Onassis Cultural Centre, Athen: Penthesilea
Besuchte Vorstellung am 17. Februar 2018
Heldendämmerung
Man hat die griechischen Helden durchaus anders im Kopf als sie einem der Regisseur Pantelis Dentakis in seiner Inszenierung von Heinrich von Kleists „Penthesilea“ präsentiert. Da erblickt man erst die rastenden, müden Krieger Diomedes, Antilochos und Odysseus in modernem Gewand (Ausstattung: Konstantinos Zamanis), sieht dabei einem zu, wie er sich die Fussnägel schneidet. Später erscheint Achill in antiker Rüstung: ein optischer Fremdkörper und eine augenscheinliche Dekonstruktion der Heldenfigur. In einem mit zwei antiken Trümmern und einem Wasserbassin versehenen Bühnenraum siedelt Dentakis das aussergewöhnliche, romantische Sprachkunstwerk an. Es geht ihm offensichtlich darum, die Figuren nahe an unsere Gegenwart heranzurücken. Bei den männlichen Protagonisten funktioniert das besser, auch wenn man sich die Frage stellt, ob Achill nicht etwas kämpferischer und damit ambivalenter in Erscheinung treten sollte. Hier ist er zu sehr nur der liebestrunkene Softie, welcher der rasenden Penthesilea zum Opfer fällt. Dass beide Hauptfiguren gleichermassen männlich und weiblich aufscheinen sowie gleich Elementargefühlen aufeinanderprallen, vermittelt die Inszenierung nur begrenzt. Der allzu smarte Achill begegnet Penthesilea, die deutlich wuchtiger ins Geschehen gerückt wird, nicht auf derselben Höhe des verbal entäusserten Affekts. Die vorschnelle Dekonstruktion des männlichen Helden erweist sich als Problem. Und warum wird nicht auch das Amazonenritual einer näheren Betrachtung und Dekonstruktion unterzogen? Weist nicht gerade diese auf Fortpflanzung ohne Liebe ausgerichtete Frauengesellschaft eine faschistoide Tendenz auf? Bei Pantelis Dentakis ist der Fokus zu wenig auf die Systeme hinter den Figuren und zu stark auf die Liebe als Motiv – was die zugefügte Figur eines Eros noch verstärkt – und die Männer als Problemstellung gerichtet. Das Geschehen entfaltet sich so zwar mit Charme und einigem Unterhaltungswert, aber nicht mit der elementaren Wucht, die Kleists Sprache auszeichnet.
Die Titelfigur wird, so scheint es, kaum hinterfragt: Was meint eigentlich der beinahe rasende Ton, mit dem Penthesilea verbal um sich wirft? Ihr innerer Kampf erfährt zu wenig Deutung. Immerhin gibt es einen sehr schönen Moment der Ambivalenz, wenn Achill nach Liebe dürstend mit einem Messer im Mund vor Penthesilea steht und beide erst zu Lächeln und dann zu Lachen beginnen. Diese Szene sagt viel über Liebe und Gewalt. Die Inszenierung im Ganzen bleibt trotz einiger Qualitäten im Detail zu leichtfüssig, um nicht zu sagen zu harmlos. Kleists „Penthesilea“ könnte uns wohl noch mehr über Individuum und Gesellschaft, Liebe und Krieg erzählen.
Pantelis Dentakis verfügt über ein gutes Ensemble, das von Vicky Volioti als Penthesilea angeführt wird. Sie ist das Zentrum des Abends, diejenige, welche Kleists Sprache (in der Übersetzung von Giorgos Depastas) am eindrücklichsten zum Klingen bringt. Thanos Tokakis gibt den sanften Helden Achill. Und er tut dies durchaus überzeugend. Dass er bei seinem ersten Auftreten um Sprache geradezu ringt, ist ein weiterer interessanter Moment der Inszenierung. In den übrigen Rollen überzeugen Iro Bezou, Syrmo Keke, Alkisti Poulopoulou, Aeneas Tsamatis, Kostas Koronaios und Argyris Xafis.
Das Zusammenspiel aller Akteure ist trotz der zuvor geäusserten Kritik sehenswert. Das Publikum spendet reichlich Beifall.
Ingo Starz (Athen)