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ATHEN/Onassis Cultural Centre, Athen: XENOS – Tanzstück von Akram Khan

28.02.2018 | Ballett/Performance


Copyright: Onassis Cultural Centre

ATHEN/ Onassis Cultural Centre, Athen: XENOS
Besuchte Vorstellung am 27. Februar 2018

An den fremden Soldaten

Akram Khan gehört zu den gefeierten und gefragten Choreografen unserer Tage. Mit Tanzstücken wie „Until the Lions“, „Vertical Road“ oder „zero degrees“ erzielte er grosse Erfolge. Im Jahr 2012 konnte er einen Abschnitt der Eröffnungszeremonie der Olympischen Sommerspiele von London gestalten. Die erzählerische Kraft seiner Arbeiten wird oft gerühmt. So ist es nun ein grosses Glück, dass sich das Onassis Cultural Centre die Weltpremiere der neuesten Produktion von Akram Khan sichern konnte: „Xenos“, das von zahlreichen Institutionen koproduziert wurde, tritt von Athen aus seine Welttournée an. Zugleich ist dieses Werk das letzte, in welchem der Choreograf auch als Tänzer zu erleben ist. Für Spannung vor der Uraufführung war also gesorgt.

Mit seinem Stück „Xenos“, dessen griechischer Titel sich mit „Fremder“ übersetzen lässt, blickt Khan zurück auf den Ersten Weltkrieg, dessen Ende sich in diesem Jahr zum 100. Mal jährt. Er folgt in seinem Tanzsolo den Spuren eines indischen Soldaten, welcher für das britische Empire kämpfen musste. Der Künstler macht daraus nicht nur eine Anklage gegen Krieg und Barbarei, er entwickelt in seiner Erzählung ebenso eine transkulturelle Perspektive: In „Xenos“ begegnen sich Ost und West. Zu Anfang befindet sich Khan – in seiner Funktion als Tänzer – in einem indischen Ambiente. B C Manjunath (Perkussion) und Aditya Prakash (Gesang) steuern die musikalische Begleitung dazu bei, welche schon ertönt, wenn man den Zuschauerraum betritt. Das Ganze spielt sich im vorderen Teil der Bühne ab, welche von einer aufstrebenden Schrägen nach hinten abgeschlossen wird. Das wenige an Inventar ist an Stricke gelegt und wird etwas später über die Schräge gezogen und zum Verschwinden gebracht, wenn die Handlung zum Kriegsgeschehen übergeht. Zurück bleibt nur ein kleines Häufchen Lehmerde an der Bühnenrampe. Dieses ganz buchstäbliche Entziehen der alltäglichen Dinge ergibt ein ungemein starkes Bild. Die folgenden Szenen des Krieges verbinden individuelles Schicksal und kollektive Erfahrung. Die Schräge, die sich als Wall entpuppt – was sinnfällig an das Kriegsgeschehen erinnert -, dient nun als symbolhafte Spielfläche. Aus einem Trichter, der später auch als Suchscheinwerfer fungiert, vernimmt der lauschende Akram Khan eine Stimme, die an Soldaten, an Individuen erinnert. Später sieht man den Tänzer an Stricke gebunden an der Schräge hängend, an die mythische Figur des Prometheus gemahnend. Nun spielt in mehreren Szenen ein fünfköpfiges Musikensemble zuoberst auf dem Wall, klanglich zwischen Ost und West vermittelnd und teils den Kriegslärm wiedergebend. Eindrücklich die Sequenz, in der das Lacrimosa aus Mozarts „Requiem“ wie eine fernöstliche Weise klingt. Am Schluss der rund 70 Minuten ist der Solist wieder dort, wo er anfangs war: bei seinem kleinen Häufchen Lehmerde. In der letzten Bewegung der Aufführung rollen Erdklumpen die Schräge resp. den Wall herab. Ein Schlussbild als Mahnung an die unzähligen Soldaten und Opfer des Ersten Weltkriegs.

Akram Khan agiert mit grosser körperlicher Präsenz und eindrücklichen Gebärden. Seine Darstellung verbindet gekonnt moderne Tanzformen und traditionellen indischen Tanz. Sein Körper fungiert als Symbol und Tatsache einer hybriden Identität. Der erzählerische Fluss seines Stücks ist klar strukturiert und überzeugt in der Klarheit seiner Bilder. Der eher sparsam eingesetzte Text von Jordan Tannahill setzt darin gleichsam Erinnerungszeichen. Die gelungene musikalische Gestaltung resp. das Sounddesign stammt von Vincenzo Lamagna. Neben den bereits genannten Musiker spielen auf: Nina Harries (Kontrabass und Stimme), Andrew Maddick (Violine) und Tamar Osborn (Saxophon).

Das Publikum feiert Akram Khan und seine Mitstreiter mit Ovationen.

Ingo Starz (Athen)

 

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