Onassis Stegi, Athen : Rohtko
Besuchte Vorstellung am 25. Mai 2023
Verwirrspiel um Rohtko
Die Hauptbühne von Onassis Stegi ist der richtige Ort, um aufwändige Theaterproduktionen zu zeigen. Zum Ende einer qualitativ ziemlich durchwachsenen Saison gastiert ein in Riga zur Uraufführung gekommenes Stück, von dem man zuvor viel Gutes lesen konnte: „Rohtko“. Die Arbeit von Lukasz Twarkowski wurde von Onassis Stegi als „monumentales Spektakel“ angekündigt, aber gerade das war es keineswegs. Der polnische Regisseur, der öfters als Videodesigner für den grossen Krystian Lupa arbeitete, bringt eine in jeder Hinsicht vielschichtige Performance auf die Bühne, welche, gerade weil Schauspiel und Live-Film gleichberechtigt nebeneinandertreten, viel Kammerspielmomente aufweist. „Rohtko“ schaut auf die Kunstszene und geht der Frage nach, was es mit der Unterscheidung von Original und Fälschung auf sich hat.
Die Handlung der vierstündigen Performance entspinnt sich an einem realen Ereignis. Es geht um den Verkauf eines vermeintlichen Rothko-Gemäldes durch eine angesehene New Yorker Galerie an einen Milliardär. Trotz Gutachten erweist sich das Gemälde als Fälschung eines chinesischen Malers. Der Käufer zieht vor Gericht. Twarkowski liess sich von diesem Fall anregen, er erzählt ihn auch recht detailreich. Was den Abend aber wirklich aufregend macht, ist, wie er dieses Handlungsgeflecht zur Grundlage eines diskursiv angelegten Performance macht. Im ersten Teil der Aufführung legt der Regisseur das Handlungsgeflecht aus, beschreibt die Interaktionen zwischen Galeristin, Kurator, Käufer und dem Künstler. Nach der Pause zoomt er gleichsam auf die einzelnen Figuren, zeigt etwa das angespannte Verhältnis des Ehepaars Rohtko. Die Kamera fungiert permanent als investigatives Instrument und als Mittel der Täuschung.
Der Bühnenbildner Fabien Lédé und der Videodesigner Jakub Lech – sowie alle anderen an der Produktion Beteiligten – leisten Ausserordentliches. Es ist höchst beeindruckend wie Handlungsräume und Filmszenen zusammenfinden, wie Schauspiel auf der Bühne und Screening in der oberen Bühnenhälfte gleichsam interagieren. Das Thema Original und Fälschung/Fake wird medial ununterbrochen verhandelt. Vielleicht schauen wir auch einem Filmdreh zu. Die Geschichte und ihre mediale Aufbereitung verschmelzen zu einem faszinierenden Ganzen. Konsequent endet die Szenenfolge mit einer Vernissage, wo eine digitale Version des chinesischen Restaurants, in welchem sich das Geschehen zuvor abgespielt hat, museal präsentiert wird. Es ist eine schöne Pointe, dass die Chinesen – und der Bildfälscher ist ja ein solcher – sich so gar nichts aus der Unterscheidung Original-Fälschung machen. Ist nicht alles nur Fake, was die Kunst vor unseren Augen zeigt? „Rohtko“ ist ein kluger, bildreicher, textlich hervorragend komponierter Abend.
Das Publikum reagiert mit Begeisterung auf einen grossartigen Theaterabend.
Ingo Starz (Athen)