Musik und den Plattheiten des gesprochenen Dialoges herzustellen. Insofern ist das Anliegen des Augsburger Intendanten André Bücker, der gleichzeitig der Regisseur der Aufführung ist, weder neu noch revolutionär, alle gesprochenen Dialoge zu streichen und durch neue, von ihm selbst verfasste, Texte zu ersetzen. Unabhängig von der Frage, ob diese neuen Texte besser zum Werk passen, ließ Bücker sie von einem Schauspieler, nicht von den jeweils handelnden Personen sprechen, die dadurch zu einer Passivität verurteilt wurden, die teilweise an ein kostümiertes Konzert erinnerten. Hinzu kommt, dass die eingefügte Person (im Programmheft wird sie Hermann Ludwig Müller genannt !!!) nicht im eigentlichen Sinne ein  kommentierender Sprecher, sondern gleichermaßen Conferencier, mehr noch Entertainer, oft auch eine lustige Komödienfigur war, die – völlig unabhängig vom Text – die Musik störte. Durch jeweilige „Sounds“, die über den Texten und Aktionen dieses Sprechers lagen, wurde man mit schöner Regelmäßigkeit aus der „Stimmung“ gerissen – Beethoven wurde durch Geräusche ad absurdum geführt, was offensichtlich nicht nur mich störte. Ich jedenfalls fühlte  mich permanent um meinen Musikgenuss betrogen, ich fühlte mich belästigt. Dieser fremde „Sound“ (sollten es nun Maschinengeräusche, popartige Musikfetzen oder sonst etwas sein) hat mir den Abend unerträglich gemacht, hat die Musik Beethovens zu „Einlagen“ degradiert, das Ganze in die Nähe der Revue gerückt und die Oper denunziert.

Ich habe mich mehrmals im Verlaufe des Abends gefragt, was wohl ein Furtwängler, ein Knappertsbusch oder ein Böhm dazu gesagt hätten – nichts, sie hätten solch eine  Aufführung ganz einfach nicht dirigiert. Domonkos Heja hat sie dirigiert, nicht besonders ambitioniert, ohne spürbare Emotion und offensichtlich ohne präzise Vorbereitung: noch nie habe ich in Augsburg so oberflächliche Ensemblearbeit kritisieren müssen. Frust oder Resignation ? Hat das Regietheater die Machtverhältnisse so sabotiert, dass ein Dirigent nicht mehr mächtig genug ist, die Rechte des Komponisten einzufordern? Darf er keinen Einspruch erheben, wenn der Chor – weil unpersönliche, anonyme Masse – hinter Gesichtsmasken verschwindet und dadurch um seine gerade in Augsburg oft bewunderte Klangpracht betrogen wird ? (Übrigens ist auch das nicht neu, dieses Verfahren ging vor Jahren schon in einer GÖTTERDÄMMERUNG im benachbarten Ausland schief!) Selbst den von mir ansonsten sehr geschätzten Augsburger Philharmonikern  glänzte an diesem Abend kein glücklicher Stern. Dass im herrlichen Quartett im 1. Akt keine Atmosphäre aufkommen konnte, war angesichts der Ergüsse der eingefügten Person davor fast verständlich; dass vier absolut potente Sänger nicht zu Homogenität und Flexibilität haben finden können, obwohl sie dicht beieinander und kurz hinter der Rampe standen, ist nicht nur unerklärlich, sondern auch unverzeihlich. Und wer durfte denn den „komödiantischen“ Einschub mitten im 1. Finale, zwischen Duett Rocco – Pizarro und Leonoren-Arie erlauben, wo gar kein Sprechtext zu ersetzen ist, weil dieser nahtlose musikalische Übergang einfach zu den genialsten Eingebungen des Sinfonikers Beethoven gehört ? Die Mängel-Liste ließe sich fortsetzen, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob die Zwischenrufe im 2. Akt („Aufhören, Aufhören“) echt oder gar inszeniert waren.

Augsburg hat immer gute Sänger gehabt und kann auch hier alle Partien optimal besetzen. Wie ein Fels steht Sally du Randt in der Brandung, ein dramatischer Sopran ohne Fehl und Tadel, der alle Klippen dieser gefährlichen Partie bravourös meistert, die mit großer Ruhe und scheinbarer äußerer Gelassenheit stupent ihr Ziel verfolgt – den Mann, oder auch ihren Mann, zu retten. Eine große Gesangsleistung, eine ebenso große Darstellung, bravo! Nächst ihr kommt Alejandro Marco-Buhrmester als Pizarro dem Beethovenschen Anspruch wohl am nächsten: schneidende, metallische Tongebung bei äußerster Ruhe und Souveränität, selbst dann noch, wenn seine Machenschaften aufgedeckt sind. Jonathan Stoughton, erstmals in Augsburg auftretend, sang einen zuverlässigen, angesichts der qualvollen Haft fast zu gesunden Florestan. Gern glaube ich ja Avtandil Kaspeli, dass er eine große Stimme hat; dies permanent den ganzen Abend unter Beweis zu stellen, wie bei einem Gesangswettbewerb, ist mir als „Gestaltung“ zu wenig. Hier besonders fehlte die Differenzierung, hier verkehrt sich die Figur ins Gegenteil: Rocco ist nicht der Chef, er ist ein Werkzeug – nicht mehr.    In den kleineren Partien waren Jihyun Cecilia Lee (Marzelline), Roman Poboinyi (Jaquino) und Wiard Witholt (Don Fernando) zuverlässig am Werk. Der erste Gefangene, George Aleksandria, blieb dem langen Atem, den die Partie erfordert, einiges schuldig – der zweite Gefangene, Kihoon Han, sang ganz einfach zu laut, hier fehlte, wie übrigens beim Gefangenenchor auch, die differenzierte Ausarbeitung. Ich erinnere mich an eine Aufführung vor vielen Jahren unter Franz Konwitschny, wie er den Chor einfach singen ließ, das Orchester musste zuhören und begleiten – ein überwältigender Eindruck. Hier war es leider umgekehrt…

Augsburg hat ein diszipliniertes und feinfühliges Publikum: es ließ den Abend in Ruhe passieren (von den Zwischenrufen sprach ich schon); am Ende spendete es Sängern, Chor, Orchester und Dirigenten freundlichen Beifall, das Regieteam, das erst nach dem zweiten Durchgang des musikalischen Beifalls auf der Bühne erschien, wurde eindeutig und gnadenlos ausgebuht. Zu Recht!

Werner P. Seiferth

 

Diese Seite drucken