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ATHEN/ Theater Poreia: NORA ODER EIN PUPPENHEIM von Henrik Ibsen

24.12.2022 | Theater

Athen/ Theater Poreia

Nora oder Ein Puppenheim

Besuchte Vorstellung am 23. Dezember 2022

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Foto: Screenshot

Die Athener Theaterlandschaft ist weniger institutionell strukturiert als man das von Städten wie Wien oder München her kennt. Das hiesige Nationaltheater etwa stellt wie die vielen Privattheater seine Ensembles für jede Produktion neu zusammen. Interessante Regisseure oder SchauspielerInnen arbeiten darum buchstäblich überall. Das Theater Poreia ist ein bekannter und geschätzter Ort der Theaterszene. Dessen Direktor Dimitris Tarlow bewies in den letzten Jahren oft ein gutes Händchen – etwa wenn er griechische Romanklassiker auf die Bühne brachte oder Vassilis Koukalani, der regelmässig Produktionen des Berliner Gripstheaters inszeniert, ans Haus holte. Nun wendet sich Tarlow einem Klassiker des Repertoires zu: Er inszeniert an seinem Haus Henrik Ibsens „Nora oder Ein Puppenheim“ in eigener Übersetzung.

Was einem an diesem Abend zuerst ins Auge sticht, ist das Bühnenbild von Thalia Melissa. Die Handlung ist, wie unschwer zu erkennen ist, in unserer Gegenwart angesiedelt (Kostüme: Alexandros Garnavos & Gina Iliopoulou). Die Rückwand nimmt ein grossformatiges Gemälde, ein Stillleben ein. Grosse, mit Pflanzen bestückte Glasvitrinen dienen beidseitig als Raumteiler. Auf der linken Seite ist dahinter die Musikerin Chrystalia Theodorou positioniert, rechts geht der Blick in Helmers Arbeitszimmer. Im Verlauf des Abends rücken die Raumelemente näher zusammen, verschliessen gleichsam den Raum, dem etwas artifiziell-morbides anhaftet. Die Enge eines Puppenheims wird sichtbar. Dimitris Tarlow sorgt in diesem Setting für einen flüssigen, aber leider auch etwas routinierten Ablauf der Handlung. Es ist eine Inszenierung ohne Überraschungen, welche das Ensemble zu einer psychologischen Interpretation anhält, die kaum über das hinausgeht, was man aus Fernsehserien kennt. Tarlows Ibsen bleibt an der Oberfläche haften – ohne das Untergründige durchscheinen zu lassen. 

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Foto: Screenshot

Der Mangel an Untergründigem oder Doppelbödigem hängt freilich auch mit dem Spiel des Ensembles zusammen. Was man auf der Bühne sieht, ist ein Repertoire an konventionellen Gesten und ein Mangel an mimischem Ausdruck, der etwa Kontrapunkte zum Gesprochenen setzen könnte. Die Sprachbehandlung lässt freilich auch etliche Wünsche offen. Lena Papaligoura ist eine Nora ohne innere Zerissenheit und Einsamkeit, mindestens zeigt ihr Spiel nichts davon. Was Nora erleidet, schaut mehr wie eine übliche Alltagsmisere aus. Helmer, der Mann von Ehre und Moral, bleibt in der Darstellung von Giorgos Christodoulou blass. Es fehlt ihm an polierter Fassade, an Eloquenz. Thanasis Dovris gibt einen etwas zu rührseligen Krogstad und Viki Katsika eine anti-bürgerlich ausschauende Frau Linde. Kostas Vasardanis als Doktor Rank hat leider wenig von einer symbolhaften Figur. Sein Spiel lässt einen ziemlich kalt, weshalb die Figur nicht wirklich glaubhaft wird. Olga Dalekou als Helene komplettiert das Ensemble. Die Rollen der Kinder und der Gouvernante sind gestrichen. 

Es ist eine Aufführung, das sei eingeräumt, die viele Zuschauer und etliche hiesige Kritiker zufrieden stellt. Sicher, man bekommt einen Ibsen geliefert, der gut bekömmlich angerichtet ist. Wie sehr die Sprache des Norwegers, bildlich gesprochen, aufs Glatteis führt, erfährt man in dieser Aufführung aber nicht. Das Publikum spendet am Ende reichlich Applaus. 

Ingo Starz (Athen)

 

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