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AUGSBURG/ Martini-Park: DIE ZAUBERFLÖTE

12.01.2020 | Oper

AUGSBURG (Martini-Park): DIE ZAUBERFLÖTE – Besuchte Aufführungen am 10. und (in der Kinderfassung) 11. Januar 2020

Dass Regisseure und Traumaturgen  Stücke der Weltliteratur, die seit über zweihundert Jahren ihre Wirkung beim Publikum nicht verfehlt haben, heute „anders“ lesen, ist weder neu noch originell. Mozarts ZAUBERFLÖTE zu verteidigen, hieße Eulen nach Athen tragen. Mein Besuch dieser Oper im Staatstheater Augsburg galt auch nicht der Premiere, die am 02.12.2018 stattfand, sondern der 20. Vorstellung dieser Inszenierung und war deshalb so gewählt, weil tags darauf  die ZAUBERFLÖTE FÜR KINDER stattfand – es interessierte mich, was da „anders“ war, bin ich doch der Meinung, dass es kaum ein Werk der Opernliteratur gibt, das in seiner Gesamtheit für Kinder geeigneter wäre als eben DIE ZAUBERFLÖTE!

Beide Vorstellungen waren sehr gut besucht, nahezu ausverkauft. In beiden Vorstellungen nahm das Publikum die Aufführung mit staunenswerter Disziplin und am Ende stürmischen Beifall auf. Gewundert hat mich in beiden Fällen die disziplinierte Ruhe – soll heißen: die für eine ZAUBERFLÖTE recht teilnahmslose „Entgegennahme“ – selten habe ich in meinem langen Opernleben einer Aufführung beigewohnt, bei der es während des Spiels so sparsame Reaktionen des Publikums gab. War es Andacht, Verblüffung oder waren es Fragen, die sich stellten und die nicht oder zumindest nicht vollgültig beantwortet wurden. Oder lag es daran, dass die stark gekürzten und teilweise auch veränderten Dialoge den Saal nicht erreichten, was nicht nur an der Akustik, sondern auch an der sehr „verinnerlichten“ (!) Sprechweise gelegen haben mag.   Die Vielschichtigkeit der „Zauberflöte“ speist sich aus einem widersprüchlichen Libretto, das im Zusammenspiel mit der Musik ein überkomplexes Ganzes ergibt. Daraus folgen in der Betrachtung stets aufs Neue zahlreiche Fragen – belehrt mich, kleingedruckt, das Programmheft. Groß gedruckt werden auf der gleichen Seite 19 Fragen aufgelistet, die sich mir teilweise noch nie bei einer ZAUBERFLÖTE gestellt haben. Da aber immerhin von der Musik wenigstens die Rede ist, muss es erlaubt sein, festzustellen, dass eben diese Musik – Mozarts göttliche Eingebung, derentwegen das Werk nicht nur unsterblich sondern eben auch seit über zweihundert Jahren so erfolgreich ist! – offensichtlich zu wenig „befragt“ und wohl auch kaum verstanden wurde. Und das ist das Fragwürdigste an dieser Aufführung. Da hilft auch der Hinweis nicht weiter, dass einzelne historische Instrumente zum Einsatz kamen und man deshalb einen Eindruck erhalten würde, wie es zu Mozarts Zeiten geklungen haben mag. Die Musik wurde recht nüchtern, teilweise oberflächlich heruntergespielt, schon die Ouvertüre – selbstverständlich bei offenem Vorhang! – war, was Tempo und Lautstärke betraf, mehr italienische Spieloper denn filigrane Mozart-Interpretation. Kein guter Tag der Augsburger Philharmoniker unter dem „Nachdirigat“ (Programmheft!) von Ivan Demidov, eher eine routinierte Pflichtaufgabe, der sich das von mir oft sehr bewunderte und auch in diesem Medium immer wieder gelobten Orchesters da entledigte!

Es war jene Zeit der Aufklärungsperiode des 18. Jahrhunderts, da die Menschen ganz Europas auf die Ereignisse der Französischen Revolution blickten, da das aufstrebende Bürgertum auch in Österreich seine Stimme erhob. In den geistigen Strömungen gegen die feudale Unterdrückung spielten die Freimaurer eine große Rolle. Sowohl Mozart als auch sein Librettist Schikaneder gehörten einer jener Logen („Zur gekrönten Hoffnung“) an, die damals Sammelpunkte fortschrittlicher Ideen, des Gedankens der Menschenverbrüderung waren… Die Grundidee des Märchens von tieferer Bedeutung … ist: dass die finsteren Mächte der Rache und Gewalt durch Weisheit und Menschlichkeit überwunden werden   – meinte einst Ernst Krause, ein mehrfach ausgewiesener Opern-Experte. Insofern wäre das Werk heute sogar höchst aktuell. Wenn man das alles über Bord wirft, weil man es nicht zur Kenntnis nehmen will oder für antiquiert hält, verfängt man sich freilich  in einem Labyrinth von Fragen, die zu beantworten Schwierigkeiten bereiten. Wenn Personen-Konstellationen gewaltsam verändert werden, man die rivalisierenden Mächte vermischt, kommt man zwangsläufig in Teufels Küche.

Das beginnt mit der – nicht sehr einfallsreich „bebilderten“ – Ouvertüre: dort hocken drei Damen, gekleidet in Blaumänner (!), und stricken an einem langen gelben „Etwas“ – wer sind sie, was tun sie, warum stört eine blaue Rundumleuchte offensichtlich ihre Arbeit?

Hoppla, hier ist die Königin der Nacht: Olena Stoia (Mitte) mit Roman Poboinyi (Tamino) und den drei Damen Natalya Boeva, Kate Allen und Sally du Randt.
Roman Poboinyi (Tamino), Natalya Boeva (3.Dame) , Olena Sloia (Königin der Nacht), Kate Allen und Sally du Randt (2. Und 1. Dame – v.l.n.r.) – Foto: Jan-Pieter Fuhr 

Das von ihnen erstellte Gestrick erweist sich als großer Schlauch, in den sie hineinkriechen und „die Schlange“ verkörpern können, vor der ein junger Wandersmann (der Kleidung nach, im Straßenanzug mit Hut) erschrickt, der mittels einer Angel auf die Bühne geschleudert wird (das ist in Wahrheit Tamino)! Den kapern die drei, auf dass er Pamina retten solle! Papagenos wichtigstes Anliegen scheint zu sein, festzustellen, dass er „kein Vogel“ sondern ein „Mensch“ sei. Diese fundamentale Eröffnung hätte kein Zuschauer in Zweifel gezogen angesichts seiner „heutigen“ Kostümierung (in Jeans mit ein paar wippenden Schnüren am Hinterteil, die man kaum als „Federn“ erkennen konnte!) Das alles geschieht recht beiläufig zu Beginn des Werkes, erst sehr spät begreift man, dass sie alle vom Marktbuden-Theater-Betreiber Sarastro (!) am Gängelband geführt und beherrscht werden. Das Ganze ist ein Marionettenspiel, gipfelnd in der geradezu grotesken „Rache-Arie“ der Königin der Nacht, die, gefesselt an Marionetten-Schnüren, von den drei Blaumänner-Damen „gelenkt“ wird…

Hier wäre festzustellen, dass  Olena Sloia die Partie der Königin der Nacht mit grandioser Bravour bewältigt, ihre gestochenen Koloraturen und die absolute Höhensicherheit sind das Beste, was an diesem Abend zu hören war, peinlich, dass sich das Publikum nicht zum Szenenapplaus durchsetzen konnte (er verebbte nach zaghaften Versuchen! – siehe oben) Sie hätte ihn freilich verdient gehabt – und die Kinder in der „Kindervorstellung“ waren stärker, als das Abendpublikum – sie spendeten ihr den verdienten Szenenbeifall! Auch die drei Damen Sally du Randt, Kate Allen und Natalya Boeva hatten musikalisch-stimmlich höchstes Niveau und wären neben Wiard Witholt als stimmlich flexiblen Papageno auf der „Haben“-Seite der beiden Abende zu platzieren. Der „Boss“ vom Ganzen, Sarastro, folgte den Regie-Intentionen des Marktschreiers zu sehr, selten habe ich die beiden Arien so gerufen gehört, wie sie Stanislav Sergeev hier zum Besten gab. (Schade um diese Stimme, die im FREISCHÜTZ [Eremit] und in der FORZA [Pater Guardian] zu schönsten Hoffnungen berechtigte.)  Roman Poboinyi und Nienke Otten konnten weder stimmlich noch darstellerisch als Tamino und Pamina überzeugen, auch Sandra Schütt war stimmlich als Papagena nicht ausreichend. Merkwürdig blass der Monostatos von Torsten Hofmann.  Augsburg ist ja auch die Stadt der Domsingknaben, es war beachtlich, mit welcher Sicherheit und Präzision Daniel Spindler, Peter Stoffels und Malte Irmer die drei Knaben bewältigten. (In der Kindervorstellung fielen sie, ebenso wie Monostatos,  einfach weg – ? – ; dafür übernahmen die drei Damen die Rettung Papagenos vor seinem beabsichtigten  Selbstmord und man konnte einmal mehr feststellen, dass Frauenstimmen eben doch klangvoller sind als Knaben je sein können!)  Blieben die beiden Kumpane (!) Sarastros zu erwähnen, die Tamino und Papageno durch den Abend geleiteten, Markus Hauser mit beachtlicher Stimme und Persönlichkeit, Oliver Marc Gilfert mit hell-timbriertem Tenor, allerdings etwas zu bieder im Auftreten.  (Das ist nun auch nicht neu, dass der „Erste Sprecher“ und die verschiedenen Priester zu zwei durchgehenden Partien vereinigt werden; allerdings hat die Sache Grenzen: die „Geharnischten“ der „Feuer- und Wasserprobe“ sind eben doch aus einem anderen Holz geschnitzt, als die Priester. Hier wurden Defizite spürbar – was nur deshalb nicht störte, weil diese Szene ohnehin zur billigen Marktbuden-Show degradiert wurde, keiner wusste so recht, was es eigentlich sollte!)


Kate Allen, Natalya Boeva und Sally du Randt (v.l.n.r.) – Foto: Jan-Pieter Fuhr  

Andrea Schwalbach (Inszenierung) und Anne Neuser (Bühne und Kostüme) fächerten ihre (übrigens für Augsburg nicht aus erster Hand entstandene Inszenierung – sie kam aus Bielefeld, wo sie 2015 Premiere hatte!) als buntes Kaleidoskop bewegter Bilder auf, dessen Zusammenhänge oft vage blieben, eine Geschichte wurde eigentlich nicht erzählt. Man setzt voraus, dass man anfangs weiß, dass es die drei Damen der Königin sind, wundert sich später, dass eben diese Damen ihre vermeintliche Chefin an Strippen führen, weil ja in Wirklichkeit Sarastro alles lenkt und leitet – und die nicht mehr zu verwendende Königin rücklings über ein Möbelstück „entsorgt“.  Der Konflikt zwischen Gut und Böse wird nicht gestaltet, höchstens die Markt-Buden-Show von Herrn Sarastro. Dabei gibt es keinen Stillstand, immer bewegt sich etwas, immer ist „action“. Das ist mir für das Stück etwas wenig. Und nicht zuletzt: man muss in der Oper auch (wieder!) lernen, dass man mal zwei Seiten Musik ertragen kann, ohne dass einer auf der Bühne einen Purzelbaum schießt!

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Roman Poboinyi (Tamino) und die drei Knaben von den Augsburger Domsingknaben Jack Crosby, Moritz Blank, Samuel Winckhler (v.l.n.r., Premierenbesetzung) – Foto: Jan-Pieter Fuhr

Noch weniger wird es dann in der Kinder-Version: eine mittlerer „Opernquerschnitt“ auf eine Stunde mit harten Schnitten zusammengestutzt und ohne eigentliche Geschichte. Ich habe die Kinder ob ihrer Disziplin bewundert, ob sie das Stück haben verstehen oder für sich entdecken können, vermag ich nicht zu sagen, zweifellos hat sie das Bühnengeschehen  überwältigt. Und nach genau 60 Minuten war alles vorbei, die halbe Ouvertüre, eine halbe Arie nach der Anderen…

Ist es das? Kann es das sein?  Ich denke nicht und ich war froh, dass ich meine Tochter, die freilich dem Kindesalter längst entwachsen ist aber die ZAUBERFLÖTE noch nie gesehen hat, nicht mitgenommen habe nach Augsburg. Sie hätte mir hinterher wieder Vorwürfe gemacht, dass ich ihr ein anderes Stück erzählt hätte, als sie es sehen konnte. Ich werde ihr das Video von einer Münchener Aufführung aus 1983 schenken, da erzählen Wolfgang Sawallisch, August Everding und Jürgen Rose das Stück  so faszinierend und schlüssig, dass kein Kind dafür eine „Vorbereitung“ braucht. Und – obwohl die Aufnahme über dreißig Jahre alt und  die ihr zugrunde liegende Inszenierung noch älter ist – ist sie heute noch „gültig“, weil sie wahrhaftig und ehrlich ist.  Wie die ZAUBERFLÖTE!

Ich habe mich geärgert über diese beiden Abende, ist gebe es zu. Und kein Mensch gibt sein Geld dafür aus, dass er sich ärgert.

Werner P. Seiferth

 

 

 

 

  

 

 

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