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AUGSBURG/ Staatsteater im Martini-Park: PETER GRIMES – sensationelle Premiere

30.05.2022 | Oper international

Sensationelle Premiere in Augsburg: PETER GRIMES von Benjamin Britten

29.05.2022 – Staatstheater im Martini-Park

Erstens, und ohne jeden Vorbehalt: Das war eine sensationelle Premiere in Augsburg, eine Aufführung, die vom Sitz riss und fast alle Vorbehalte gegen das Notquartier im Martinipark ad absurdum führte. Seit zehn Jahren berichte ich regelmäßig von Opernpremieren in der Fuggerstadt, immer konnte ich die Augsburger Philharmoniker, den großartigen Opernchor und eine oft erstklassige Solistenbesetzung loben, alles gut – das Augsburger Publikum, musikalisch durchaus aufgeschlossen und interessiert, quittierte manch hervorragende Aufführung nach meinem Eindruck zu verhalten optimistisch – diesmal geriet das Auditorium – völlig zu Recht! – in einen Begeisterungsrausch, den ich so hier glaube noch nie erlebt zu haben. Es war die kollektive Gesamtleistung (Solisten, Chor, Orchester sowie Bühnen- und Beleuchtungsmitarbeiter) die auf das Publikum quasi elektrisierend übersprang und alles in den Rang eines wirklich großen Abends hob – wahrhaft berauschend. Und das bei einem Werk, das eigentlich nicht zu den „Publikumsrennern“ zählt. Uneingeschränktes Kompliment und begeisterte Zustimmung!

Das Opernschaffen von Benjamin Britten gehört längst zum Repertoire unserer Bühnen, der Deutsche Bühnenverein führt Britten in seiner Werkstatistik noch immer als zu den „zeitgenössischen Opern“ gehörig (Uraufführungsdatum nach dem 1.1.1945) – was für die Quote gut ist, längst aber vom Ansatz her nicht mehr stimmt, sondern auf wenigstens 1960 verlegt werden müsste. Denn „zeitgenössisch“ im eigentlichen Sinne ist Brittens Musik nicht mehr. Sie gehört inzwischen mindestens zur sogenannten „klassischen Moderne“ und erreicht in der Regel ihr Publikum. Dessen konnte sich Domonkos Heja mit seinen Augsburger Philharmonikern sicher sein, die in großer Besetzung der Bühne ebenerdig vorgelagert einen wahren Klangrausch entfesselten und somit die wesentliche Grundlage für ein frappierendes Musikereignis bildeten. Dass dabei die Lautstärke – besonders im 1. Akt! – die akustischen Möglichkeiten des  Behelfshauses zu sprengen drohten, sei zumindest angemerkt und immer wieder angemahnt: diese Fabrikhalle wird nie ein Opernhaus ersetzen können, das das in der Sanierung befindliche Große Haus gewesen ist. Sein Eröffnungstermin darf nicht ständig weiter verschoben werden!

Auch wenn diese Aufführung einmal mehr staunen machte, was auf diesem Behelfspodium alles möglich ist. So „groß und tief“ habe ich den Bühnenraum noch nie empfunden. Martina Segna (Bühnenbild) hat diesen Raum wirklich optimal genutzt und dadurch für Dirk Schmeding (Regie) die Grundlage geschaffen, ein wahres Kaleidoskop an Möglichkeiten der Individual- und Massenregie zu bieten. Dass Schmeding im Verlauf des Abends sogar den Zuschauerraum in das Bühnengeschehen mit einbezog, hat die Größe seiner Inszenierung nur gesteigert (auch wenn ich eigentlich Aufführungen, bei denen man sich umschauen muss, nicht besonders schätze – hier war es richtig und hat einem notwendigen Zweck gedient). Denn dass auf diesem „Podium“ Brittens Vorgaben von den „Originalschauplätzen“ (mit verschiedenen Häusern und herabstürzender Klippe) nicht erfüllt werden konnten, war ohnehin klar, es war auch nicht nötig, wie der Abend bewies. Dass hier sogar die Möglichkeit bestand, neben dem tristen grau in grau der englischen Küste auch ein Bassin mit echtem Wasser zu installieren, grenzte schon an ein kleines Wunder. Hier hat die Bühnentechnik (Rüdiger Gösch) und die absolut erstklassige Beleuchtung (Marco Vitale) wirklich „gezaubert“ und eine erstklassige Illusion der rauhen englischen Küste geschaffen, die für das Verständnis des Werkes unerlässlich sind.

Ein besonderes Lob muss dem Opernchor des Staatstheaters Augsburg gezollt werden, der durch den Extrachor verstärkt wurde. Chordirektorin Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek hat die umfangreichen Chorpartien sicher einstudiert und auch die verschiedenen Klangvarianten von verschiedenen Plätzen, an denen der Chor Aufstellung nahm (hintere Bühnenfläche, verschiedene Standorte im Zuschauerraum und „hinter der Szene“) sicher im Griff gehalten. Besonders im ersten Akt, wo die Regie ein wahres „Bewegungs-Chaos“ für den Chor zelebrierte,  kam die sichere Einstudierung dem Geschehen zu Hilfe.

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Opernchor, Extrachor, Pascal Herington (Bob Poles) und Roman Poboini (Horace Adams) – Foto: Jan-Pieter Fuhr

 Das Besondere der Solistenbesetzung dieses Werkes ist die Geschlossenheit aller. Mit Ausnahme des Titelhelden sind alle übrigen Solisten miteinander verwoben, sodass Einzelne durchaus im Kollektiv aufgehen. Dass ein Theater bei einer schwierigen und komplizierten Tenorpartie in Not gerät, ist so neu nicht und traf in diesem Falle auch die Augsburger. Schon während der Probenzeit musste Jacques le Roux durch Richard Furman (a.G.) ersetzt werden, der seinerseits kurzfristig vor der Premiere erkrankte. Man hatte gerade noch Zeit, Peter Marsh aus Frankfurt zu bitten, die Partie aus dem Orchestergraben zu singen, was er mit Souveränität und bestens disponiert tat. So vereinigten sich zwei Protagonisten zu einer Gestalt – was glänzend gelang. Eine theatralische Notwendigkeit glückte zu einer neuen Qualität und tat der Sache keinen Abbruch – im Gegenteil. Solche Ereignisse schafft der rauhe Theateralltag immer mal wieder, selten wurden sie so gut bewältigt wie hier – Furman spielte und synchronisierte seine eigene Partie fesselnd, während Marsh ihr die notwendige stimmlich-musikalische Grundlage bot. Kompliment! Im Umfeld des Außenseiters Grimes bewährten sich seine „Getreuen“ in Gestalt von Sally du Randt  (Ellen Orford) und Wiard Witholt  (Balstrode), diejenigen, die zu Grimes halten und auch mit Einfühlunsvermögen und Können mit dem einen spielten und gesanglich-musikalisch mit dem anderen kommunizierten. Dass sich unter den übrigen Solisten sechs Gäste (bei 9 Partien) befanden, ist in Augsburg bisher nicht üblich gewesen und sollte auch keine Schule machen. Die ursprünglich besetzten Ensemblemitglieder Allen und Boeva wurden durch Gäste ersetzt, was die stimmliche Ausgewogenheit nicht förderte. Gute Figur machten Olena Sloia und Jacoba Barber-Rozema (a.G.)  als Nichten, Avtandil Kaaspeli (a. G.) als Swallow, Pascal Herington als Bob Boles und Roman Poboinyyi  als Pfarrer.

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Sally du Randt als bewegende Ellen Orford – Foto: Jan-Pieter Fuhr

Ungeachtet weniger Einzeleinwände – ich bleibe dabei: ein großer Abend, den man durch Einzeleinwände auch nicht zerreden darf. Es ist schön und beglückend, im Theater – in der Oper (!) – auch  wieder mal begeistert sein zu können!

Werner P. Seiferth

 

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