Copyright: Athens & Epidauros Festival
Athens & Epidauros Festival
Peiraios 260 E
Talos
Besuchte Vorstellung am 4. Juni 2018
Grenzen, Roboter und Menschen
Die Bewältigung der Flüchtlingsströme gehört zu den vordringlichen Aufgaben der europäischen Politik unserer Tage. Dabei kommt, und das wird bei Aussagen aus unterschiedlichsten politischen Richtungen deutlich, dem Umgang mit den Grenzen eine zentrale Rolle zu. Kaum überraschend ist es, dass sich auch die darstellenden Künste diesem Thema annehmen. Vor wenigen Jahren brachte der deutsche Theatermacher Hans-Werner das materialreiche, dokumentarische Stück „Frontex Security“ auf die Bühne, das Fragen des europäischen Grenzschutzes vermittelte und diskutierte. Nun geht der weissrussische, heute in Paris lebende Choreograf Arkadi Zaides das Thema von einer anderen Warte aus an und präsentiert eine 45-minütige Lecture-Performance.
Unter dem Titel „Talos“ unternimmt Zaides eine Recherche zu Bewegung, neuen Technologien und der Zukunft der Grenzen. Das griechische Wort bezieht sich einerseits auf eine mythologische Figur, die als Wächter Europas fungierte, und andererseits auf ein EU-Forschungsprojekt, das vor wenigen Jahren durchgeführt wurde. Dieses Talos-Projekt untersuchte Möglichkeiten, avancierte Robotertechnik zur Grenzsicherung einzusetzen. Dazu wurden viele Planspiele entworfen, die unterschiedliche Interaktionen zwischen Menschen und Maschinen im Grenzgebiet simulieren. Wie Bewegung im Raum verlaufen und verhindert werden kann, ist dabei eine grundlegende Überlegung. Es war fraglos dieses Moment, welches das besondere Interesse des Künstlers weckte.
In Kollaboration mit Medien- und Tanzkünstlern entwickelte Arkadi Zaides sein Projekt „Talos“. Es spielt auf einer mehr oder weniger leeren Bühne, an deren linkem Rand zwei Personen am Laptop sitzen. Zaides agiert in gemessenen Bewegungen und dabei sprechend vor einem grossen Screen. Was projiziert wird, gleicht einer Präsentation, welche gegenwärtige Situationen an der Grenze und mögliche künftige Lösungen zeigt resp. simuliert. Es beginnt abstrakt mit Punkten und Linien, später sieht man Menschen und Grenzen aus der Vogelperspektive sowie Darstellungen, die Abstraktion und Realität vermischen. Letzteres ist tatsächlich ein interessantes künstlerisches Moment, weil damit deutlich wird, wie an europäischen Grenzen technokratisches Denken und Lebenswirklichkeit aufeinanderprallen. Man bekommt ferner im Lauf des kurzen Abends Einblick in die Entwicklung der Robotertechnik. Das Wesentliche ist bei alledem der Aspekt der Bewegung, die Frage, wie sich Einzelne und Gruppen in Grenzräumen bewegen. Die Simulationen erweisen sich in als ausgeklügelte Choreografien staatlicher Ordnungssysteme. Dies führt Zaides dem Publikum eindrücklich, aber vielleicht etwas zu filmisch animiert vor Augen. „Talos“ ist ein Tanzstück im virtuellen Raum, könnte man sagen. Freundlicher Beifall.
Ingo Starz (Athen)