Augsburg – Verdi, Messa da Requiem – als 2. Sinfoniekonzert im Kongress am Park am 20. und 21. November 2017
Ob Ratlosigkeit die angemessene Vokabel ist, die ich meinen beiden Eindrücken von Verdis REQUIEM in Augsburg als Resümee beigeben sollte, weiß ich nicht. Jedenfalls bleibt zu melden, dass an zwei Abenden dieses stattfand, mit gehörigem Aufwand und spürbar guter Vorbereitung – aber ohne Nachhaltigkeit. Selten bin ich so unberührt aus einer, aus beiden Aufführungen entlassen worden…
Verdis MESSA DA REQIEM ist ein schweres Werk, ein Werk, das erschüttert – selbst Hans von Bülow, der zweifellos das eklatanteste Fehlurteil über dieses Werk fällte (das steht in jedem Musikgeschichtsbuch und wird natürlich auch im Augsburger Programmheft wiederholt, ohne dabei wenigstens zu vermerken, dass es von Augsburg aus in die Welt posaunt wurde – Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 148, vom 18. 05. 1874 ! ) bekannte Jahre später, dass er dies oft bereut und sich bitterlich geschämt habe über diesen Schwachsinn (Bülow brieflich am 7. April 1892 an Verdi – davon ist im Augsburger Programmheft leider nicht die Rede!); vielleicht liefert Bülow auch gleich die Antwort auf meine Ratlosigkeit mit, wenn er an Verdi schreibt: Ich habe mit dem Studium Eurer letzten Werke begonnen: mit der AIDA, dem OTELLO und dem REQUIEM, das mich neulich selbst in einer ziemlich dürftigen Wiedergabe bis zu Tränen bewegt hat. Ich habe diese Werke nicht nur nach dem Buchstaben, der tötet, studiert, sondern im Geiste, der wiederbelebt! Nun wohl, sehr verehrter Maestro, jetzt bewundere ich Euch, ich liebe Euch! Wollt Ihr mir verzeihen … ich muß vergangene Schuld bekennen, wenn es auch nur dazu dienen möge, den jüngeren verirrten Brüdern ein Beispiel zu geben. Liegt der Schlüssel im Unterschied zwischen Buchstaben und Geist? Es muss wohl so sein, denn ich kann – den Buchstaben nach – keine Fehler nachweisen, aber berührt hat es mich dennoch nicht. Clara Maffei, eine enge Freundin von Verdi, brachte es auf den Punkt, als sie 1874 in einem Brief an Carlo Tenca schrieb: ich … bin überzeugt, daß bei jedem Kunstwerk, wenn es wirklich höchsten Ranges ist, das Herz beteiligt sein muß und vielleicht von ihm die Inspiration kommt .
Der große Saal im Augsburger Kongress am Park dient seit viele Jahren als Konzertsaal, auch Oper wurde hier schon gespielt, z. B. im vergangenem Jahr der OTELLO (nachdem das Große Haus des Theaters kurzfristig nicht mehr zur Verfügung stand). Bei diesen OTELLO-Aufführungen empfand ich die Akustik als ungünstig und habe das auch kritisiert (online-MERKER , 19.02.2017 ) Und die Frage nach dieser Akustik war für mich eine wesentliche Motivation, einmal ein Konzert mit „großer Besetzung“ (also neben Orchester auch Chor und Solisten) an zwei aufeinanderfolgenden Abenden zu besuchen und dabei unterschiedliche Plätze zu wählen, einmal im Parkett – hintere Mitte, dort, wo die Sitzreihen erhöht sind, ein zweites Mal im Rang. Die unterschiedlichen Plätze konnten freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Akustik heikel bleibt. Man darf also davon ausgehen, dass den „Machern“ die Tücken des Saales bekannt sind und sie mit ihnen umgehen können. Leider musste ich auch hier wieder feststellen, dass dem nicht so zu sein scheint.
Domonkos Hejá setzt auf Genauigkeit und Präzision, wählt zu diesem Zweck eher breitere Tempi (Gesamtdauer jeweils an die 90 Minuten) und vertraut auf die Kraft der Überrumpelung durch Lautstärke. Nach ruhigem, durchaus auch klangvoll gestaltetem Beginn brach das „Dies Irae“ in einer entfesselten Wucht los, die zwar zu diesem Teil gehört, aber bitte schön doch auch die Vielfalt des musikalischen Satzes, die völlig auf der Strecke blieb. Wenn beim Chor-Einsatz vom Chor nur noch die g’s bleiben und von den entsprechenden Orchester-Trillern unterstütz werden, man hingegen die Melodieführung in der abwärts schreitenden Chromatik und die damit verbundenen Triolen kaum erahnen kann, dann darf man wohl enttäuscht feststellen, dass dies höchstens der halbe Verdi gewesen ist, den man zu hören bekam. Ähnliches wiederholt sich kurz danach: die Trompeten-Einleitung vor dem „Tuba mirum“ gelingt sehr differenziert und wirkungsvoll mit einer organischen Steigerung, um dann beim Choreinsatz von einem Orchestertutti erschlagen zu werden, der wesentliche Teile des Satzes überflüssig macht – nicht nur den Choreinsatz, den man kaum hören kann, sondern eben auch die doppelt geführten Sextolen bzw. Triolen in Holzbläsern und Streichern, die chromatisch nach unten führen – das alles wird von Stentortönen des Blechs übertönt und erschlagen. Lautstärke als Stilmittel – das kann es doch wohl nicht sein! Da dieser das Werk dominierende Teil mehrmals wiederkehrt, zog sich dieser Grundcharakter durch den Abend – als „Event“ mag das durchgehen, mit Musik hatte es nicht viel zu tun. Schade! (Und insofern stimmten eben auch die „Buchstaben“ nicht, dynamische Vorschriften in der Partitur sind ebenso wichtig, wie die Noten selbst!)
Die Augsburger Philharmoniker haben als Klangkörper in vielen und sehr unterschiedlichen Werken ihre Klasse bewiesen, der Philharmonische Chor Augsburg (Einstudierung: Wolfgang Reß) und der Opernchor des Theaters Augsburg (Einstudierung: Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek) trugen mit Sicherheit, Präzision und Klangfülle wesentliche Passagen des Werks und sind nicht verantwortlich für ihren Untergang in den orchestralen Klangorgien. Selbstverständlich gab es auch Ruhepunkte, die versöhnten – etwa wenn Sally du Randt ein geradezu ätherisches ges‘‘ als Schwellton ansetzt und steigert (Salva me) und daraus eine organische Steigerung erwächst, die allerdings schon wenige Takte später im abermaligen Fortissimo mündet, ein Missverständnis! Verdi schreibt dort ausdrücklich nur ein einfaches forte vor und will den Nachdruck mittels Tempodifferenzierung erreichen, die in dieser Aufführung kaum greift – schon beim „sempre animato“ ist Breite und Lautstärke optimal, eine Steigerung zu „allargando stentando“ ist kaum mehr im eigentlichen Sinne (schleppend, zögernd) möglich, sondern wird zusätzlich akzentuiert (was nicht in der Partitur steht!) Überhaupt gingen die Ruhepunkte von den Solisten, eigentlich den Solistinnen aus: sowohl die bereits erwähnte Sopranistin Sally du Randt als auch ihre Mezzo-Kollegin Rita Kapfhammer brachten überzeugende Verdi-Kompetenz ein, die Abschnitte wie „Recordare Jesu pie“ oder auch das „Offertorio“ und später das „Agnus dei“ und das „Libera me“ zum Erlebnis werden ließen. Dass der Tenor Paulo Ferreira indisponiert gewesen sein soll, erfuhr man erst, als am folgenden Tag Dean Power einsprang und mit seiner lyrischen Stimme sich diszipliniert und einfühlsam erwies. Der junge Stanislav Sergeev wurde der Basspartie in hohem Maße gerecht und bewies am zweiten Abend bereits gewachsene Sicherheit – ein sehr wichtiger Zugang zum Augsburger Ensemble, wie ich bereits nach dem FREISCHÜTZ feststellen konnte.
Bülow schrieb an Verdi (siehe oben), dass das Werk ihn in einer dürftigen Wiedergabe fast zu Tränen bewegt hat. Dass die Wiedergabe dürftig gewesen wäre, will ich um Gottes Willen nicht behaupten. Aber – um im Bild zu bleiben – meine Tränen wurden mir ausgepaukt und Gänsehaut stellte sich schon gar nicht ein. War es die sachliche Distanz, die man auch mit Kälte charakterisieren könnte, die mich ärgerte – jedenfalls wäre mir eine dürftigere Wiedergabe mit Herz (!) lieber gewesen.
Werner P. Seiferth