Onassis Stegi, Athen
Simon McBurney: Drive Your Plow Over the Bones of the Dead
Besuchte Vorstellung am 5. Oktober 2023
Dunkelwelt
Foto: Marc Brenner
Es ist eine dunkel, mysteriöse Welt, die uns die Schriftstellerin Olga Tokarczuk in ihrem Roman „Der Gesang der Fledermäuse“ zeigt. Es ist die Lebenswelt einer polnischen Kleinstadt nahe der tschechischen Grenze. Das auf dem Land gejagt wird, ist kaum erstaunlich. Dass reihenweise Männerleichen auftauchen, wirft aber doch Fragen auf. Im Zentrum der Handlung steht eine schon etwas ältere Frau, Janina. Sie baute einst Brücken in Nordafrika und widmet sich nun dem Umweltschutz. Die Morde machen Janina zur Detektivin, einer Art Miss Marple, die von anderen skurillen Zeitgenossen umgeben ist. Was die Frau erst nur vermutet, wird bald einmal Gewissheit: Die Männer sind Tieren zum Opfer gefallen. Die Natur schlägt zurück, könnte man sagen. Daneben tritt noch eine andere Bedeutungsebene in Erscheinung, die darauf verweist, dass im Süden Polens einst Verbrechen an Menschen verübt wurden. Ein Hinweis auf die Zeit, als Nazis das Landes besetzt hatten. Es ist eine rätselhafte Welt, die sich in Tokarczuks Roman entfaltet, eine Dunkelwelt. Und doch auch eine, die Fragen unserer Zeit verhandelt.
Der britische Regisseur Simon McBurney hat sich dieser poetisch-symbolhaften Geschichte angenommen und sie mit einem starken Ensemble auf die Bühne gebracht. Die Darstellerinnen und Darsteller stehen in jeder Hinsicht im Zentrum, da die Szene mit Projektionen und wenigen Requisiten (Ausstattung: Rae Smith) auskommt. Dem Videodesign von Dick Straker und dem Sounddesign von Christopher Shutt kommt in dieser Inszenierung eine massgebliche Rolle zu, sie öffnen und erweitern gleichsam den realen Raum. Es ist ein physisches Theater, das McBurney auf die Bühne bringt, eines, das beständig neue Bilder, oft Körperbilder erzeugt. Die Imagination der Zuschauer wird befeuert und gleichzeitig eine eng am Roman bleibende Narration entwickelt. Was man zu sehen bekommt, ist ästhetisch nicht mehr besonders neu oder innovativ, es überzeugt aber durch seine souverän eingesetzten Erzählstrategien. Die Darstellerin der Janina ist zugleich die Erzählerin der Handlung. Wie sich Amanda Hadingue diese Doppelrolle zu eigen macht, ist bewundernswert. Sie hält tatsächlich die Fäden der Handlung zusammen und treibt das Geschehen voran. Simon McBurney präsentiert einen abwechslungsreichen Bilderreigen, ein an Mitteln reiches Erzähltheater.
Das Publikum ist von der Aufführung sehr angetan und spendet lautstarken Beifall.
Ingo Starz (Athen)