Copyright: Onassis Cultural Centre
Onassis Cultural Centre, Athen
Fast Forward Festival
Mark Teh: Baling
Besuchte Vorstellung am 10. Mai 2018
Ein ‚Königsdrama‘, welches das Leben schrieb
Das Onassis Fast Forward Festival folgt in diesem Jahr der Idee, „archäologische“ Erkundungen zu unternehmen. In zwei der Ausstellungen wird die Verbindung zur wissenschaftlichen Disziplin ganz augenscheinlich: Das Projekt „Unconformities“ von Joana Hadjithomas & Khalil Joreige im Akropolis-Museum zeigt wie Stratigraphien als Narrative fungieren, während Hikaru Fujii’s Recherche „The Primary Fact“ eine spezifische Fundgruppe, ein Massengrab von Archäologen interpretieren lässt und darauf basierend eine künstlerische, im Film festgehaltene szenische Rekonstruktion vornimmt. Es ist interessant zu beobachten, wie wissenschaftliche und künstlerische Verfahren zusammengehen. In der Vergangenheit graben, kann man freilich auch in metaphorischem Sinn. Das Theaterprojekt „Baling“ des Regisseurs und Kurators Mark Teh basiert auf Archivmaterial und wirft einen faszinierenden Blick in die Geschichte des jungen Staates Malaysia.
Das Theaterprojekt stellt den 2013 verstorbenen Unabhängigkeitskämpfer und Kommunistenführer Chin Peng ins Zentrum des Geschehens. Der Fokus der Erzählung liegt auf den sogenannten Baling-Gesprächen, die im Dezember 1955 stattfanden und eine Lösung der bürgerkriegsähnlichen Verhältnisse – vor dem Hintergrund der noch existenten britischen Kolonialherrschaft – herbeiführen sollten. Den beiden Opponenten von Chin Peng, Tunku Abdul Rahman und David Saul Marshall ging es dabei vor allem darum, die Aufständischen zur Abkehr vom Kommunismus zu bewegen. Dies gelang jedoch nicht und Chin Peng kehrte in den Untergrund zurück. Ende der 60er Jahre ging der Kommunistenführer nach Peking, zuletzt lebte er in Thailand. Über 100 Minuten breitet die Performance das Aktenmaterial der Baling-Gespräche, Foto- und Filmdokumente sowie Bücher zum Thema vor dem Publikum aus. Die Gesprächsnotate erweisen sich als geradezu aufregende Dialogszenen, voll grosser Ideen und theatraler Kraft. Man wähnt sich bei diesem Stück um Unabhängigkeit, Identität, Aussöhnung und politischem Taktieren mehr als einmal in einem Shakespeareschen Königsdrama. Mark Teh hat als Forscher und Theatermacher grossartige Arbeit geleistet.
Wesentlichen Anteil am Gelingen der Produktion haben die drei Performer: Anne James, Imri Nasution und Faiq Syazwan Kuhiri. Sie schaffen beispielhaft und sehr überzeugend die Balance zwischen Erläuterung des historischen Geschehens und Rollenverkörperung. Es ist ein Vergnügen, ihnen zuzusehen. Wong Tay Sy als Production Designer, Fahmi Reza als Visual Projection Designer und Syamsul Azhar als Lichtdesigner haben einen aussagekräftigen Raum für die Performance entworfen, durch den sich die Zuschauer auf Sitzkissen bewegen dürfen. Der Raum ist gleichermassen Archiv (mit zwei Wänden voll Protokollen der Gespräche), Verhandlungsort, und Recherchebüro. Was man mit „Baling“ zu sehen bekommt, ist äusserst vitales und engagiertes dokumentarisches Theater aus einer Region, über die man in Europa viel zu wenig weiss.
Das nicht eben zahlreich erschienene Publikum zeigt sich sehr angetan und spendet am Schluss kräftigen Applaus. Möge das Onassis Cultural Centre noch viele solcher aufregender Erkundungen resp. Recherchegrabungen ans Haus holen.
Ingo Starz (Athen)