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ATHEN/ Theater Poreia: JUNKERMANN – Ein finnischer Jedermann in Griechenland

24.05.2019 | Theater


Foto: Theater Poreia

Theater Poreia, Athen: Junkermann (Besuchte Vorstellung am 23. Mai 2019)

Ein finnischer Jedermann in Griechenland

Der griechische Schriftsteller, Dramatiker, Journalist und Kritiker Dimitris Rodopoulos hat unter dem Pseudonym M. Karagatsis wesentliche Beiträge zur griechischen Literatur der Moderne geliefert. In seinen Romanen zeichnet er ein vielschichtiges Bild der Zwischenkriegszeit in Griechenland. Das Theater Poreia, das bekannt ist für seine anspruchsvolle Vermittlung von Literatur, hat vor wenigen Jahren bereits Karagatsis‘ Roman „Die grosse Chimäre“ auf die Bühne gebracht. Nun hat sich Dimitris Tarlow, der Direktor des Theaters, ein anderes Werk des Autors vorgenommen: „Junkermann“. Der Schriftsteller und Übersetzer Stratis Paschalis hat mit grosser Umsicht eine beeindruckende Theaterfassung des 1939 erschienenen Romans geschaffen. Dabei gelingt es Pachalis vorbildlich, die Hauptfigur in ein dichtes Geflecht von Figuren und Handlungsorten einzubetten, ohne jemals den roten Faden zu verlieren.

Dimitris Tarlow bringt die Geschichte von Vassia Junkermann, einem Finnen, den die Wirren der russischen Revolution nach Griechenland geführt haben, in einer pittoresken, eleganten Erzählweise auf die Bühne. Der Regisseur tut dies in einer Folge schön geformter Bilder, die ihren Reiz nicht zuletzt der für griechische Verhältnisse opulenten Ausstattung von Elli Papageorgakopoulou, Dimitris Angelis und Angelos Mentis verdanken. Ein grosser, längs über die Bühne laufender Vorhang ermöglicht wechselnde Ausblicke und rasche Szenenwechsel. Die einzelnen Szenen werden durch wenige, signifikante Requisiten markiert. In diesem Setting erlebt das Publikum die Geschichte eines modernen Jedermanns, der in Griechenland zu Reichtum gelangt, aber nie Verlust resp. Absenz der Mutterliebe zu überkommen vermag. Junkermann ist ein Getriebener, der ohne wahre Zuneigung durch die Welt irrt. Er erfährt Liebe nur in Form sexueller Affären und als er schliesslich doch eine junge Frau findet und entdeckt, was Liebe meint, ist es zu spät. Voula ist todkrank und stirbt kurz nach dem ersten und einzigen Liebesakt. Junkermann lässt sich als tragische Figur verstehen, weil sein Getriebensein ihre Ursache in der unglücklichen Ehe der Eltern und der Tatsache, dass er unehelich gezeugt wurde, hat. Tarlow zeicnnet die Hauptfigur als einen Gottgesandten, als eine Art Lohengrin, was am Ende der Aufführung auch musikalisch unterstrichen wird. Junkermann ist dabei einer, der den anderen auch ihre eigene Unvollkommenheit vor Augen führt. M. Karagatsis‘ Roman zeichnet ein eindringliches Sittenbild der Zwischenkriegszeit, welches der Regisseur detail- und temporeich vor dem Publikum ausbreitet. Man erlebt literarisches Erzähltheater auf hohem Niveau.

Es ist eine Aufführung, die in beinahe jedem Moment auf die Hauptfigur fokussiert ist. Yannis Stankoglou als Junkermann ist ein Glücksfall in der Titelrolle. Er vermag die Getriebenheit und Zerissenheit der Figur auszudrücken, er schafft es mit sparsamen Gesten äusserst präsent zu sein. Er wirkt immer wie ein merkwürdiger Fremdkörper im Spiel der gesellschaftlichen Kräfte. Sein Junkermann kommt einem wie ein leibhaftiges Memento mori vor. Stankoglou agiert inmitten eines grossen Ensembles, welches durchwegs gute Leistungen bietet. Besonders hervorgehoben seien Christos Malakis als Schriftsteller Michalis und Thaleia Stamatelou als Voula, die von Junkermann begehrte Frau. Die Schauspielerinnen und Schauspieler sowie das kleine Musikensemble tragen alle überzeugend dazu bei, dass der Roman facettenreich und mit grosser Spielfreude auf die Bühne kommt. „Junkermann“ ist ein Theaterabend, der einen in den Bann zieht.

Das Publikum im gut besuchten Theater spendet am Schluss starken, mit Bravorufen durchsetzten Beifall.

Ingo Starz

 

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