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ATHEN/ Onassis Stegi/ Festival „Future Now“: Call Me Sugar“ von Christina Kipreou und Michalis Pitidis, „Earthquake“ von Vasilis Vilaras, „Perseids or How to party hard“ von Zoe Sigalou und Marina Siotou

10.04.2023 | Theater

Onassis Stegi, Athen
Festival Future Now

Besuchte Vorstellungen am 9. April 2023

Onassis Stegi verfolgt das Ziel, zeitgenössische Kunst am Puls der Zeit zu produzieren. Die Resultate sind manchmal eher bemüht, in anderen Fällen aber durchaus erfrischend. Letzteres gilt für das Festival „Future Now“, das soeben drei Theaterperfomances von jüngeren griechischen Künstler präsentierte. Es ist die Idee des Festivals, durch performative Analysen der Gegenwart die richtigen Fragen für die Zukunft zu stellen. In diesem Jahr drehte sich alles um Gender: Sexarbeiter, Gender Fluidity und kollektive Identitäten wurden in den Auftragsarbeiten behandelt und ästhetisch vielfältig vor dem Publikum ausgebreitet. Die drei Arbeiten konnten an einem Abend, der von 18:00 bis 23:15 dauerte, besichtigt werden. Ein lehrreiches Vergnügen. 

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Copyright: Onassis Stegi

Der Abend begann mit „Call Me Sugar“ von Christina Kipreou und Michalis Pitidis. Die beiden standen mit drei weiteren Schauspielern auf der Bühne, die im Untergeschoss von Onassis Stegi platziert war. Am Anfang gab es eine kurze Erörtung darüber, welche Bedeutung Masturbation während der Pandemie erlangte. Klopapier sah man in greifbarer Nähe. Darauf folgte in mehreren Szenen eine Auseinandersetzung mit Sexarbeit am Beispiel der Internetplattform „OnlyFans“. Man erfuhr dabei zwar einiges Wissenswertes, die jungen Darsteller blieben aber etwas blass. Man mochte ihnen ihr Gewerbe nicht recht abnehmen. Eine Szene, in der ein Sexarbeiter-Ehepaar interviewt wird, geriet auch inhaltlich deutlich zu flach. Die spielerische Anlage des Ganzen sorgte für eine zu harmlose Präsentation eines fraglos wichtigen Themas. 

Auf der Kleinen Bühne ging es anschliessend entschiedener und unterhaltender zur Sache. Vasilis Vilaras‘ „Earthquake“ war als Talkshow angelegt. Der Regisseur trat dabei als Talkmaster in Erscheinung, welcher mit fünf Gästen sprach, deren Beiträge durch einen Songvortrag abgeschlossen wurden. Es ging in dieser schwungvoll und überzeugend präsentierten Show um Gender und Diversity. Die Gäste traten als das auf die Bühne, was sie sind: eine albanische Dragqueen zum Beispiel oder eine Transfrau. Diese Authentizität auf der einen und die gekonnten inhaltlichen Erfindungen, welche etwa aus ‚falschen‘ Fragen des Showmasters bestanden, auf der anderen Seite machten die Darbietung zu einem ungemein unterhaltsamen Vergnügen, das erhebliche Tiefe erlangte und einen viel über Alltagsrassismus und eigene Vorurteile nachdenken liess. Die Songs der fünf Showgäste bildeten die emotionalen Kraftzentren der mitreissenden Performance. 

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Copyright: Onassis Stegi

Die dritte und letzte Aufführung führte einen zurück ins Untergeschoss. „Perseids or How to party hard“ von Zoe Sigalou und Marina Siotou brachte dem Publikum die Clubszene und die männlichen Erwartungen, denen junge Frauen dort ausgesetzt sind, näher. Fünf junge Frauen auf der Suche nach Anerkennung, Liebe und Lust – Frauen, die nicht Opfer sein wollen. Erst im Laufe der Performance schälte sich das eigentliche Thema dieser Arbeit heraus. Es ging im Grunde um kollektive Identitäten und um Solidarität unter Frauen. Gemeinsam sind wir stark – das war es, was als Botschaft am Ende herüberkam. Von fünf Frauen mit Verve vorgetragen. 

Das Publikum spendete nach den Aufführungen reichlich Beifall. Der Applaus nach der Performance „Earthquake“ klang ungefähr so, wie es deren Titel verheisst.

Ingo Starz (Athen)

 

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