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ATHEN/ Onassis Cultural Centre: DIE BAKCHEN nach Euripides

Eine stimmungsvolle Rockballade

26.03.2018 | Theater


Copyright: Onassis Cultural Centre

Athen/ Onassis Cultural Centre, Athen
Die Bakchen nach Euripides
Besuchte Vorstellung am 25. März 2018

Eine stimmungsvolle Rockballade

Der Theaterregisseur und Schauspieler Aris Biniaris hatte im letzten Sommer im antiken Theater von Epidauros Aischylos‘ Tragödie „Die Perser“ eindrücklich in Szene gesetzt. Dabei gelang ihm insbesondere eine musikalisch-rhythmische Darstellung des Chores, der auch in seiner, dem Kriegsgeschehen entlehnten Gebärdensprache eindringliche Präsenz entwickelte. Auch die Sprechakte der Solisten folgten einem klaren Klangkonzept. Diese Interpretation, die vom Publikum zu Recht gefeiert wurde, erinnerte einen nicht zufällig an Friedrich Nietzsches berühmte Schrift „Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“. Das Onassis Cultural Centre hat Biniaris nun eine andere antike Tragödie anvertraut: Euripides‘ „Die Bakchen“.

Das kurz vor dem Tod des Dramatikers entstandene und 405 v. Chr. postum in Athen uraufgeführte Werk handelt von der Rache des Gottes Dionysos an den Bewohnern seiner Geburtsstadt Theben, welche ihrer Verpflichtung zum Kult nicht nachkommen. Die Gottheit des Rausches lässt alle thebanische Frauen in Wahn verfallen und führt sie zum Berg Kithairon, wo sie als Bakchen dionysische – lustvolle wie zerstörerische – Rituale praktizieren. Da Pentheus, Thebens Herrscher, dem wilden Treiben mit Waffengewalt nicht beikommt, lässt er sich überreden, die Orgien als Frau verkleidet zu beobachten. Er wird entdeckt und sein Leib wird von den Frauen in Stücke gerissen. Seine verblendete Mutter Agaue ist es, die mit Pentheus‘ Haupt, welches sie für einen Löwenkopf hält, nach Theben zurückkehrt. Euripides‘ Tragödie lässt sich als Darstellung von Antinomien lesen: dem Widerstreit von Ordnung und ekstatisch-urtümlichem Ritual, von Kontrolle und Kontrollverlust, von bewusstem und unbewusstem Handeln und ähnlichem. Aris Biniaris‘ Ankündigung, dass er das Athener Publikum mit seiner Version des Stücks rocken wolle, klang vielversprechend.

Das von Paris Mexis gestaltete Setting ist einfach wie symbolisch: Über dem leeren Bühnenraum hängt ein reifenförmiges Objekt, das sich als Andeutung der Orchestra des griechischen Theaters lesen lässt. Darunter spielt sich das absichtsvoll in der Farbe Weiss gehaltene Geschehen ab. Es scheint, als wolle uns der Regisseur die Grammatik des dionysischen Rituals vorführen oder gleichsam seziert vorbuchstabieren. Die Live-Musik dazu steuern Victor Kouloumpis (E-Gitarre) und Panos Sardelis (Schlagzeug) bei. Ist das nun eine Art Essenz des bakchischen Rituals, welches wir zu sehen bekommen? Es ist fraglos eine wohldurchdachte, rhythmisch-musikalische Ordnung, die sich da entfaltet – aber eben eine Ordnung. Deren Strenge vermittelt nicht recht, was ein orgiastisches Treiben sein oder wo sich der Gegensatz zur Alltagsordnung vollziehen könnte.

Theatralisch bleibt das Ganze darum trotz interessanter Momente etwas flügellahm – weder Musik noch Bewegungschoreografie (Amalia Bennett) schlagen wirklich göttliche Funken. Der Abend gleicht mehr einer stimmungsvollen Rockballade als einem wilden Hardrock-Act. Das von Christos Loulis als Dionysos angeführte Ensemble zeigt eine geschlossene, gute Leistung: Amalia Bennett, Aris Biniaris, Charis Charalambous, Giorgos Gallos, Anna Kalaitzidou, Karyofyllia Karabeti, Onisiforos Onisiforou, Evi Saoulidou und Konstantinos Sevdalis.

Was uns Aris Biniaris mit seinen „Bakchen“ vor Augen führt, mag mit Fokus auf das Ritual ein wenig zu ‚archäologisch‘ geraten sein. Ein interessanter Theaterabend ist es allemal. Das Publikum dankt mit stürmischem Applaus.

Ingo Starz (Athen)

 

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