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Aufgefallen: PELAGEYA KURENNAYA – Ein Name, den man sich merken muss

20.08.2017 | Themen Kultur

Aufgefallen: PELAGEYA KURENNAYA – Ein Name, den man sich merken muss

Viele Musikfreunde haben es sicherlich gleich mir erlebt, dass einen eine Stimme nach nur wenigen Tönen aufhorchen lässt und gefangen hält, ein spezifisches, ganz unverwechselbares Timbre von hohem Wiedererkennungswert. Dies war mir wieder einmal – es ist schon einige Zeit her –  in München passiert. Valery Gergiev, der Chefdirigent des Mariinsky-Orchesters und der Münchner Philharmoniker, hatte an diesem Tage dem Münchner Publikum ein Prokofiev-Marathon präsentiert – 5 Konzerte an nur einem Tag. In einem dieser Konzerte war das Programm kurzfristig geändert und Rodion Shchedrins Tanya-Katya angesetzt worden, eine Romanze für Sopran und Streicher, vielleicht zu Ehren des in München lebenden und bei diesem Konzert anwesenden Komponisten. Solistin die mir bis dato völlig unbekannte PELAGEYA KURENNAYA, die – wie eine schnelle Recherche ergab – am St. Petersburger Konservatorium studierte, aber schon als Gast am Mariinsky-Theater kleine Aufgaben übernahm. Wie bei Gergiev nicht unüblich, war Tanya-Katya quasi als Generalprobe für München bereits in St. Petersburg aufgeführt worden.


Pelageya Kurennaya mit Rodion Shchedrin und Alisa Meves vom Mariinsky-Theater.Foto: privat

Nach dem Konzert ging ich zusammen mit dem Komponisten hinter die Bühne und machte der jungen Solistin Komplimente. Auf meine Frage, welches Fach sie denn sänge, antwortete Shchedrin statt ihrer: „Sie kann sehr hoch singen.“ Das stimmt, und doch hatte ich den Eindruck, es hier mit einem jungen, im Grunde genommen lyrischen Sopran zu tun zu haben. Sofort im ersten Moment auffallend das individuell dunkle Timbre, dazu eine vollkommen homogen geführte Tonproduktion, die von den tiefsten Tönen im nicht künstlich verdickten, sondern ganz natürlich produzierten Altregister bis hin zur Höhenlage in berückenden piani keinerlei Bruch aufwies. Eine Klangfarbe, die mir irgendwie bekannt vorkam und mich an die junge Anna Netrebko zurückdenken ließ. Derselbe süffig-dunkle Klang in der Mittellage, doch mit weniger technischen Mängeln als bei der jungen Netrebko behaftet, die (zumindest mich) in ihren Anfangsjahren (Mitte der 90er Jahre) mit zu steifem Tonansatz und Intonationsproblemen irritiert hatte. So war es denn auch keine Ûberraschung, als ich erfuhr, dass Pelageya Kurennaya am St. Petersburger Konservatorium bei derselben Lehrerin studierte, die schon Anna Netrebko unterrichtet hatte – Tamara Novichenko.


Pelageya Kurennaya mit ihrer Lehrerin Tamara Novichenko, die schon Anna Netrebko unterrichtet hatte (Foto: Archiv Sune Manninen)

Wie schon Anna Netrebko länger als ein Jahrzehnt in Koloraturpartien reüssiert hatte, sang auch Pelageya Kurennaya in ihren ersten Studienjahren Arien dieses Genres, doch kann man bei den diversen bei You Tube geposteten Video-Clips mit z. B. Sonnambula-Amina oder Lucia schon erahnen, dass ihre Zukunft auf Grund des relativ dunklen Timbres im lyrischen Fach liegen würde, doch mit einer guten Geläufigkeit und der Fähigkeit, – wie schon Rodion Shchedrin sagte – sehr hoch zu singen.

Dass der Komponist mit seiner Einschätzung nicht falsch lag, davon konnte ich mich bei einem Besuch seiner letzten Oper „Christmas Tale“ überzeugen, bei der Pelageya Kurennaya in der Welturaufführung im Dezember 2015 Zamarashka, die weibliche Hauptrolle, anvertraut worden war, und dies – welch‘ ein Kompliment für die junge Künstlerin – in fast allen von Valery Gergiev geleiteten Aufführungen. In dieser Cinderella-Story à la Russe hatte Shchedrin die Rolle der Zamarashka in einer sehr hohen Lage notiert, und dazu alles in piano oder sogar pianissimo. Bewundernswert, wie Pelageya Kurennaya diese Herausforderung meisterte und trotz dieser extrem hohen Lage denselben Klangreichtum hören ließ wie bei Tanya-Katya in allen Lagen.


Pelageya Kurennaya als Zamarashka in Rodion Shchedrins Oper „Christmas Tale“ (Foto: Natazha Razina / Mariinsky-Theater)

Erzählen Sie doch, bitte, wie es dazu kam, dass Sie als Gesangsstudentin mit zwei so wichtigen Aufgaben betraut wurden?

In „Christmas Tale“ war ich eigentlich für eine kleine Rolle vorgesehen gewesen. Ich sollte einen der 12 Monate singen, den Monat März, wie die ganze Oper im piano geschrieben. Rodion Shchedrin kam nach St. Petersburg und hörte sich alle Solisten an, darunter auch mich. Irina Soboleva, die für diese Produktion verantwortliche Studienleiterin, meinte zum Komponisten, er sollte mich doch einmal einen der anderen Monate singen lassen, den September, wie März im piano, doch viel lebhafter. Nachdem ich auch dies getan hatte sagte ich, ich könnte auch Zamarashka singen; ich hatte diese Rolle, die weibliche Hauptrolle dieses Stücks, für mich vorbereitet, natürlich ohne daran zu denken, dass ich sie auch singen dürfte. Nun, dies schien Shchedrin zu gefallen, und er sagte, ich sollte die ganze Rolle studieren. Am nächsten Tag erhielt ich einen Anruf vom Mariinsky-Theater, Herr Shchedrin wollte mich noch einmal sehen und prüfen, wie gut meine tiefen Noten seien. Es ging um seine Romanze „Tanya-Katya“, und der Komponist wollte entscheiden, ob er dafür Ekaterina Krapivina, einen Mezzosopran mit sehr guter Höhe, oder lieber einen Sopran mit guter Tiefe haben wollte. Er forderte mich auf, die tiefsten Passagen zu singen, was ich vom Blatt singend tat, und er schien zufrieden zu sein. Jedenfalls holte er von Valery Gergiev dessen Zustimmung ein, mich diese Romanze in München singen zu lassen, zumal Tatiana Monogarova, die sie im Juli beim Festival in Verbier gesungen hatte, nicht zur Verfügung stand.

Wieviel Zeit hatten Sie zum Studium? Und wussten Sie schon, dass Sie die Premiere von „Christmas Tale“ singen würden?

Ich hatte genau einen Monat Zeit. Das war genug. Und nach München sagte Rodion Shchedrin, dass ich Zamarashka singen würde, aber natürlich nicht, ob ich die Premiere bekommen würde.

Es ist am Mariinsky-Theater üblich, dass mehrere Sänger eine Partie studieren und proben und dass normalerweise in der Nacht vor der Premiere entschieden wird, natürlich von Valery Gergiev, wer die Premiere bekommt. Wie war das bei Ihnen?

Ich denke, es war schon früher entschieden, dass ich die Premiere singen sollte, aber man hat mich erst zwei Tage davor informiert.


Pelageya Kurennaya bei einem Besuch der Felsenkirche in Helsinki. Foto: Archiv Sune Manninen

Lassen Sie uns über einen zweiten Dirigenten sprechen, der für sie wichtig war und ist, denn es ist nicht der Regelfall, dass eine junge Gesangsstudentin außer unter Valery Gergiev am Mariinsky-Theater ihr professionelles Debut auch unter einem weiteren, ebenfalls sehr berühmten russischen Dirigenten bestritten hat. Das war Mariss Jansons. Wie kam es dazu?

Im Opernstudio des St. Petersburger Konservatoriums hatte ich anfangs Probleme und habe es erst durch mein Studium bei Tamara Novichenko geschafft, Fehler in meiner Technik auszubügeln. Der Dirigent der Opernklasse, ein heute 80 Jahre alter Herr, sagte mir, ich würde ihm wegen meines darstellerischen Talents gefallen, aber erst, wenn ich stimmlich besser werden würde, würde er mich einem guten Freund empfehlen, nämlich Mariss Jansons. Zu Beginn meines 4. Studienjahrs, ich war 24 Jahre alt, kam es zum Vorsingen für Maestro Jansons. Ich sang Amina aus „La Sonnambula“ und Marfa aus „Zarenbraut“, und sowohl Jansons als auch seine Frau waren zufrieden und luden mich ein, in München in einer konzertanten Aufführung von „Pique Dame“ Prilepa zu singen, die für CD aufgenommen wurde und außer in München auch in Luxemburg zu hören war. Ich bin sehr glücklich, dass ich diese Rolle, wiederum unter Jansons, aber diesmal in einer szenischen Produktion in Amsterdam in der Regie von Stefan Herheim singen durfte. Außer mir waren in den großen Rollen Svetlana Aksenova, Anna Goryachova, Larisa Diadkova, Mikhail Didyk, Alexey Markov und Vladimir Stoyanov dabei, viele davon schon in München. Diese Monate waren eine tolle Erfahrung; wir waren die ganze Zeit über wie eine große Familie.

Lassen Sie uns, bitte, über Ihre Anfänge als Sängerin sprechen. Sie sind so jung, dass man Ihr Alter verraten darf; sie sind 26 Jahre alt. Wann haben Sie entdeckt, dass Sie Sängerin werden wollten?

Ich stamme aus einem kleinen Dorf in der Rostov-Region, also im Süden Russlands, zog aber mit meiner Mutter nach Moskau.


Pelageya Kurennaya mit ihrer Mutter vor dem Mariinsky-Theater (Foto: Archiv Sune Manninen)

Ursprünglich wollte ich Schauspielerin werden, aber mit 16 Jahren sah ich bei einem Fimfestival in Moskau eine Oper mit Anna Netrebko. Ich war so beeindruckt von ihrer Schönheit, auch der ihrer Stimme und ihres Spiels, dass für mich klar war, statt Schauspielerin wollte ich nun Sängerin werden, nicht nur Sängerin, sondern Opernsängerin. Für mich ist Oper ist die interessanteste aller Kunstformen. Die Zeit an der Ippolitov-Ivanov-Musikschule in Moskau war keine glückliche für mich; ich hatte dort keine Perspektive. Im Gegenteil, meine Lehrer ruinierten fast meine Stimme. So entschied ich zu Beginn des 3. Studienjahrs, die Musikschule zu verlassen und einen Lehrer zu suchen, der mir wirklich die Technik des Singens, das richtige Atmen, piano und forte beibringen konnte. Ich fragte mich, wer wohl Anna Netrebko ihre Technik beigebracht hatte. Das war Tamara Novichenko, bei der auch Nadine Koutcher studierte, die 2015 den BBC Cardiff Singer of the World Wettbewerb gewonnen hat. Ich bewundere sie sehr und freue mich, in ihr eine gute Freundin zu haben. Ich war 19 Jahre alt, als ich nach St. Petersburg kam, um bei Tamara Novichenko zu studieren.

Nach einigen kleineren Rollen bekam Pelageya Kurennaya am Konservatorium solche wichtigen Partien wie Rosina in „Il barbiere di Siviglia“, Susanna in „Le nozze di Figaro“ und Marfa in „Zarenbraut“ in Studio-Produktionen zu singen. Nach ihrem Studienabschluss in diesem Sommer ist sie zwar (noch) kein reguläres Mitglied des Mariinsky-Theaters, sondern fungiert derzeit „nur“ als Gast, doch gewann ich den Eindruck, dass sie von diesem renommierten Institut vorsichtig aufgebaut wird, wie es sich für eines der letzten bedeutenden Ensembletheater-Bastionen auch gehört. Zum Glück ist die junge Künstlerin nicht in die Schublade „Shchedrin-Sängerin“ gesteckt worden, und so wurden ihr verschiedene kleinere Aufgaben anvertraut, mit der eine junge Sängerin Erfahrung sammeln und auf sich aufmerksam machen kann: Frasquita in „Carmen“, Barbarina in „Le nozze di Figaro“ (in beiden Produktionen, denn im historischen Mariinsky wird diese Oper auf Italienisch gegeben, in der Konzerthalle in einer szenischen Aufführung jedoch auf Russisch!) sowohl als Flora in Brittens „The Turn of the Screw“. Ein Besuch der italienischen „Figaro“-Produktion am Mariinsky-Theater ließ mich zu dem Schluss kommen, dass Pelageya Kulegeya eine luxuriöse Ûberbesetzung als Barbarina ist und sie mit diesem Qualitätsmaterial eigentlich als Susanna eingesetzt werden müsste. Wir werden sehen! Zunächst erhielt sie den Auftrag, diese Partie für den russischen „Figaro“ in der Konzerthalle einzustudieren.


Pelageya Kurennaya (Flora) und Elena Vitman in Brittens „The Turn of the Screw“ (Foto: Valentin Baranovsky / Mariinsky-Theater)

Schon früh begann Pelageya Kurennaya Meisterkurse (u.a. bei Elena Obraztsova und Vladimir Chernov) und Gesangswettbewerbe zu besuchen. Dies ist ein Weg, um Karriere zu machen, doch ohne einen guten Agenten ist dieser sehr dornig. Der Zufall kam ihr zu Hilfe, denn ein guter Freund hatte ihr „Tanya-Katya“- Video aus München an Pekka K. Pohjola gegeben, einem einflussreichen finnischen Agenten, Inhaber von Allegro Artist Management, von der die finnische Gesangselite von Soile Isokoski über Camilla Nylund bis hin zu Matti Salminen (um nur einige zu nennen) vertreten wird. Eine gute Adresse! Pohjola kommentierte dieses Video mit den Worten, diese junge Dame habe alles für eine große Karriere und er wolle liebend gerne für sie und mit ihr arbeiten. Um sein Bild von ihrer Stimme abzurunden, wolle er sie aber auch „live“ hören – kein Vorsingen im eigentlichen Sinn, „ob“ er sie akzeptieren würde, sondern der berechtigte Wunsch, nicht nur auf Aufnahmen an gewiesen zu sein. Sein großes Interesse an Pelageya Kurennaya zeigte sich nicht nur darin, dass er mit dem sog. „Sellosali“ in Espoo einen der besten Kammermusiksäle in Finnland organisierte, sondern als Pianistin seine Frau Marita Viitasalo, die ständige Klavierbegleiterin Soile Isokoskis. Die einleitende Susanna-Arie wurde mit den Worten „First class!“ kommentiert, ein Eindruck, der mit Charpentiers Louise, Bellinis Amina und Rimsky-Korsakovs Marfa bestätigt wurde. Wie sehr der finnische Agent, der weiß Gott über eine langjährige Erfahrung verfügt, von der jungen Russin begeistert war, zeigte sich daran, dass er sofort an zu „arbeiten“ begann und sie fragte, ob sie nicht einen Tag länger in Helsinki bleiben könnte. Er wolle sie einigen der berühmtesten finnischen Dirigenten vorstellen, die gerade in der Stadt seien: Esa-Pekka Salonen und Hannu Lintu. Beide waren sehr interessiert, sagten sofort zu (schließlich kann man sich auf die Güte von Pekka K. Pohjolas Empfehlungen verlassen), doch da Salonen kurzfristig absagen musste, kam Hannu Lintu mit der Intendantin seines Finnischen Radio-Sinfonie-Orchesters. Beide waren hellauf begeistert und schmiedeten sofort Pläne, wofür sie Pelageya Kurennaya einladen könnten.

Für eine solch individuell timbrierte und technisch hervorragend geführte Stimme gäbe es im Konzertsektor diverse Auftrittsmöglichkeiten, angefangen von Bachs Passionen über Haydns Schöpfung, Mozarts Requiem und c-moll-Messe, Brahms-Requiem bis hin zum Sopran-Solo in Mahlers Vierter Sinfonie. Anders als viele russischen Sänger der älteren Generation scheint Pelageya Kurennaya keine Mühe damit zu haben, die Schwierigkeiten der deutschen Sprache zu überwinden, mit ihrer unterschiedlichen Aussprache des Vokals e, mit ö und ü sowie mit dem für Russen schwierigen h (bei ihnen heißt Haydn Gaydn!). Vielleicht liegt es daran, dass ihr Großvater mütterlicherseits deutsche Wurzeln hat.

Auf der Bühne kann ich mir alle lyrischen Mozart-Partien sehr gut vorstellen, nicht nur Despina und Zerlina, sondern auch Ilia und Susanna. Was für eine hervorragende Pamina (eine gute deutsche Artikulation vorausgesetzt) müsste sie mit dieser Stimme sein! Gilda, Violetta, Mimi, Liu – wir werden sehen, wie weit ihr Weg Pelageya Kurennaya führen wird.

Wenn ich mich nicht sehr irre, steht Pelageya Kurennaya eine große Karriere bevor, und ich glaube, später mit Stolz sagen zu können, ich habe sie bereits gehört, als sie noch nicht berühmt war.  Auf ihrer Facebook-Seite schreibt sie: „Hi! Mein Name ist Pelageya Kurennaya. Oper ist mein Leben. Ich glaube, ich werde in der Zukunft eine berühmte Opernsängerin werden. Ich hoffe es. Ich liebe meine Familie und mein Leben.“ Ich drücke die Daumen, dass diese Träume Wirklichkeit werden.


Pelageya Kurennaya. Foto: privat

Sune Manninen

 

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