Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

ATHEN/ Onassis Stegi: BROS von Romeo Castellucci

03.10.2022 | Theater

Onassis Stegi, Athen
Romeo Castellucci: Bros
Besuchte Vorstellung am 2. Oktober 2022

fb img 1664399893500

Gruppenbild mit Opfer

Romeo Castellucci gehört zu den grossen Bildschöpfern der Theater- und Opernbühne. Die Referenzsysteme seiner Inszenierungen werfen analytisches Licht auf unseren Umgang mit Bildern, betreiben aber zugleich auch Mythenbildung. Und diese Systeme zeigen, wozu Bilder in der Lage sind, offenbaren deren Wirkungsmacht. Manchmal geschieht es allerdings auch, dass Castelluccis intellektueller Zugang zum Visuellen einem starken emotionalen Erfahren des Bühnengeschehens im Wege steht. Bei seiner Arbeit „Bros“ verhält es sich aus Sicht des Verfassers so. Man blickt auf die Bühne, bewundert die eine Bildschöpfung, entziffert die andere, man spürt dabei aber wenig von dem, worum es geht: Die ausgeübte Gewalt bleibt im diskursiven Raum stecken, wird nicht zur dringlichen, theatralen Erfahrung.

Der Abend beginnt laut mit Maschinengewehrsalven. Er setzt sich akustisch fort mit einem seltsam wabernden Sound, den Scott Gibbons kreiert hat. Castellucci stellt Bilder Uniformierter und deren Opfer in den Raum, die sich oft auf vorgefundene, bisweilen gemalte Vorbilder beziehen, wie Rembrandts Gemälde “ Die Anatomie des Dr. Tulp“. Er zeigt verschiedene Arten der Gewaltausübung oder Folterung. Eine Szene, in der zwei Peiniger ihr Opfer wieder und wieder brutal mit Schlagstöcken malträtieren, bleibt allein schon wegen ihrer Länge im Gedächtnis haften. Das Auftreten der Uniformierten wird in unterschiedlichen Formationen gezeigt, welches den Mustern autoritärer Herrschaft folgt. Aufmarsch, Versammlung, Aktion wechseln sich auf der Bühne ab. Manchmal scheint auch Chaplins grosser Diktator zu grüssen, wenn Handlungen beinahe slapstickartig dargeboten werden. Lateinische Sinnsprüche und eine prophetische Gestalt leiten die Aufführung ein, deren Bedeutung erschliesst sich nur teilweise. Am Ende bleibt man als Zuschauer mit vielen Gedanken und ein paar starken Bildeindrücken zurück. Der wohlplazierte Gewaltreigen auf der Bühne hat bedauerlicherweise keine erschütternde Erfahrung geboten.

Die Akteure der Aufführung haben das Konzept Romeo Castelluccis präsise umgesetzt. Neben Valer Dellakeza, Luca Nava und Sergio Scarlatella kamen Männer von der Strasse zum Einsatz. Dem Bildmagier Castellucci gelingt ein durchaus interessanter, aber zu blutleer-distanzierter Abend. Das, was Gewalt hervorruft, bleibt im Halbdunkel der Bühne und im wabernder Sound verborgen. 

Das Publikum im ausverkauften Onassis-Kulturzentrum spendet lang anhaltenden Applaus. 

Ingo Starz (Athen)

 

 

 

 

Diese Seite drucken