Foto: Cultural Centre
Onassis Cultural Centre, Athen: Rimini Protokoll: Granma – Trombones from Havana
Besuchte Vorstellung am 19. Dezember 2019
Im Sog der Revolution
Das Theaterkollektiv Rimini Protokoll praegt mit seinen dokumentarischen Projekten seit zwei Jahrzehnten die deutschsprachige und internationale Theaterlandschaft. Laengst hat man den Fokus auf deutsche oder europaeische Themen aufgegeben. Rimini Protokoll ist zu einem globalen Label geworden, welches sich – oft unterstuetzt vom weltweiten Netzwerk des Goethe Instituts – den grossen Fragen unserer Zeit annimmt. Es tut dies in interessanten Kollaborationen mit lokalen Akteuren, wie im Fall des von Stefan Kaegi in Szene gesetzten Stuecks „Granma: Trombones from Havana“. Die Arbeit nimmt das sechzigjaehrige Jubilaeum der Revolution auf Kuba zum Anlass, nach deren Vermaechtnis zu fragen.
Foto: Cultural Centre
Stefan Kaegi bringt, was sich als aeusserst kluger Schachzug erweist, vier Enkel von kubanischen Revolutionaeren auf die Buehne. Im Dialog zwischen den Generationen werden beginnend mit den Jahren des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs sechzig Jahre Geschichte erzaehlt. Es werden die positiven Errungschaften mitgeteilt, welche etwas die Rolle der Frau betreffen, aber auch die spaeter aufkommenden Missstaende nicht ausgespart. Der Abend zeigt auf bemerkenswerte Weise, dass eine Revolution im Grunde nie zu einem Ende kommt, sondern stetig und mit immer neuen Ideen und Protagonisten vorangetrieben werden muss. Der Blick der Enkel auf die Ereignisse ist unterschiedlich und kritisch: die Historikerin Milagro erweist sich als ueberzeugte Linke, die Musikerin Diana hat eine eher emotionale Bindung zur Revolution durch die Musik ihres Grossvaters, der IT-Experte Christian hat nach anfaenglicher Begeisterung ein kritisches Verhaeltnis zum Militaer entwickelt und der Filmemacher Daniel, dessen Ahne ein bedeutender Politiker war, zeigt sich mehr distanziert zum Ganzen. Das aesthetisch-szenische Mixture des Abends, welches mit Live-Musik, Filmeinspielungen, Interaktion mit dem Publikum und Papiertheater arbeitet, erzeugt einen facettenreichen Blick auf Kubas Geschichte. Die vier Akteure auf der Buehne erweisen sich nicht nur als gute Trombone-Spieler, sondern auch als grossartige Erzaehler. „Granma: Trombones from Havana“ stellt die richtigen Fragen und entwirft starke, zur Reflexion ermunternde Bilder, es vermeidet durch seine Multiperspektive eine Bevormundung des Zuschauers. Rimini Protokoll gelingt eine sinnliche, erzaehlerisch und aesthetisch vielschichtige Auffuehrung, bei der Realitaet und Theater, Alltag und Revolution ganz nahe ruecken. Selbst an einige Referenzen zu Griechenland hat man fuer die Athener Auffuehrungsserie gedacht.
Zu loben sind tatsaechlich alle an dieser Produktion Beteiligten, aber zuallererst die vier kubanischen Akteure auf der Buehne: Milagro Alvarez Leliebre, Daniel Cruces-Perez, Christian Paneque Moreda und Diana Sainz Mena. Ihr engagiertes Tun und ihre Ausstrahlung sind das Herzstueck des Ganzen. Stefan Kaegi und seine Dramaturgen Aljoscha Begrich und Yohayna Hernandez formen aus vielen Interviews und Recherchen eine fesselnde Erzaehlung und situieren diese szenisch bestens im Raum. Das Videodesign von Mikko Gaestel, die Musik von Ari Benjamin Meyers und das Sounddesign von Tito Toblerone und Aaron Ghantus tragen wesentlich zum Gelingen bei. Rimini Protokoll bietet einen hervorragend gearbeiteten dokumentarischen Blick auf sechzig Jahre kubanischer Geschichte.
Das Publikum spendet reichlich Beifall und Bravorufe.
Ingo Starz (Athen)