Augsburg: Puccinis „Tosca“ (Premiere am 28.10.2016 in der Schwabenhalle)
Sally du Randt. Copyright: Theater Augsburg
Das schönste Geschenk zu dieser Premiere erhielt das Augsburger Ensemble am Tage davor: vom Stadtrat wurde das beabsichtigte Bürgerbegehren gegen die Sanierung des Theaters für unzulässig erklärt und damit der Weg geebnet, die Sanierung des Großen Hauses in der Weise voranzutreiben, die die Stadt längst beschlossen hatte. Die Spielstätte „Schwabenhalle“, die bei Planung der „Tosca“-Inszenierung noch keiner im Visier hatte, war notwendig geworden, nachdem völlig unvermittelt jenes Große Haus mitten im Juni geschlossen wurde. Ein für Leitung und Ensemble sehr außergewöhnlicher Vorgang verbunden mit unterschiedlichsten Aufregungen um den Gegenstand. Die gegenwärtige – und unter normalen Voraussetzungen mit dem Großen Haus – geplante Spielzeit nun zu realisieren, ist eine logistische Herausfor-derung unvergleichlichen Ausmaßes. Die „Schwabenhalle“ ist eine Mehrzweck-Messehalle, ihrerseits hoch frequentiert und keineswegs für das Theater als Ersatzspielort „leerstehend“; man muss nicht nur den „Theaterraum“ (Bühnenbereich und Zuschauerplätze) jeweils neu in sie hinein bauen, sondern sie steht auch nicht kontinuierlich für organische Probenprozesse zur Verfügung. Das alles sind Bedingungen, die es zu lösen gilt und mit denen man leben muss. Diese Bedingungen bleiben die Herausforderung der gegenwärtigen Spielzeit. Und das Ensemble des Theaters Augsburg hat diese Herausforderung nicht nur angenommen, sondern fürs Erste bei dieser Produktion auch den Umständen entsprechend verblüffend gut gemeistert.
Sally du Randt, Werner van Mechelen. Copyright: Theater Augsburg
Glücklichster Nebeneffekt: der Klang des Orchesters. Es liegt in voller Breite ebenerdig vor der gebauten „Bühne“, hört sich selbst aber offenbar sehr gut und es gelingt Domonkos Héja mit großer Disziplin und subtiler Klangbalance den Abend optimal zu disponieren: großes Kompliment an ihn und seine Augsburger Philharmoniker, die mit wachen Sinnen den Verästelungen der vielschichtigen Puccinischen Partitur nachspürten, wunderbar in Klang-balance und Rhythmik aufeinander hörten und nie die Bühne überdeckten. Das ist mir als besonders positiv aufgefallen und daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ich manche Tempi als sehr breit empfand und mir bestimmte Höhepunkte (besonders im 2. Akt) durch-aus leidenschaftlicher hätte wünschen mögen. Offensichtlich war Héja in erster Linie darum bemüht, den ungewohnten Raum nicht aus der Kontrolle zu verlieren – und das ist ihm absolut gelungen. Kompliment!
Dass Augsburg ein jeweils vorzügliches Sängerensemble aufbietet, ist zwischenzeitlich an dieser Stelle oft hervorgehoben worden. Auch im Falle der „TOSCA“ konnte das Theater mit seinen Trümpfen punkten: Sally du Randt war eine musikalisch-stimmlich großartige Tosca, weit ausholend mit wunderbaren Legato-Bögen, mit kraftvollen Spitzentönen und einer samtigen Tiefe; wieder bewies sich der alte Satz, dass „Klasse“ sich an „Klassik“ bewährt – nach ihren vielfältigen und extrem unterschiedlich-großartigen Leistungen in den letzten drei, vier Jahren fokussierte sie auf eindrückliche Weise ihre Stimme auf das klassische Format, brillierte mit ihrer ohnehin beispielhaften Pianokultur ebenso, wie mit den Herausforderungen der dramatischen Attacke. In Ji-Woon Kim stand ihr ein Tenor als Cavaradossi zur Seite, der nicht nur über ein sehr interessantes, im Grunde dunkel timbriertes Material verfügte, sondern der ebenso mit strahlender und metallischer Höhe zu überzeugen wusste. Für den Scarpia hatte man Werner van Mechelen verpflichtet, einen volltönenden, edel-timbrierten Bariton mit einer für den Fiesling Scarpia fast zu schönen Stimme. In seiner musikantischen Grundhaltung und seiner nie nachlassenden Bühnenpräsenz konnte er durchaus überzeugen.
Ji -Woon Kim, Sally du Randt. Copyright: Theater Augsburg
In den kleineren Partien hatte Augsburg mit jungen Sängern Glück: Georg Festl brachte als Angelotti einen klangschönen Baß ein, Young Kwon ließ mit einem tragfähigen Bariton aufhorchen, während Alexander York an Stimmvolumen und als Persönlichkeit noch gewinnen müsste; in den beiden Partien Spoletta und Schliesser zeigten vor Ort vielfach bewährte Künstler, Matthias Schulz und Markus Hauser, auf welch hohem Niveau in Augsburg selbst kleinste Rollen gestaltet werden. Es ist schön, wenn man die Stimme des Hirten wirklich mit einem Knabenalt besetzen kann – hier gelang es mit einem der Augsburger Domsingknaben: Vincent Löffel sang das Hirtenlied mit ausreichendem Volumen und großer Sicherheit.
Opernchor, Extrachor und Kinderchor des Theaters Augsburg erfüllten ihre in diesem Falle nicht sehr umfangreichen Aufgaben mit Gewissenhaftigkeit, wiederum sicher studiert von Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek. Musikalisch ein alles in allem sehr gelungener Abend, dem ich freilich einen begeisterteren Beifall gewünscht hätte, er wäre verdient gewesen…
Für Inszenierung, Bühne und Kostüme war Nigel Lowery verantwortlich und ihm fiel wohl in dieser komplizierten Situation die schwierigste Aufgabe zu, er musste eine für ein richtiges Theater konzipierte und weitgehend vorbereitete Arbeit auf in Interregnum „zuschneiden“, das allen Beteiligten Schwierigkeiten bereitete. Naturgemäß musste die szenische Umsetzung unter diesen Gegebenheiten leiden, weshalb ich es unfair fände, seine Leistung zu beurteilen. Ihm schwebte vor, für das Spiel eine künstlerische Ebene zu schaffen, eine, wie er es nennt, „vierte Zeitebene“, also nicht die Zeit, in der das Werk komponiert wurde, auch nicht die Zeit in der die Handlung spielt und nicht die Gegenwart. Das Werk sollte bei ihm spielen „… in einer Zeit und Welt, die ich geschaffen habe. Das wiederum gibt mir die Möglichkeit, die Rollen freier zu gestalten und sie mehr oder weniger eng an die historischen Vorgaben anzulehnen.“ Möglicherweise interessant gedacht, praktischerweise in der Umsetzung recht schwierig. Er spielt das Stück hinter einer milchigen Schleiergardine, wie wir sie aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts kennen, als – um projizieren zu können – jede Wagner-Oper auf diese Weise gestaltet wurde. Es schafft Distanz, leider eine so große, dass die musikalische Brisanz, die Solisten, Orchester und Dirigent herzustellen sich bemühten, ausgebremst wurden und der „Gänsehaut-Effekt“, der nun mal zu einer „Tosca“ gehört, sich leider nicht herstellte. Alles war distanziert und kühl, die Personenführung teilweise konventionell und unlogisch, die Kostüme dem Werk und seiner Geschichte nicht dienlich und die Beleuchtung – was zu großen Teilen sicherlich dem Provisorium der Halle geschuldet war – unpräzise mit leider spürbaren Patzern. Und dass Tosca am Schluss vom Dach des Augsburger Großen Hauses springen musste, das als „Zeichnung“ abendfüllend im Hinter-grund zitiert war, blieb ein Gag, den man erst verstand, nachdem man Programmheft und einen Zeitungsbericht von der „Einführungsveranstaltung“ gelesen hatte. Sehr schade; die auf diese Weise hergestellte Distanz brachte den musikalisch großartigen Abend um einen wesentlichen Teil seines Erfolges und die wieder einmal unverständliche „Augsburger Vorhangordnung“ (die außerdem nicht einmal klappte!) sorgte dafür, dass der Beifall für eine so gut gesungene und musizierte „Tosca“ viel zu schnell verebbte.
Und da ist ein Nachsatz zum Vorsatz nötig: man muss – auch in Augsburg! – wieder stärker auf das Publikum zugehen, wenn man größere Akzeptanz erreichen möchte, die dringend erreicht werden muss. Ich habe dort in den letzten Jahren immer wieder gefunden, dass das sehr gute Orchester und die teilweise großartigen Sänger nicht genügend akzeptiert wurden. Ich meine auch, dass in einer Stadt von der Größe Augsburgs ein Werk mehr als zehnmal gespielt werden muss und ich war schockiert, dass sich eine „Bürgerbewegung“ etablieren kann, die ernsthaft meinte, das Theater müsste nicht (oder nur „klein“) saniert werden. Die Augsburger schätzen zu wenig die Schätze, über die sie verfügen, diese werden freilich manchmal durch Inszenierungen verstellt, unter denen man Schätze nur schwer vermuten kann – ich weiß, dass dies nicht gern gehört wird, aber: gespielt wird immer noch für den, der zahlt! Und das bleibt, nicht nur mit Eintrittsgeld, sondern auch mit Subventionen – das Publikum. Wenn man – wie ich – sechshundert Kilometer fährt, um nach Augsburg zu kommen, tut man es nicht, um das Theater schlecht reden zu wollen, jedenfalls nicht über mehrere Jahre. Ich wünsche den Augsburgern das Beste, auch gerade für die nun angebrochenen komplizierten Jahre, ich wünsche ihnen, dass sie sich um eine breitere Akzeptanz im Ort bemühen, das würde allen zugutekommen, letztlich auch den „Sanierungs-Gegnern“, die nichts Anderes als potentielle Theaterbesucher sein müssten!
Werner P. Seiferth