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ATHEN/ Onassis Cultural Centre: DREI SCHWESTERN von A. Tschechow

27.01.2019 | Theater

Onassis Cultural Centre, Athen

Drei Schwestern

Besuchte Vorstellung am 26. Januar 2019

Im Programmheft zur Aufführung von Tschechows Drama „Drei Schwestern“ merkt der Regisseur Dimitris Xanthopoulos an: „Ich habe die ‚Drei Schwestern‘ nie als Stück über Olga, Mascha und Irina angesehen. Alle Figuren des Werks sind die ‚Drei Schwestern‘. Sie führen vor, wie diese Menschen zusammenleben, wie sie interagieren oder sich unfähig erweisen, miteinander zu interagieren.“ In der Tat zeigt uns Xanthopoulos Figuren, die gleichwertig nebeneinander stehen. Figuren, welche, auch wenn sie zu anderen sprechen, zuallererst mit sich selber kommunizieren. Der Regisseur hat Tschechows Stück verkürzt und präsentiert den ganzen Abend über alle Schauspielerinnen und Schauspieler auf der grossen Bühne des Onassis Cultural Centre. Er weist die Figuren als Gefangene ihrerselbst, als von Unbehagen und Sehnsucht Getriebene aus, die wie Atome in einer Laborsituation aufeinanderstossen. In diesem Raum existieren nur momentane Begegnungen, aber keine Verbindungen und keine Bewegung, die Veränderung oder Erlösung bringt. Die Figurenkonstellation gerät unter der Leitung von Xanthopoulos zu einer Art Beckettschem Endspiel. Die Ausstattung von Eleni Manolopoulou unterstreicht dies. Der Bühnenraum wird durch fünf mit Glühbirnen versehenen Portalkonstruktionen in die Tiefe geführt – es erinnert ein wenig an den Effekt des Zoomens – und mit einer Bücherwand, die eine Uhr im Zentrum aufweist, abgeschlossen.

Davor sind ein Billardtisch und einige Möbel positioniert. Dem Setting haftet etwas Unbehaustes an und gleichzeitig erweist es sich als in mancherlei Hinsicht symbolisch. Die Uhr, auf welcher die Zeit unbarmherzig tickt und Vergänglichkeit markiert, die Bücher, Zeichen des Wissens und der Erinnerung, welche am Schluss von Natalia Ivanovna entsorgt werden, die Kugeln des Billardspiels oder die die

Wurfscheibe: alle diese Elemente sprechen von Wechsel- und Zufällen des Lebens, von Erinnerungsverlust und Endlichkeit. Zu diesem Eindruck trägt auch die von Alexis Kalofolias gestaltete Musik bei.

Dimitris Xanthopoulos zeigt in seiner Version der „Drei Schwestern“, und das gerät im zweiten Teil der Aufführung noch intensiver, von drohendem Erinnerungsverlust Versehrte, Menschen, die von der Vergangenheit nicht loskommen und in der Zukunft nicht ankommen wollen oder können. Er führt die dreizehn Figuren des Stücks als isolierte Körper vor, sich selbst und anderen fremd. Der Zugriff des Regisseurs ist überzeugend, braucht aber etwas Zeit, sich zu entfalten.

Vielleicht hätte im ersten Teil des Abends die Personenführung noch einiger zusätzlicher Details bedurft. Aus dem Ensemble ragen zwei Paarungen und eine Einzelfigur heraus: Mando Giannikou als Olga und Antonis Miriagos als Vershinin, Kalliopi Kanellopoulou Stamou als Irina und Giorgos Frintzilas als Tuzenbach sowie Rebecca Tsiligaridou als Natalia. Diesen fünf Darstellern gelingt es in besonderer Weise, das Konzept des Regisseurs zum farblosen Leben zu erwecken. Daneben bieten aber auch die restlichen Akteure gute Leistungen mit interessanten Akzentsetzungen. Diese wären Aris Armaganidis als Andrei, Angeliki Papathemeli als Mascha, Vasilis Karamboulas als Kulygin, Aris Balis als Solyony, Giorgos Valais als Chebutykin, Giorgos Stamos als Fedotik, Thodoris Skyftoulis als Ferapont und Nikolitsa Drizi als Anfisa. Alle Beteiligten entwerfen unter der Hand Xanthopoulos‘ eine Gesellschaft, der kommunikative Fähigkeiten verloren gingen. Und sie tun dies mit unbarmherziger Präzision.

Am Ende der Aufführung gab es starken, aber nicht allzu langen Beifall. Gut möglich, dass diese Sicht auf den Klassiker bei manchem Zuschauer Unbehagen (oder auch Unverständnis) auslöste.

Ingo Starz

 

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