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ATHEN/ Onassis Cultural Centre: YOUNG CHOREOGRAPHERS FESTIVAL

Ausweitung der Tanzzone

30.04.2018 | Ballett/Tanz

Onassis Cultural Centre, Athen
Young Choreographers Festival
Besuchte Vorstellungen am 29. April 2018

Ausweitung der Tanzzone

Das Athener Onassis Cultural Centre hatte zur fünften Ausgabe des Young Choreographers Festival fünf Performances von sechs griechischen Choreografen eingeladen. Wer wollte, konnte einen gut sechsstündigen Parcours bewältigen und so alle auf vier unterschiedliche Räume verteilten Beiträge sehen. Die jungen Künstler präsentierten interessante Ansätze, die es unternahmen, analoge und digitale Welt, performative und diskursive Praktiken miteinander in Dialog zu bringen. Befragt wurde dabei etwa, was es mit Realität und Authentizität auf sich hat. So wird im Festivalprogramm, in den Worten der Festivalleiterin Katia Arfara, „Tanz zu einem kritischen Instrument, das alternative Formen des Zusammenseins vorzeichnet“.

Die erste Performance „code bend time“ fand in einer Blackbox statt, wo die Zuschauer auf Sitzkissen Platz nehmen konnten (Ausstattung: Lina Motsiou). Die Performerin Evangelia Kolyra arbeitete mit Sprache und automatenhaften Bewegungen. Ihr Körper schien auf die Lautsprache zu reagieren, die sie – mit Microport ausgestattet – in Zwiesprache mit dem Publikum entãusserte. Mittels Textkarten und drei Mikrophonen waren alle Anwesenden zum Mitmachen aufgefordert. Das Ergebnis mutete wie eine in Körpersprache übersetzte Ursonate an – und es hörte sich auch teilweise wie Kurt Schwitters an. Im Dunkel des Raums tauchte man interaktiv in rätselhafte Zeichen von Klang und Körper ein.

Zu einer Performance zwischen analoger und digitaler Welt luden die Choreografen Christos Xyrafakis und Andi Xhuma mit ihrer Arbeit „Ok, that’s you...“ ein. Zusammen mit Gavriela Antonopoulou und Ioulia Zacharaki verkörperlichten sie die digitale Welt und gaben ein heiter-bewegtes Bild von den menschlichen Beziehungen unserer Zeit. Der von Thalia Melissa gestaltete Bühnenraum bestand aus einer Wand, die als Screen diente, und einem Sessel. Zunächst agierten die Tänzer wechselweise allein vor dem Screen und riefen dabei allseits bekannte Webseiten auf – von Twitter bis Wikipedia. Später starteten die Beziehungsgeschichten, die in einem wilden Mix aus Slapstick, Musical und Akrobatik gezeigt wurden. Die beiden Männer dienten da denn beiden Frauen schon mal als Fitnessgeräte. Und das Personal der Bühne erschien nun auch auf dem Screen, was zu turbulenten Interaktionen Anlass gab. Das Ergebnis war so charmant wie witzig und abgründig. Begleitet wurde das Geschehen von der starke Akzente setzenden Musik von Kornilios Selamsis.

Der dritte Beitrag des Festivals war das kraftvoll daherkommende Solo „BSTRD“ von Katerina Andreou. Sie performte auf und später auch neben einem Podium, an dessen hinterem Ende sich ein Plattenspieler und Lautsprecher befanden. Die Show begann damit, dass Andreou auftrat und eine Platte auflegte. Der daraufhin einsetzende Sound, den die Choreografin zusammen mit Eric Yvelin gestaltet hatte, basierte auf House Music. Was sich nun unter dem Titel „BSTRD“ unter harten Rhythmen auf der Bühne ereignete, war, und darauf verwies der vokallose Titel, ein Bastard oder Hybrid, welcher der Frage nach Authentizität nachging: Was ist dem tanzenden Körper eigen, was ist ’nur‘ performt? Andreou legte eine beeindruckende Show hin, dessen physische Präsenz einem unterschiedliche Lesarten gerade aufdrängte.

Die vierte, von Androniki Marathaki choreografierte Performance „Hi Jack. Hijack!“ mutete ein wenig wie eine Meditation an. Die Tänzerinnen und Tänzer bewegten sich auf einem markierten Spielfeld (Ausstattung: Konstantina Mardiki). Sie waren nur mit Unterwäsche bekleidet und übten sich zu bassgrundierten Rhythmen (Sound Design: Lambros Pigounis) in kreisenden, selbstbezogenen Bewegungsabläufen. Das Ganze lief sehr ruhig ab, nur gelegentlich beschleunigte ein Akteur seine Bewegungen. Léda Dalla, Candy Karra, Matina Kokolaki, Gitsa Konstantoudaki, Emmanouela Korki, Vitoria Kotsalou, Loukiani Papadaki, Aris Papadopoulos, Maria Papadopoulou, Kostas Tsioukas und Filippos Vasileiou veranschaulichten ein systemisches Geschehen und einige Störfälle. Die Zuschauer, mit Kopfhörern resp. Lärmschutz versehen, blieben dabei freilich zu sehr aussen vor.

Der fünfte und letzte Festivalbeitrag von Elpida Orfanidou weitete unter dem Titel „Pharmacist or Balloonist“ die Zone des Tanzes am stärksten aus. Sie arbeitete auf der Bühne mit vier Mitstreiterinnen in einer Art pharmazeutischem Laboratorium; sekundiert waren die Damen von einem fünfköpfigen Frauenchor, der allerdings nur zweimal kurz zum Einsatz kam. In dieser Lecture-Performance mit Tanz- und Musikeinlagen ging es um die Heilkraft von Kräutern. Orfanidou kommunizierte lebhaft mit den Zuschauern und auch der auf der Bühne angesetzte Tee durfte verkostet werden. Der Tanz war bei diesem transdisziplinären und transkulturellen Projekt eher eine Erweiterung des Handlungsraums – und er spielte keine allzu grosse Rolle. Man hätte sich auch für die Akteurinnen neben Orfanidou eine stärkere Präsenz gewünscht. So liebevoll ausgeformt manche Szene daherkam, so formschwach blieb der (überlange) Beitrag doch im Ganzen.

Das überwiegend junge und weibliche Publikum wusste das abwechslungsreiche und anregende Programm zu schätzen. Die Zustimmung war gross und bewies, dass das Onassis Cultural Centre gut dran tut, den tänzerischen Nachwuchs zu fördern.

Ingo Starz (Athen)

 

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