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ATHEN/Onassis Cultural Centre in der Alten Nationalbibliothek: ELEKTRA von Markus Öhrn

Abgemurxt. Kalinichta

07.05.2018 | Theater

Onassis Cultural Centre in der Alten Nationalbibliothek, Athen
Fast Forward Festival
Elektra
Besuchte Vorstellung am 6. Mai 2018

Abgemurxt. Kalinichta

Das Athener Onassis Cultural Centre veranstaltet zum fünften Mal das Fast Forward Festival. Das von Katia Arfara kuratierte Programm zielt in diesem Jahr auf „archäologische“ künstlerische Verfahren, die unsere Gegenwart und jüngste Vergangenheit durchleuchten und befragen. Die Performances, Lectures und Ausstellungen, welche an vielen verschiedenen Orten der Stadt stattfinden, verhandeln dabei nicht zufällig immer wieder Diskurse über Imperialismus und Neokolonialismus. Und natürlich wird der archäologischen Hinterlassenschaft vor Ort Rechnung getragen. Im neoklassizistischen Bau der Alten Nationalbibliothek, genauer in dessen Lesesaal, hat sich der schwedische Video- und Theaterkünstler Markus Öhrn eingenistet und präsentiert unter dem Titel „All that may bleed“ (dt.: Alles, was bluten kann) seine Sicht auf sechs antike Tragödien.

Nach der ersten Performance, die sich Sophokles‘ „Elektra“ in weniger als 20 Minuten vornimmt, ist zumindest klar, dass Öhrn zu radikalen Textkürzungen bereit ist. Seine Version der Sophokleischen Tragödie kommt ohne die Titelheldin Elektra und deren Schwester Chrysothemis aus. Er zielt in seiner Arbeit ganz auf den Körper des Herrschers, wie der Untertitel seiner Performance deutlich macht. Zu Beginn geben – als Hinzufügung des Regisseurs – zwei Furien (die man besser Erinnyen nennen sollte) in wenigen Worten eine Hinführung zu den beiden Tötungen, um die sich das Geschehen dieser Performance dreht. Was dann folgt, ist, dass wir Orest dabei zusehen, wie er aus Rache für die Ermordung seines Vaters Agamemnon erst seine Mutter Klytämnestra und dann seinen Stiefvater Aigisthos umbringt. Dies geschieht mit einem Minimum an soundunterlegter Sprache und mit rhythmischen Wortwiederholungen. Wie der Puppenkopf der Herrscherin buchstäblich zu Brei geschlagen wird, hat einen gewissen visuellen Reiz. Und Aigisthos Abschiedswort „Kalinichta“ (dt.: Gute Nacht) gibt dem Ganzen einen sanft-ironischen Schluss. Was aber soll die Erkenntnis dieser knapp zwanzig Minuten sein? Etwa die, dass wir den Sprachkörper der antiken Tragödie getrost vergessen können, wenn wir uns nur genug die Körper der zu Tode gekommenen vor Augen führen? Was kann uns der demonstrative Hinweis auf die „Blutbahn“ der antiken Mythologie – vor Beginn des Spiels werden menschliche Blutbahnen auf zwei zwei Screens projiziert – Neues sagen, wo uns der blutige Verlauf der Menschheitsgeschichte und das Prinzip, wonach Gewalt ebensolche nach sich zieht, doch nur allzu gegenwärtig sind?

Die elf beteiligten Athener Frauen geben mit Masken versehen ihr Bestes im Spiel: Sousanna Arkouli als Aigisthos, Depy Aslanidou und Angela Iordanescu als Furien, Aphrodite Kapala als Klytämnestra, Maro Karamani als Orest sowie Diana Zachariadi, Youli Zachariou, Sandy Karaiskou, Mariangela Katsikali, Lena Pampouki und Katerina Triviza als Chormitglieder. Man schaut dem distanzierten Spiel und dessen puppenhafter Ästhetik nicht ungern zu – wobei angesichts des im Dunkel gehaltenen Raums und des grellen Scheinwerferlichts oft mehr auf den beiden Screens zu erkennen ist. Wie so oft, wird das Bühnengeschehen gefilmt, um in diesem Fall am Folgetag als Video gezeigt zu werden. Angesichts des Erkenntnismangels dieser Kürzestversion von „Elektra“ muss sich Markus Öhrn und sein Team – Ausstattung: Tilda Lovell, Sound/Licht: Damiano Bagli, Video: Jakob Öhrman, Dramaturgie: Efthimis Theou – fragen lassen, ob nicht eine Video-Installation zu allen ausgewählten Tragödien dem Publikum mehr Einsichten vermitteln könnte. Der mediale Aspekt käme dann noch stärker zum tragen und könnte vielleicht mehr über das Interesse der Medien an Mord und Totschlag, unserer Erinnerung daran usw. sagen. Darum geht es ja wohl auch bei dieser performativen, körperarchäologischen Annäherung.

Nach dem Liveact, der einen kurzen Beifall erhält, verlässt man die Nationalbibliothek einigermassen ratlos. Aufregendes Theater geht doch anders.

Ingo Starz (Athen)

 

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