© Chris Van der Burght
Onassis Cultural Centre, Athen
Requiem pour L.
Besuchte Vorstellung am 15. April 2018
Trauermusik voll Lebensfreude
Wolfgang Amadeus Mozart hat sein Requiem unvollendet zurückgelassen. Joseph Eybler und Franz Xaver Süßmayr haben, wie man weiss, im Auftrag der Witwe das Werk vervollständigt. Die Art und Weise, wie der Musiker und Komponist Fabrizio Cassol in dem Tanzstück „Requiem pour L.“ an das Requiem herangeht, hat eher etwas von einer Ausweitung. Cassol zeichnet sich für den musikalischen Part eines Projekts verantwortlich, welches er zusammen mit dem Choreografen Alain Platel und dessen Kollektiv „les ballets C de la B“ sowie dem Festival de Marseille und den Berliner Festspielen als Mitproduzenten realisiert hat. Die Musik Mozarts erfährt dabei eine Ausweitung in der Hinsicht, dass afrikanische Musiktraditionen auf die klassische Komposition stossen, reagieren und diese gleichsam weiterdenken. Es entsteht eine Art klingendes Palimpsest. Trauermusik und -kult sind ja weissgott keine genuin europäischen Angelegenheiten, so dass diese performative Begegnung der Kulturen Augen und Ohren für essentielle Aspekte öffnet. Vor allem wird erlebbar, wie sehr eine Todeserfahrung das Lebensgefühl intensivieren kann. Fabrizio Cassol ist seit langem erfahren im Bereich des ‚interkulturellen‘ Musizierens. Im Jahr 1993 war er Mitgründer der Fusion-Band „Aka Moon“. Seine Ausweitung von Mozarts Requiem in den Raum afrikanischer Klänge und Rhythmen gibt der alten Musik eine neue Lithurgie.
Alain Platel platziert die beteiligten Künstler- fast alle haben afrikanische Wurzeln – in eine Art Grab- oder Mahnmallandschaft, die er zusammen mit Wim Van de Cappelle realisiert hat. Im Hintergrund sieht man auf einem grossen Screen eine weisse Frau auf ihrem Sterbebett. Das Geschehen auf der Bühne begleitet so das Sterben im Film. Die Choreografie beginnt verhalten, wird aber zusehens bewegter – dabei ganz der Musik folgend, d.h. deren spirituellen Movens in tradierte, meist einfache Gebärden übersetzend. Die im Rhythmus der Musik schwingenden Körper sind dabei immer als deren Resonanzraum zu verstehen. Besonders eindringlich ist dies im „Sanctus“ zu sehen. Es ist eine beinahe archaisch anmutende Setzung, die Platel vornimmt, die voll Energie und Lebensfreude ist. Diesseits und Jenseits treten in einen Dialog, einen interkulturellen noch dazu.
Die beteiligten Musiker und Sänger machen Ihre Sache grossartig. Zu nennen sind auf instrumentaler Seite der Dirigent Rodriguez Vangama, der auch an Gitarre und E-Bass agiert, Joao Barradas am Akkordeon, Kojack Kossakamvwe an der E-Gitarre, Niels Van Heertum am Euphonium, Michel Seba am Schlagzeug sowie die Likembe-Spieler Bouton Kalanda, Erik Ngoya und Silva Makenga. Auf der vokalen Seite verbinden sich klassischer Operngesang – Owen Metsileng, Nobulumko Mngxekeza und Stephen Diaz/Rodrigo Ferreira – und zeitgenössische Vocals – Boule Mpanya, Fredy Massamba und Russell Tshiebua. Für ganz besondere Momente sorgt in dieser Tanz- und Musikperformance das Auftreten des Euphoniums, das einer Tuba ähnlich ist. Das „Tuba mirum“ gerät so wundersam-berührend. Das Publikum spendet am Schluss begeisterten Beifall.
Ingo Starz (Athen)