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ATHEN/ Onassis Stegi: WARTEN AUF GODOT von Samuel Beckett – Bilderordung des Wartens

20.05.2024 | Theater

Onassis Stegi, Athen : Warten auf Godot 

Besuchte Vorstellung am 19. Mai 2024

Bilderordnung des Wartens

pozo

Theodoros Terzopoulos ist weit über Griechenland hinaus bekannt. Er hat vielfach im Ausland inszeniert. Im deutschsprachigen Raum schufen mehrere Publikationen – insbesondere im Verlag Theater der Zeit – Aufmerksamkeit für den Theatermann, der in jungen Jahren am Berliner Ensemble arbeitete und mit Heiner Müller befreundet war. Terzopoulos‘ Theater ist fraglos von den griechischen Tragikern sowie von Brechts und Müllers Theaterkonzept geprägt. In Athen bespielt er sein eigenes Haus, das Theater Attis. Er ist bekannt für seinen reduktiven Stil, seine präsise Arbeit mit Bewegungen und Gebärden. Theodoros Terzopoulos geht es immer um die Essenz eines Werks oder eines Stoffes. Ein Theaterstück wie Samuel Becketts „Warten auf Godot“ scheint wie geschaffen für seinen ebenso analytischen wie sensualistischen Zugriff. Onassis Stegi präsentiert nun das von Terzopoulos inszenierte Stück, das als Koproduktion vom Emilia Romagna Teatro in italienischer Sprache auf die Bühne gebracht wird.

Am Anfang ist ein Kreuz. Es zeichnet sich in Lichtgestalt zwischen den Seitenflächen vier grossformatiger, zusammengefügter Quadrate ab. Das Publikum blickt auf einen flächigen Bühnenaufbau, der sich bald öffnet und in unterschiedliche Teilflächen und Ebenen transformiert. In den Öffnungen und Spalten, aber auch vor diesem Aufbau erscheinen die Darsteller. Der Apparat und die Schauspieler fügen sich zu einem Ganzen zusammen, einer Art Bildermaschine. Am Schluss werden Bücher davor heruntergelassen. Die Bilder scheinen Schrift zu werden oder geworden zu sein. Der von Terzopoulos entworfene Bühnenapparat erinnert kaum zufällig an ein grosses Altarretabel. Der suchende Gestus des Theaterstücks, das Warten wird in eine präzise geformte Bilderordnung und Szenenabfolge überführt. Der Bühnenapparat setzt die Figuren in klare Relationen zueinander, schafft dabei Situationen und Hierarchien. Die Bewegungen der Darsteller sind minimiert und strikt an bestimmte Ausdrucksgebärden gebunden. Selbst die Sprache fügt sich gleichsam selbstverständlich in dieses Rahmenwerk ein. Das Existenzielle von Becketts Werk wird hier zu einem beinahe religiösen Bildprogramm. Man muss sagen beinahe, weil es immer wieder Momente von Komik und befreiter Geste gibt, welche andere Lesarten zulassen und miteinschliessen. Theodoros Terzopoulos lässt dem erstaunlichen Text eine Visualisierung zukommen, die den Betrachter das Staunen und Schauen lehrt. Dem Regisseur, der auch als Ausstatter und Lichtdesigner in Erscheinung tritt, ist mit „Warten auf Godot“ ein bemerkenswertes Gesamtkunstwerk gelungen.

Die ambitionierte Inszenierung wird von einem grossartigen Ensemble getragen. Die Darsteller haben Terzopoulos‘ Ästhetik verinnerlicht und bringen die Bildermaschine zum Laufen: Enzo Vetrano als Estragon/Gogo, Stefano Randisi als Vladimir/Didi, Paolo Musio als Pozzo, Giulio Germano Cervi als Lucky und Rocco Ancarola als Knabe. Die Körper- und Klanggesten der Schauspieler füllen zusammen mit dem Sound von Panayiotis Velianitis den vom Regisseur geschaffenen Apparat, lassen Hoffnung, Zweifel und Heiterkeit spüren, hauchen der Bildermaschine Leben und Sinn ein.

Am Schluss gibt es anhaltenden Applaus und Jubel für eine sehr bemerkenswerte Inszenierung. 

 

Ingo Starz (Athen)

 

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