Onassis Stegi, Athen: KONGO
Besuchte Auffuehrung am 12. Februar 2020
Die Geschichte des Kongo ist im vergangenen Jahrzehnt Gegenstand verschiedener Studien und Projekte gewesen. David Van Reybroucks Buch „Kongo. Eine Geschichte“, das 2012 in deutscher Uebersetzung erschien, zeichnet ein ueberaus plastisches und vielstimmiges Bild einer schwierigen Geschichte. Die Geschichte des Territoriums begann als Privatkolonie des belgischen Koenigs Leopold II. (1835-1909). Der aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha stammende Herrscher liess das Land und seine Bewohner auf brutalste Weise ausbeuten. Millionen von Schwarzen verloren dabei ihr Leben. Die Privatkolonie ging 1908 unter dem Druck der Oeffentlichkeit in den Besitz des Staates ueber und hiess fortan „Belgisch-Kongo“. 1960 erhielt der Staat seine Unabhaengigkeit. Bis heute tut man sich mit der Bewaeltigung der kolonialen Vergangenheit schwer in Belgien.
Der kongolesische Kuenstler Faustin Linyekula, der in verschiedenen Medien arbeitet, beschaeftigt sich in seinem Tanztheaterstueck „Kongo“ mit der Geschichte seines Heimatlandes. Er steht dazu zusammen mit den Performern Daddy Moanda Kamono und Pasco Losanganya auf der Buehne und entwirft eine „schwarze“ Perspektive auf die Ereignisse. Er erzaehlt, was im spaeten 19. Jahrhundert geschah, indem er wichtige Ereignisse, wie die Berliner Kongokonferenz 1884/85 oder die geografische Konferenz, welche Leopold II. 1876 in Bruessel einberief, sowie einzelne Persoenlichkeiten beschreibt. Dies geschieht teils unter Einbezug historischen Quellenmaterials, welches Eric Vuillard, der Autor des Stuecktextes, dramaturgisch geschickt einsetzt. Die Figur des Afrikaforschers Henry Morton Stanley, der als williger Gehilfe des belgischen Herrschers agierte, sticht dabei besonders hervor. Linyekulas Performance ist informativ wie ein dokumentarisches Theaterstueck deutscher Praegung – und man koennte das Resultat wohl auch eher als eine dokumentarische (Theater-)Performance denn ein Tanztheaterstueck bezeichnen. Eines ist naemlich bemerkenswert: Die Bewegung auf der grossen Buehne von Onassis Stegi ist ueber weite Strecken ziemlich reduziert und Tanz kommt nur in bestimmten Momenten zum Einsatz: Als Ausdruck der zugeschriebenen Identitaet, koennte man sagen.
Die Auffuehrung macht das Publikum zuallererst zu Zuhoerern. Dabei ist klar, dass sich die ganz ueberwiegend weisse, europaeische Zuhoererschaft der Kolonialgeschichte des Kontinents zu stellen hat. Zu Anfang und Ende der Produktion wird darum auch bei Saallicht gespielt. Die drei Performer auf der Buehne sind in gewissem Sinne Anwaelte ihres Landes, welche die fruehen Jahrzehnte des Kongo verhandeln. Ihren Koerpern ist die historische Erfahrung eingeschrieben, was nicht erst dann klar wird, als die Teilung Afrikas durch die europaeischen Grossmaechte auf dem Koerper von Daddy Moanda Kamono mit weisser Farbe markiert wird. Die Existenz der Performer ist durch eine schwer fassbare Identitaet gekennzeichnet, die nicht unwesentlich in dem von Europaeern konstruierten und ausgebeuten Land fusst. „Kongo existiert nicht“, heisst es an einer Stelle. Und dies ist wohl ein Schluesselsatz in dieser sich eher langsam, aber intensiv entfaltenden Performance. Der Kongo ist das, was die Weissen geschaffen haben. Was jedoch bleibt fuer die Schwarzen? Wo und wie sind ihre Wurzeln und Traditionen dingfest zu machen. Faustin Linyekulas „Kongo“ wirft dringliche Fragen auf und macht koerperhaft sichtbar, dass hinter „weisser“ Geschichte die Schicksale schwarzer Menschen stehen.
Das Publikum spendet freundlichen Beifall fuer einen herausfordernden Abend.
Ingo Starz (Athen)