AUGSBURG / Martinipark: DER KONSUL von Gian Carlo Menotti – Neuinszenierung / Premiere am 01.02.2020
Ein aktuelles Werk, ein gutes und wirksames Werk, das einst Gian Carlo Menottis Weltruhm begründete und seit seiner Uraufführung am 1. März 1950 in Philadelphia und der sich sofort anschließenden Erfolgsserie nie gänzlich von den Spielplänen verschwand, aber – angesichts der brennend aktuellen Thematik – heutzutage viel öfter gespielt werden müsste. Augsburg kommt wieder einmal genau im richtigen Moment mit einem Werk und einer Inszenierung, die aufrüttelt und ein Zeichen setzt. Beklemmend die Tatsache, dass dieses Werk nahezu 70 Jahre alt ist und dennoch nicht „in die Jahre“ kam – was eigentlich ein Skandal ist. Aber die Bürokratie hat sich in den letzten Jahren höchstens verstärkt, die Tatsache, dass Menschen sterben müssen, weil andere Menschen sie als „Fall“ oder „Nummer“ behandeln, ist leider – trotz mannigfacher Absichtserklärungen! – nicht aus der Welt. Menotti, der auch das Libretto zu seinem Werk selbst schrieb, lies ausdrücklich offen, wo genau es spielen solle: „Ort: Irgendwo in Europa – Zeit: Gegenwart“ steht lapidar in der Partitur von 1950. Und beide Angaben sind eben leider noch heute aktuell!
Elene Khonelidze (Eine ausländische Frau), László Papp (Herr Kofner), Susanne Simenec (Anna Gomez), Sally du Randt (Magda Sorel), A-Reum Lee (Vera Boronel), Natalya Boeva (Die Sekretärin) – Foto: Jan-Pieter Fuhr
Ein Oppositioneller muss dringend das Land verlassen und veranlasst seine Frau, auf das Konsulat zu gehen und ein Visum zu beantragen, damit sie ihm folgen könne. Polizeispitzel, die ihn aufspüren und verhaften sollten, bedrängen nun seine Frau, die Sekretärin im Konsulat behandelt „Fälle“ und „Nummern“ – erst spät ringt sie sich zu menschlicher Anteilnahme durch, da hat Magda bereits die Konsequenz gezogen: um die „große Sache“ ihres Mannes nicht zu gefährden, begeht sie Selbstmord. Ein Einzelschicksal? Mitnichten – Menotti wurde durch einen Zeitungsartikel im Jahre 1949 auf solch einen Einzelfall aufmerksam und schrieb daraufhin seine Oper. Wie viele solcher oder ähnlich gelagerter „Fälle“ hat es wohl in den zurückliegenden 70 Jahren in Europa (oder ganz und gar weltweit!) gegeben? Keiner weiß das genau – und deshalb ist das Werk von höchster Brisanz.
Menotti schreibt eine wirkungsvolle, oft hoch emotionale Musik. Dabei verleugnet er die Beziehung zu seinem Landsmann Puccini durchaus nicht, verblüfft vielmehr mit einem sicheren Instinkt für das Theater. Sicher hat das in der szenischen Konkretheit und Genauigkeit auch etwas von Filmmusik. Ist das ein Makel?
Die junge Regisseurin Antje Schupp, die erstmals in Augsburg arbeitet und wohl auch nicht allzu viel Erfahrung mit Oper hat, stellt sich dieser Aufgabe mit Sicherheit und Souveränität, eben gerade weil sie dem Werk vertraut und nicht eine andere „Geschichte“ erfindet. Sie hält sich an Menotti und erweitert seine Sicht auf den Stoff durch sehr dezent eingesetzte, heute aber durchaus notwendige „Ergänzungen“. Das steigert die Spannung und berührt emotional besonders. Das Publikum jedenfalls folgte der Handlung mit spürbarer Ergriffenheit und großer Aufgeschlossenheit. In Ivan Demidov hatte sie einen hellwachen und sehr um Differenzierung bemühten musikalischen Sachwalter am Pult, der den diesmal wieder bestens disponierten Augsburger Philharmonikern nicht nur musikalischen Wohlklang, sondern auch höchste Präzision und bühnenbewusstes Musizieren abverlangte. Das hatte Größe und Perfektion. Und das positive Gesamtbild wurde verstärkt durch die Bühnengestaltung, die auf der Behelfsbühne des Martiniparks eine besondere Herausforderung gewesen sein mag: Christoph Rufer gestaltete die Szene mit großem Geschick und Mona Hapke steuerte farbenfreudige, aber schlichte Kostüme bei. Ein wesentliches Gestaltungsmoment waren verschiedene Video-Einspielungen, die nicht nur filmisch-photographisch außerordentlich gelungen waren, sondern auch wesentlich zum Fabelverständnis beitrugen. Gregor Brändli sind sie zu danken.
Sally du Randt als Magda Sorell – Foto: Jan-Pieter Fuhr
Natürlich findet auch in diesem Falle Oper nicht ohne Sänger statt – im Gegenteil: Menotti ist nicht gerade kleinlich, wenn es an stimmliche Anforderungen bei den Sängern geht. Augsburg kann wieder einmal beweisen, dass es über ein homogenes und profundes Solistenensemble verfügt, alle Partien sind rollendeckend besetzt und werden großartig gesungen. Im Mittelpunkt steht natürlich Magda Sorell, die in Sally du Randt einmal mehr eine singuläre Darstellerin und eine in bester Italianità aufblühende Sängerin findet. Schon oft hat diese großartige Singschauspielerin einen Opernabend zum Erlebnis werden lassen, auch hier verbinden sich wieder strahlende Höhenpassagen in vorbildlichem Legato und ihre Fähigkeit, durch emotionale Erschütterung in Bann zu ziehen. Großartig! Nächst ihr wäre Kate Allen mit einem sehr einprägsamen Rollenporträt der Mutter zu nennen, mit ihrer sehr gut geführten Altstimme und der ergreifenden schauspielerischen Leistung ein zweiter Aktivposten des Ensembles. Wiard Witholt war ein gehetzter und zerrissener Freiheitskämpfer John Sorell, ausgestattet mit einer flexiblen und klangvollen Baritonstimme. Stanislav Sergeev gelang mit der Interpretation des Agenten der Geheimpolizei eine einprägsame Charakterstudie, auch seine Stimme konnte sich klangschön entfalten. Eine gute Entwicklung hat auch Roman Poboinyi als Nika Magadoff, ebenfalls eine einprägsame Charakterstudie und wohltuend auf charchierende Übertreibungen verzichtend. Sehr einprägsam war der Herr Kofner in László Papps Gestaltung. Etwas blass und indifferent der Assan (einer der Freunde und Mitstreiter des John Sorell) in der Gestalt von Irakli Gorgoshidze. Die drei weiteren Damen, die im Konsulat auf Hilfe hoffen, waren zuverlässig und mit guten Stimmen besetzt: Elene Khonelidze (ausländische Frau), Susanne Simenec (Anna Gomez) und A-Reum Lee (Vera Boronel). Die Regisseurin wertete die „Stimme aus dem Radio“ auf, indem sie diese der Sekretärin als zweites Ich beigab. Das hatte besonders am Anfang durchaus seinen Reiz, führte aber leider dazu, dass die sehr ambitionierte Natalya Boeva als Sekretärin geradezu freundlich und sympathisch erschien, wo sie doch eigentlich als gefürchteter Apparatschik erscheinen müsste, was auch ihre spätere Wandlung glaubhafter erscheinen lassen würde. Ich gebe zu, dass ist „Meckern“ auf sehr hohem Niveau – aber: ich hatte das zweifelhafte Vergnügen solche Art „Vorzimmerdamen“ in meiner Vergangenheit in der DDR kennenlernen zu müssen, so freundlich-verbindlich, wie Frau Boeva hier zu erleben war, ist mir leider keine dieser Damen („Drachen“!) in Erinnerung.
Susanne Simenec (Anna Gomez), Stanislav Sergeev (Agent der Geheimpolizei), Irakli Gorgoshidze (Assan), Roman Poboinyi (hinten Mitte als Nika Magadoff), Sally du Randt (Magda Sorell), Elene Khonelidze (Eine ausländische Frau), Natalya Boeva (Die Sekretärin) – Foto: Jan-Pieter Fuhr
Das Publikum im nahezu ausverkauften Martini-Park verfolgte die Aufführung mit ehrlicher Ergriffenheit und spürbarer Anteilnahme. Es ist dem Werk zu wünschen, dass es weitere Verbreitung findet – es stellt (von der Magda Sorell abgesehen, die eine exponierte und schwierige Partie ist) keine unüberbrückbaren Anforderungen – Augsburg hat das nachhaltig und auf hohem Niveau bewiesen. Hinfahren! Anschauen! Oder besser (an die Theater): Nachspielen.
Werner P. Seiferth