Auf Lutherwegen durch Deutschlands Mitte, 29.05.2014
von Ursula Wiegand
Seit 2007 läuft insbesondere in den protestantisch geprägten Ländern der Bundesrepublik Deutschland die Lutherdekade und erreicht im Jahr 2017 mit dem 500jährigen Jubiläum von Martin Luthers Thesenanschlag an der Schlosskirche zu Wittenberg ihren Höhepunkt. In diesen 95 – zunächst als Diskussionsgrundlage gedachten – Thesen prangerte der Augustinermönch vor allem den seinerzeit grassierenden Ablasshandel an. Luthers Initiative führte letztendlich zur Reformation, in deren Verlauf sich große Teile Deutschlands dem evangelischen Glauben zuwandten. Eine Bewegung von schließlich weltweitem Ausmaß.
Luther unterwegs (Norbert Hein). Foto: Ursula Wiegand
Die Lutherdekade mit ihren diversen Veranstaltungen, Diskussionen und Ausstellungen bewegt nicht nur die Köpfe. Ganz im Sinne des Reformators bringt sie auch die Beine in Trab. Rund 2.000 km Lutherwege – gekennzeichnet durch ein grünes „L“ – entstehen in Deutschlands Mitte und verbinden die Reformationsstätten in Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Bayern. Es ist und wird ein Parcours zu oft tausendjährigen Orten mit interessanten Museen sowie fein restaurierten Schlössern und Kirchen. Überdies eine Entdeckungsreise durch reizvolle Landschaften, wo der Gesang der Vögel mit dem Klang von Chören und Orgeln wetteifert.
Lutherweg in Sachsen, Plakat in Torgau. Foto: Ursula Wiegand
Nach 410 km Lutherwegen durch Sachsen-Anhalt entwickelt Sachsen insgesamt 550 km. Die ersten 200 km – von Torgau via Leipzig bis Zwickau – werden am 4. Juni offiziell freigegeben und laden gut beschildert zum Pilgern und spirituellen Wandern. Nicht nur per pedes. Wanderpässe und Lutherweg-Stempel liegen bereit.
Startpunkt unserer Schnuppertour ist Leipzig, die Messe-, Thomanerchor-, Bach- und Lutherstadt. Dort stritt Martin Luther (1483-1546) im Jahr 1519 mit dem Theologieprofessor Johannes Eck bei der „Leipziger Disputation“ in der einstigen Pleißenburg um den rechten Glauben.
Hier beherbergte Heinrich Stromer, Gründer von „Auerbachs Keller“, am 3.12.1521 den steckbrieflich gesuchten und als Junker Jörg verkleideten Luther auf einem geheimen Ritt von seinem Wartburg-Versteck nach Wittenberg. Ein Bild in der Lutherstube der weltbekannten Gaststätte, gemalt 2011 nach Cranach-Art von Volker Pohlenz, illustriert das für beide äußerst riskante Treffen.
Leipzig, Lutherfenster in der Thomaskirche, Ausschnitt. Foto: Ursula Wiegand
Begeisterung dann 1539 bei der Einführung der Reformation in Leipzig. Auf Leitern kletterten die Leipziger draußen an der Thomaskirche empor und drückten die Scheiben ein, um Luthers Worten zu lauschen. Drinnen zeigt ihn ein Fenster von 1882 flankiert von Melanchthon und Kurfürst Friedrich den Weisen.
Leipzig, Uni-Neubau Paulinum mit Universitätskirche. Foto: Ursula Wiegand
1545 weihte er die Klosterkirche St. Pauli zur Universitätskirche. Nach der Sprengung 1968 durch die SED gehört ihr moderner Nachbau nun wieder zum Paulinum, der neu errichteten Leipziger Uni. Und mit dem Trauring von Luthers Ehefrau Katharina von Bora (1499-1552) hütet das Stadtgeschichtliche Museum in Leipzigs prächtigem Renaissance-Rathaus einen besonderen Schatz.
Der Ring, ein Geschenk des dänischen Königs Christian II, besiegelte 1525 keine Liebesheirat. Vielmehr „erbarmte“ sich Luther nach eigenen Worten ihrer, war doch die eigenwillige Katharina die letzte Unvermählte und damit Unversorgte von den aus dem Zisterzienserkloster Marienthron in Nimbschen geflohenen Nonnen. Für die anderen acht jungen Frauen hatte er in Wittenberg einen Gatten finden können, Katharina aber lehnte einen ihr zugedachten alten Pfarrer ab.
Torgau, Katharina von Bora mit Janusgesicht. Foto: Ursula Wiegand
Also musste sich Luther „opfern“, doch eine bessere Gefährtin hätte der 42Jährige kaum finden können. Katharina konnte lesen, schreiben, etwas Latein und – anders als Luther – das Geld zusammenhalten. Sie bekam 6 Kinder, bewirtschaftete ein Landgut, braute Bier und bekochte auch stets Luthers zahlreiche Gäste.
„Herr Käthe“ nannte er sie, und genau so heißt ein beliebtes Speiselokal in Torgau sowie ein Café dort im Schloss Hartenfels. Doch Luther ist lernfähig. „Ich wollt meine Käthe nicht für ganz Frankreich und Venedig mehr hergeben,“ bekennt er später.“ Was wäre wohl ohne sie aus ihm geworden?
Torgau, Marienkirche, Grabplatte der Katharina von Bora. Foto: Ursula Wiegand
Als Witwe flüchtete sie 1552 vor der Pest aus Wittenberg nach Torgau, verunglückte unterwegs und starb in der Elbestadt, die ihrer in der „Katharina-Luther-Stube“ gedenkt. Ein Bronzeporträt von Appel-Bregler (1993) zeigt dort ihr „Janusgesicht“, einerseits selbstbewusst, andererseits demütig. „Ich will an meinem Herrn Jesus kleben wie die Klette am Kleid“, sagte sie vor ihrem Tod und fand in der Stadtkirche St. Marienkirche (13. Jh.) ihre letzte Ruhestätte.
Torgau, Marienkirche, Kirchenmusikdirektor Ekkehard Saretz an der Schuster-Orgel. Foto: Ursula Wiegand
Dort zeigt uns Kirchenmusikdirektor Ekkehard Saretz Katharinas Grabplatte an der Wand und setzt sich dann an die in Zwickau gefertigte Schuster-Orgel. Ein großartiges Instrument, das Bachs Werke herrlich zur Geltung bringt. Kenner haben die Torgauer Festwoche für Kirchenmusik vom 29.6.-6.7.2014 schon fest auf ihrem Kalender.
Torgau, Bürgermeister-Ringenhain-Haus, hölzerne Engelsdecke. Foto: Ursula Wiegand
Und im „Bürgermeister-Ringenhain-Haus“, nun Museum, musizieren seit gut 400 Jahren sogar die Engel an der Zimmerdecke. Darüber hinaus gilt Torgau mit dem prächtigen Renaissanceschloss Hartenfels als „Amme der Reformation“.
Torgau, Schloss Hartenfels und Marienkirche. Foto: Ursula Wiegand
Die Schlosskirche wird der erste evangelische Kirchbau Deutschlands und von Luther 1544 geweiht. Gerade bringt man sie mitsamt dem Wendelstein auf Hochglanz, beherbergt das Schloss doch von Mai bis Oktober 2015 die 1. Nationale Sonderausstellung „Luther und die Fürsten“.
Torgau, Ausstellung, Das Wort im Bild. Foto: Ursula Wiegand
Die diesjährige, „Das Wort im Bild“ (bis 31.10,) zeigt biblische Motive auf den Schmuckwaffen der sächsischen Kurfürsten. Glaubensbekenntnisse eigener Art.
Auch die kleineren, weniger bekannten Orte am Wegesrand halten Überraschendes parat, so Leisnig zu Füßen der mächtigen Burg Mildenstein. Abzweigend vom weiträumigen Marktplatz führt die Kirchstraße zu der im Nov. 2013 eröffneten Dauerausstellung.
Leisniger Kastenordnung. Foto: Ursula Wiegand
Zu sehen sind ein Gottesdienstbuch von Johann Spangenberg (gedruckt 1529) und als Clou die unter Mitwirkung Luthers geschriebene „Leisniger Kastenordnung“, das älteste evangelische Sozialpapier mit Richtlinien, wie die in einem Kasten gesammelten Einnahmen der Kirche sozialgerecht zu verwenden seien.
Wurzen, Dom St. Marien, 900 Jahre alt. Foto: Ursula Wiegand
Zum Lutherweg gehört auch Wurzen mit seinem gerade 900jährigen Dom, der Stadtkirche St. Wenceslai und dem einstigen Bischofsschloss (jetzt ein feines Schlosshotel). Allerdings war Luther nie in Wurzen, musste aus Sicherheitsgründen das papsttreue Städtchen und sein Umland meiden. Die Reformation kam daher verspätet nach Wurzen, doch die Musik wird auch hier intensiv gepflegt.
Klosterruine Nimbschen. Foto: Ursula Wiegand
Und Nimbschen? Vom Kloster Marienthron, aus dem die drangsalierten jungen Frauen 1523 flohen, kündet nur noch eine Ruine. Im Abendlicht wirkt sie romantisch und wird wie die Klosterschänke nebenan gerne besucht. Ein Kapellchen ist gerade fertig geworden, und gegenüber bietet das „Klosterhotel Nimbschen“ , errichtet auf den Fundamenten des einstigen Wirtschaftsgebäudes, komfortable Zimmer.
Grimma, Frauenkirche, spätgotischer Schnitzaltar, 1510. Foto: Ursula Wiegand
Lutherweg-Wanderer bewegen sich nun weiter nach Grimma mit seinem Renaissance-Rathaus und dem gepflegten Gymnasium St. Augustin (der früheren Fürstenschule). Die doppeltürmige Frauenkirche (von 1329) ist das Wahrzeichen der Muldestadt. Drinnen fällt ein spätgotischer Altar ins Auge, und auch hier erfüllt Orgelklang die Ohren. Am 21. Juni steht ein Abendkonzert „Orgel und Rotwein“ auf dem Programm!
Grimma, Klosterkirche St. Augustin. Foto: Ursula Wiegand
Traurig stimmt dagegen die völlig leere Klosterkirche St. Augustin. Laut Wikipedia war sie ab 1975 in Händen der Stadt Grimma, aber nicht gegen Einbruch und Diebstahl gesichert. Von der noch 1959 restaurierten Orgel war 1989, bei der Wende, nichts mehr vorhanden. Vermutlich waren die Pfeifen gestohlen und als Schrott verkauft worden. Erhalten sind immerhin die Fenster (um 1900) mit Luther und Melanchthon. Inzwischen wird der große Raum für Kulturveranstaltungen genutzt.
Löbnitz, Kirche 13.-16. Jahrhundert. Foto: Ursula Wiegand
Ganz anders die Kirche von Löbnitz (nördlich von Leipzig). Die zaubert sofort ein Lächeln ins Gesicht und lädt zum Pausieren unter der großen Linde. Luther kam öfter hierher und hat nach der Predigt gerne gekochte Henne mit Reis und Brühe gegessen.
Löbnitz, Renaissance-Holzkassettendecke. Foto: Ursula Wiegand
Seit Ende des 16. Jahrhunderts predigt statt seiner die „Löbnitzer Bilder-Bibel“, eine bemalte Holzkassettendecke mit 250 Feldern, die hauptsächlich Begebenheiten aus dem Alten und Neuen Testament veranschaulichen. Ein Michelangelo war nicht am Werke, vielmehr wurde der Pinsel von unbekannter Hand mit erfrischender Frömmigkeit geschwungen.
Löbnitz, Renaissance-Holzkassettendecke, Jesu Auferstehung. Foto: Ursula Wiegand
Hier steht ein kindlicher David neben dem grimmigen Goliath, dort wird ein offensichtlich frierender Jesus von Johannes im Jordan getauft. Judas kommt zum Abendmahl mit dem Geldbeutel hinterm Rücken, seinem Verräterlohn.
Letztendlich schwebt der auferstandene Jesus vorwärts strebend schon über seinem Sarg. Ein herzhafter Renaissance-Comic und ein Hit auf Sachsens Lutherweg.
Infos unter www.lutherweg-sachsen.de, www.leipzig.de, www.tic-torgau.de, www.kloster-nimbschen.de, www.grimma.de, www.leisnig.de, www.evangelische-kirchen-loebnitz.de