AUGSBURG: „LADY MACBETH VON MZENSK“ von Dimitri Schostakowitsch (Premiere am 16.04.2016)
In Augsburg findet seit Jahren aufregendes Musiktheater statt, worüber ich schon oft mit Hochachtung berichten konnte. Das liegt zu allererst an den vor Ort gegebenen Möglichkeiten eines Opernensembles, das Vergleiche – auch mit größeren Theatern – nicht zu scheuen braucht: ein sehr gutes Solistenensemble wird von einem hervorragenden Chor und einem grandiosen Orchester bestens unterstützt, eine mutige Theaterleitung „mutet“ seinem Publikum (jeweils mit Erfolg!) auch Werke zu, die man andernorts eher scheut. Und so ist Augsburg immer wieder eine gute Adresse für Neues, Aufregendes… Auch im Falle von Schostakowitschs LADY MACBEH VON MZENSK war das so – ein dem Werk entsprechender „bedrückender“, dennoch aber großer Gesamteindruck, der freilich Fragen aufwarf (wieso sollte das nicht so sein?!), dessen Gesamtwirkung allemal nachhaltig ist und zu dem besten zählt, was ich in den letzten fünf Jahren an ohnehin sehr guten Aufführungen vor Ort erleben konnte.
Man hat sich für die „Urfassung 1932“ entschieden und für eine Aufführung in deutscher Sprache – beides war richtig. Wenn man Mstislav Rostropovich glauben darf – und daran besteht nicht der geringste Zweifel – hat Schostakowitsch selbst kurz vor seinem Tode zu ihm gesagt: „Wenn du Lady Macbeth aufführst, verwende bitte die erste Fassung“. Damit hat der Komponist selbst zum Ausdruck gebracht, dass er diese als verbindlich ansah. Die Geschichte des Werkes mit Verboten und Bearbeitungen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine Urgestalt lebensfähig geblieben ist (und übrigens in den Jahren von der Uraufführung 1934 bis zu Stalins Verdikt im Jahre 1936 auch international seine Wirksamkeit bewiesen hat). Und auch die zweite Entscheidung, das Werk in deutscher Sprache aufzuführen, möchte ich verteidigen: Peter Konwitschny selbst hat einmal gesagt, dass, wenn Engländer oder Deutsche tschechisch singen, es nichts mit „Originalsprache“ zu tun hat (dies war im Zusammenhang mit seiner Grazer „Jenufa“-Inszenierung, die ebenfalls in Augsburg sehr erfolgreich gespielt worden ist); der deutsche Zuschauer hat es wesentlich leichter, wenn er wenigstens in großen Teilen dem Text aus Sängermund folgen kann und nicht abendfüllend auf die Übertitelungs-anlage angewiesen bleibt; daran ändert die Tatsache nichts, dass man nicht jedes Wort verstehen kann – wo kann man das schon? (Wer bei den Höhenkantilenen eines Richard Strauss oder bei Wagners großen Ausbrüchen jemals jedes Wort verstanden hat, möge sich melden!)
Augsburg konnte erneut Peter Konwitschny als Regisseur gewinnen, der die Inszenierung nun freilich schon in Kopenhagen erarbeitet hatte. Das war – entgegen anders lautenden Meinungen – kein Nachteil, außerdem ist es zwischenzeitlich völlig legitim, Inszenierungen international mehrfach zu spielen, selbst größte Institute wie Salzburg und Paris praktizieren es derzeit mit den „Meistersingern“. Weshalb eine gute Inszenierung nur deshalb schlechter sein soll, weil sie „von zweiter Hand“ erarbeitet wurde, ist nicht nachvollziehbar – und im vorliegenden Fall auch nicht richtig, denn Konwitschny hat die Proben in Augsburg großenteils selbst geleitet.
„Lady Macbeth von Mzensk“ – 9. Bild (Foto: A.T.Schäfer – Theater Augsburg)
Bliebe seine Konzeption: sie ist stimmig, dem Werk entsprechend. Er beschränkt sich auf eine karge Bühne, auf stimmige Kostüme (beides kongenial geschaffen von Timo Dentler und Okarina Peter), sie findet statt in einem geschlossenen, fast sterilen „Kasten“, der die Bühne ohne jede Tür umschließt, über ein Laufband werden auf das Notwendigste beschränkte Details an Möbeln und Requisiten herein- bzw. herausgefahren. Die Konzentration auf das Wesentliche, den Menschen, wird so in einer bezwingenden Weise erreicht und die Aufmerksamkeit des Zuschauers wird, fern aller hier völlig falsch wirkender „Folklore“, auf den Menschen – auf die Menschen des Geschehens konzentriert. Und Konwitschny ergreift Partei für seine Titelheldin: [die] „… das Opfer einer zutiefst lebensfeindlichen Gesellschaft [ist] … das heißt, das Stück weist auf die Notwendigkeit der fundamentalen Veränderung des Verhältnisses des Mannes zur Frau, zur Mutter Erde, ja zu allem Lebenden hin.“ So erleben wir eine klar überschaubare Handlung mit „schwarz-weißen, also grau wirkenden Kostüme[n] des Chores und der Nebenfiguren, von denen sich nur die fünf Hauptfiguren abheben, die als einzige in reinen Grundfarben herausleuchten.“ (Konwitschny im Programmheft). Soweit, so gut. Konwitschny fügte lediglich Kinder-Statisten ein, deren Funktion sich mir erst sehr spät erschloss und die ich möglicherweise auch falsch verstanden habe: sollten es die „Träume“ der Katerina sein, von denen ja zumindest am Anfang des Werkes die Rede ist, beim Monolog im 3. Bild hat mich das auf Anhieb überzeugt, später, am Ende des Stückes war es schwieriger, dieser Lesart zu folgen, obgleich die Kinder es hervorragend spielten. Und wenn Konwitschny davon spricht, dass es in diesem Stück keine Perversitäten gibt, sondern nur Wahrheit, wird er nachhaltig vom Komponisten unterstützt: die Musik ist allemal stärker und eindeutiger, als noch so phantasievolle „Übersetzungen“ in einer historisierenden Form es jemals sein könnten. Das berühmte Posaunenglissando beispielsweise, das die Erschöpfung des alten Boris nach der Vergewaltigung seiner Schwiegertochter charakterisiert, ist absolut eindeutig, ohne dass man die Sache selbst vorher „realistisch“ hätte ausspielen können, weshalb solches in dieser Inszenierung auch nicht stattfindet. (Übrigens findet auch die Szene mit Aksinja in einer geradezu genial gelungenen „Abstraktion“ statt: sie wird hereingefahren gefesselt in einer Tonne, an deren Ende sich das Mannsvolk „verlustiert“: jeder erkennt sofort, was stattfindet ohne sich vor der Grausamkeit des Vorganges zu „ekeln“; und die Parteinahme Katerinas für das Opfer wird umso glaubhafter.) Die Grenze zwischen Tragik und Groteske ist ein besonderes Merkmal dieser Oper, in dieser Aufführung wurde auch das mit großer Deutlichkeit herausgearbeitet, wobei die Ergebnisse im Einzelnen natürlich auch von den Möglichkeiten der einzelnen Sängerdarsteller abhängig sind.
„Lady Macbeth von Mzensk“ – Szene aus dem 2. Bild mit Andrea Berlet (Aksinja), Matthias Schulz (Sergeij) und dem Chor des Theaters Augsburg (Foto: A. T. Schäfer)
Ein Glücksfall für die Aufführung (ich weiß, dass ich dies schon mehrmals feststellen konnte in den letzten fünf Jahren – gerade deshalb nochmal und mit Nachdruck!) ist die großartige Sopranistin Sally du Randt. Ihr gelingt es im Darstellerischen überzeugend, ihre Situation und ihre Nöte zu verdeutlichen und so wird sie selbst durch die Grausamkeiten ihrer Handlungsweisen zur Sympathieträgerin – was letztlich von der Regie beabsichtigt war und einzig für die Geschichte als Rechtfertigung dient. Was ich an ihr immer noch mehr bewundere, ist ihre gesangliche Leistung: sie singt diese monströse Partie mit allen Schattierungen, die notwendig sind, mit aller Härte und Schärfe des Ausdrucks, die man erwartet – aber sie „singt“! Es gibt keine schrillen oder unkontrollierten Töne, es gibt eine bewundernswerte gesangliche Linie, so, wie es der Komponist beabsichtigt hat, denn die Partie ist „durchweg lyrisch und rein kantabel angelegt – von dem innigen Lied im 1. Akt … bis hin zur furchtbaren Erzählung … der auf dem Weg nach Sibirien als Trugbild durch die kranke Phantasie Katerinas huscht.“ (Iwan Sollertinski) In einem kürzlich veröffentlichtem Beitrag der „Augsburger Allgemeinen“ sagt sie selbst dazu: „Emotion und Ausdruck müssen stimmen, dann passt auch der Klang der Stimme dazu. Wenn ich aggressiv spiele, kommt automatisch auch ein aggressiver Klang“. Sie trägt die Aufführung in wunderbarer Weise, sie vermag glaubhaft zu machen, was Konwitschny beabsichtigt hat: ein Opfer, das aus der grausamen Umwelt nur mit grausamen Taten ausbrechen kann und folgerichtig am Ende selbst in den Tod geht. Eine sehr bewegende, erschütternde Leistung – Bravissimo!
Sally du Randt als „Lady Macbeth von Mzensk“ (Foto: A. T. Schäfer – Theater Augsburg)
Nächst ihr möchte ich den Chor und Extrachor des Theaters Augsburg nennen, der in der vorzüglichen Einstudierung von Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek klangvoll, präzise und mit großer darstellerischer Präsenz den Abend wirkungsvoll zum Ereignis werden ließ; es spricht für die Leistungsfähigkeit dieses Klangkörpers, dass zwei der nachhaltigsten Episoden des Werkes von Mitgliedern eben dieses Ensembles beigesteuert wurden: Andrea Berlet mit kräftigem Sopran in der wichtigen Rolle der Aksinja und Markus Hauser als stimmgewaltiger, klar deklamierender Polizeichef (dem man allerdings den Prosa eingeschobenen Stalin-Witz vor dem letzten Bild ersparen sollte!). Was hier vom Chor (wieder einmal!) geleistet wurde, ist eine Klasse für sich. Bravo!
In den weiteren Solisten-Partien gab es naturgemäß Unterschiede, nachhaltige Episoden boten die attraktive und stimmschöne Kerstin Descher als Sonjetka und der immer wieder über-zeugende und beeindruckende Stephen Owen als Alter Zwangsarbeiter. Sie standen für die Leistungsfähigkeit des Solistenensembles ebenso, wie Christopher Busietta als „Schäbiger“, eine eindrucksvolle Charakterstudie des vielseitigen Sängerdarstellers. Dagegen hatte Ji-Woon Kim als Sinowij kaum Chancen zu großer Entfaltungsmöglichkeit, was allerdings auch der Rolle geschuldet ist. Matthias Schulz konnte als Sergej mit einer sehr beachtlichen gesanglichen Leistung aufwarten, blieb in der darstellerischen Gestaltung allerdings merkwürdig blass und undifferenziert. Young Kwon konnte als Boris wohl gewaltige stimmliche Möglichkeiten einsetzen, blieb allerdings der sprachlichen Diktion vieles schuldig, was heißen soll – er war sehr schwer zu verstehen, was denn auch auf seine Gesamterscheinung sich unvorteilhaft auswirkte. Und auch Vadim Kravets blieb dem Popen einiges schuldig, wodurch gerade hier das Groteske kaum zu erkennen war. Durch diese Defizite kam das Verhältnis zwischen Tragik und Groteske nicht voll zum Tragen, was den Gesamteindruck etwas beeinträchtigte. Sichere Gestaltungen der kleineren Partien trugen Giulio Alvise Caselli, Georg Festl und die Mitglieder des Chores Sandra Schütt, Erik Völker, Gabor Molnar, Oliver Scherer, Herbert Holbaum und Eckehard Gerboth bei.
Ohne Frage war dies ebenso ein großer Abend für die Augsburger Philharmoniker, die in großer Besetzung und mit einer kompetent hinzu engagierten 13-köpfigen Bühnenmusik unter Leitung von Domonkos Héja der komplizierten Partitur Schostakowitschs in hohem Maße gerecht wurden und nicht nur im Ganzen, sondern auch durch mannigfache Instrumental-Soli das Geschehen auf der Bühne bedeutungsvoll unterstützten. Dass die Partitur Überzeichnungen an bestimmten Stellen des Werkes vorschreibt, ist die eine Sache, dass der klangliche Rahmen an eben diesen Stellen die akustische Schmerzgrenze nicht nur erreichte, sondern fallweise überschritt, bleibt festzuhalten. Im Ganzen könnte der orchestrale Teil der Szene noch mehr nützen, wenn man weniger auf Lautstärke setzen würde, sie kann den schneidenden Zugriff auf diese Musik nicht ersetzen und behindert die Textverständlichkeit aller Protagonisten doch recht erheblich.
Trotz dieser Einwände bleibe ich dabei: es war ein großer und auch vom Publikum einhellig angenommener Premieren-Abend; das Stück gibt kaum Anlass zu Jubel, aber es beeindruckt und die Menschen im Saal haben das verstanden und mit großer Bereitschaft auch in ihrem Schlussbeifall zum Ausdruck gebracht, der überzeugend, herzlich und anhaltend war und das Regie-Team ausdrücklich einbezog. Bei einer geschickteren „Vorhangordnung“ hätte es da durchaus noch Reserven gegeben – auch das bemerke ich in Augsburg nicht zum ersten Male.
Werner P. Seiferth