Katerina Kalochristianaki und Kostantin Ntisios. Copyright: Theater Fournos
Theater Fournos, Athen: Die Stimme des Drachens
Besuchte Vorstellung am 29. März 2019
Drachenmusik
Alexandros Papadiamantis (1851-1911) gehört zu den zentralen Schriftstellern des modernen Griechenlands. Seine Erzählungen zeichnen in einem ganz eigenen sprachlichen Duktus das ländliche Leben nach.
Schauplatz ist dabei meist Skiathos, die Heimatinsel des Autors. Der Komponist Giorgos Koumendakis hat erst vor wenigen Jahren eine der bekanntestes Erzählungen von Papadiamantis vertont: „Die Mörderin“wurde 2014 von der Griechischen Nationaloper aus der Taufe gehoben.
Der Regisseur Tasos Karakyklas bringt nun eine bemerkenswert feinfühlige Version der 1904 entstandenen Erzählung „Die Stimme des Drachen“ auf die Bühne. Es ist eine Theaterarbeit, welche insbesondere die sprachlichen Qualitäten des Schriftstellers zur räumlichen und hörbaren Entfaltung bringt. Papadiamantis‘ als gemässigt beschriebene Katharevousa, eine Kunstform des Griechischen, welche gelehrte wie volkstümliche Elemente aufweist, verwandelt sich im Theater zu einem polyphonen Stimmenkonzert.
In der Erzählung „Die Stimme des Drachen“ geht es um Kotsos, der mit seiner Mutter und seiner Tante Kratira aufwächst. Dem Jungen haftet der Makel an, ein uneheliches Kind, ein Bastard zu sein. Das ist auch der Grund, warum die Ehe seiner Eltern geschieden wurde. Kotsos wächst als Aussenseiter heran und stirbt als Jüngling, als er von hohem Baum herabfällt. Vor seinem frühen Tod dringt Kotsos in eine Drachenhöhle ein – was der zentrale Aspekt der mythischen Ebene von Papadiamantis‘
Geschichte ist -, in einen Ort, der einen zu Tode bringen oder zu grossem Glück und Reichtum führen kann. Der junge Mann erhofft sich Wohlstand, um seiner Familie zu einem Ausweg aus der gesellschaftlich geächteten Position zu verhelfen. Statt an sich und die Seinen zu glauben, lässt sich Kotsos von der Stimme des Drachen, die ihm „Bastard“ zuflüstert, martern. Der Tod des jungen Mannes, der die Zuschreibung von aussen nicht abzuschütteln vermochte, folgt bald darauf.
Tasos Karakyklas und seine Bühnenbildnerin Kakia Hatziyannidi schaffen das kleine Wunder in einer atmosphärischen, ehemaligen Bäckereihalle in raschen Wechseln eine ungeahnte Fülle an Bildern zu erzeugen. Sie nutzen zu Beginn die Rückwand des Raums und dessen Fenster, später arbeiten sie mit einer wandelbaren Plattform, die von einem Haus bis hin zu einer Brücke vieles zu evozieren vermag. Karakyklas übersetzt den Text in eine formal strenge Bildfolge. Die unterschiedlichen Szenen sind dabei auch in verschiedener Weise artikulierte Sprechakte.
Die Variationen des Gesprochenen machen einen wesentlichen Reiz der Aufführung aus und legen dar, wie klug und sinnhaft der Regisseur seine Bühnenadaption der Erzählung formt. Karakyklas macht den Text erlebbar, er springt ihn zum Klingen und entlockt ihm so einfache wie starke Bilder. Er macht die Geschichte damit äusserst gegenwärtig und führt uns die von Mythos und Poesie erfüllte Initiation eines jungen Menschen vor Augen. „Die Stimme des Drachens“ endet auf der Bühne nicht mit dem Tod von Kotsos, sondern damit, dass die Familie die Höhle versiegelt. Der Drache ist überwunden und der Blick geht in eine Zukunft, die Ausgrenzung wohl zu überwinden vermag..
Die Aufführung kommt mit zwei Darstellern aus, welche auch in den Entstehungsprozess der Bühnenfassung involviert waren. Katerina Kalochristianaki und Kostantin Ntisios machen ihre Sache ganz wunderbar. Nicht nur ihre Stimmen erweisen sich als flexibel und wandelbar, ihre Körper sind es ebenso. Der physische Eindruck, die Intensität ihrer Bewegungen und Sprechakte ist bemerkenswert und macht die Aufführung zu einem grossen Erlebnis. Selten sieht man eine so gelungene Körperarbeit auf einer Athener Bühne. Dass das Heranwachsen eines Menschen und ebenso dessen Ausgegrenztsein eben auch ganz körperliche Angelegenheiten sind, wird hier in jedem Moment erfahrbar.
Mit dem Blick auf eine kleine Familiengeschichte öffnet uns Tasos Karakyklas den Blick auf unsere Welt, die noch immer von Vorurteilen und Ausgrenzung bestimmt ist.
Das Publikum im ausverkauften Saal spendet dem Team langanhaltenden Beifall und Bravorufe.
Ingo Starz