Augsburg: Jubiläumskonzert 25 Jahre Richard-Wagner-Verband – 14.11.2021
Salon Orchester Frank Lippe. Im Bild links Alejandro Marco-Buhrmester (Bariton), BetsyHorne (Sopran), Hilde Lutz (Richard-Wagner-Verband, Zurab Zurabishvili
Wo immer in aller Welt sich seit Wagners Lebzeiten solche Verbände entwickelt haben, die der Meister auch selbst angeregt hat, weil sie bei der Finanzierung von Aufführungen bzw. im konkreten Fall zur Ermöglichung der Bayreuther Festspiele beitragen sollten, und nun seit Jahrzehnten auch dem Künstlernachwuchs dienlich sind, gibt es zwar Anwärter auf solch leitende Posten, die (wie in jeder Branche) sich selbst am wichtigsten sind, aber auch solche, denen ihre leidenschaftliche Liebe zur Musik und speziell zur Oper die Kraft zu einem immensen organisatorischen und finanziellen Aufwand verleiht. Augsburg darf sich rühmen, in Hilde Lutz eine solche Führungskraft zu besitzen, die ein echtes Gespür für außergewöhnliche Talente besitzt und diese nicht nur an Theater oder Konzerthäuser vermittelt, sondern auch in eigenen Veranstaltungen zum Einsatz bringt.
Ein erfolgreiches Vierteljahrhundert Dienst am Werk gab den willkommenen Anlass zu diesem Abend mit 3 Sängern und 6 Musikern auf dem Podium des Kleinen Goldenen Saales. Der prächtige spätbarocke Festsaal im ehemaligen Augsburger Jesuitenkollegs St. Salvator nahe dem riesigen Augsburger Dom war allein schon kennenlernenswert…
13 Opernausschnitte und 2 italienische Lied-Schlager, „Musica proibita“ am Beginn und als Draufgabe „O sole mio“ erbrachten den Beweis, dass gekonnter, erfüllter Gesang auch ohne Kostüme und szenischen Aufwand enorme Wirkung zeitigen kann. Keine der vorgetragenen bzw. vor Publikum nacherlebten Kantilenen oder Szenen ging ohne lautstarke Bravorufe über die Bühne!
Tenor, Sopran und Bariton buhlten mit Genuss um die Gunst des Publikums, aber auch der Dirigent und Pianist Frank Lippe mit seinem „Salonorchester“ (Eva Berschet und Dace Salmina-Fritzen, Violine, Jakob Janeschitz-Kriegl, Violoncello, Herbert Engstler, Kontrabass, und Klarinette, Jochen Schwarzmann) vermochten immer wieder expressive Töne zu diversen kleinen Operndramen beizutragen.
Als erster sorgte der Tenor Zurab Zurabishvili mit Kraft und Leidenschaft, Höhenstrahl und Aussageintensität – „vorrei baciare“ in seinem „Canzon‘ d’amore“ – für heftigen Publikumszuspruch.
Kein besserer Prolog als jener aus „I Pagliacci“, dargeboten vom Bariton Alejandro Marco Buhrmester, hätte die Anwesenden zur Teilnahme an der aufregenden Opernwelt animieren können. Der hispano-deutsche Sänger, den ich als Bayreuther Amfortas und Gunther in guter Erinnerung hatte, erwies sich auch im italienischen Bereich als exzellenter Sängerdarsteller, bei dem Mimik, Gestik und eine rühmenswerte Wortdeutlichkeit zu allgemeiner Verständlichkeit des Gesungenen beitrugen. Zweimal durfte dann Puccini das Publikum erobern. Zurabishvili ließ Cavaradossis imaginäre Sterne blitzen bzw. leuchten („E lucevan le stelle“), im Bewusstsein seiner bevorstehenden Hinrichtung. Und im Gegensatz dazu ließ die Sopranistin Betsy Horne mit viel Charme sowie verbaler und klanglicher Differenzierung hoffnungsvoll in Mimis Arie „Mi chiamano Mimi“ ihre bereits erwachten Gefühle für Rodolfo Klang werden, ehe sie sich in der übernächsten Gesangsnummer, „Es gibt ein Reich“, als Ariadne zu Wort und Ton meldete. Kein Fünkchen von englischem Akzent trübte den Hörgenuss der gebürtigen US-Amerikanerin, und ihr Stimmvolumen ließ auch für dieses Fach aufhorchen. Dazwischen durften sich die beiden Liebeskonkurrenten Don Alvaro und Don Carlo di Vargas, in Gestalt von Zurab Zurabishvili (der in dieser Rolle zuletzt in Klosterneuburg 2021 begeistern konnte) und Alejandro Marco Buhrmester aus der „Forza del destino“ mit Verdischer Bühnenintensität austoben. Der Bariton ließ es dann auch bei Umberto Giordanos Arie des Gerard aus „André Chenier“ an verbaler und klanglicher Differenzierung nicht fehlen.
Und dann: endlich Wagner pur – ausschnittweise 1. Akt „Walküre“ mit Horne und Zurabishvili als Wälsungenpaar. Von Sieglindes Bericht „Der Männer Sippe saß hier im Saal“ über die dem Wonnemond weichenden Winterstürme bis zum final erblühenden Wälsungenblut wurden alle Mitwirkenden, nicht zuletzt die Instrumentalisten, den Wagnerschen, nicht eben bescheidenen Ansprüchen vollstens gerecht!
Daraufhin nicht ganz unnötig: Pause.
Danach bestens passend: „Dich, teure Halle grüß ich wieder“, von Betsi Horne für alle Anwesenden einmal mehr zum „geliebten Raum“ erklärt, dank stimmlicher Leuchtkraft der Sopranistin und sichtlichem Wissen, worum es der – später heiligen – Elisabeth auf der Wartburg jetzt geht.
Danach darf sich und uns der Bariton mit eindringlicher Worttongestaltung an der Besingung des „holden Abendsterns“ delektieren, begleitet vom Streicher-Team, das sich, zusammen mit dem Klavier, ganz besonders im Nachspiel (Cello!) traurig-schön hören lässt.
In Riccardo Zandonais Arie des Romeo kann Zurabishvili zur Abwechslung beweisen, dass seiner Stimme betörende italienische piano-Kultur und das x-fach wiederholte, um seine Giulietta geklagte „morta“ mit dem endlosen “Ahimeeeeeee“ am Ende auch nicht fremd ist.
Freudigeres darf anschließend Buhrmester als Hans Sachs verkünden: Erkenntnisreich lässt er den Flieder duften, Stolzings Poeterei als Lenzesgebot deklarieren und, unterstützt von der Klarinette, „dem Vogel, der heut sang“, einen „hold gewachsenen Schnabel“ zusprechen. Einmal mehr versteht man, was Richard Wagner mit der Sachs-Figur für Nürnberg getan hat! (Ich erinnerte mich an meine Begegnung mit einem australischen Opernliebhaber in Bayreuth, der sein Berufsleben lang dafür gespart hatte, dass er nach seiner Pensionierung endlich einmal nach Nürnberg reisen konnte, um die Meistersingerstadt „live“ kennen zu lernen.)
Noch weiter zurück in die mögliche Historie führt uns Betsy Horne als Elsa von Brabant, die sich sehr imaginativ, aber glaubwürdig, einen Ritter erträumt, der für sie streiten soll – mit langem Atem und einem Wohlklang in allen Lagen, der diesen Wunsch nicht unberücksichtigt lassen kann….
Dann aber wieder: Otello und Jago geraten wild aneinander und das Salon-Orchester tobt sich geradezu erschreckend aus: „Oh, mostruosa colpa!“ – ja, man kann in der Oper den Verstand verlieren….
Und trotzdem, wie Zurab Zurabishvili in seiner Draufgabe sehr glaubwürdig versichert: „Che bella cosa!“
Finalmente – der langen Schreibe kurzer Sinn: Intendanten, nehmt Euch dieser Künstler an!
Wie ich beim anschließenden Beisammensein mit den Mitwirkenden erfuhr, sind sie alle für ein weit gestrecktes Opernrepertoire offen und der Tenor ließ mich ich vor allem wissen, wie begierig er – insbesondere jetzt, nach dem langen Lockdown, auf den Siegfried, Tannhäuser und Tristan ist, Rollen, die seiner Stimme keine Probleme bereiten und aufregende Gestaltungsmöglichkeiten beinhalten. Und am allerbegierigsten ist er auf den Otello!
Sieglinde Pfabigan