Olympia – Städtisches Musiktheater „Maria Callas“
La Veronal: Sonoma
Besuchte Vorstellung am 28. Februar 2024
Buñuels Frauen
Das Athener Olympia-Theater pflegt für gewöhnlich ein traditionelles Repertoire. Aber manchmal, insbesondere im Rahmen von Kollaborationen, ereignet sich erstaunlich Aufregendes auf der Bühne. Im Kontext eines Spanien-Schwerpunkts gastiert die spanische Tanzcompagnie La Veronal mit „Sonoma“ in Athen. Ein erfrischend, bildreiches Gesamtkunstwerk kommt da zur Aufführung. Und das trotz Streik und Protestmärschen erschienene Publikum gerät ziemlich aus dem Häuschen.
Der Choreograf Marcos Marau, der kein ausgebildeter Tänzer ist, hat La Veronal – der Name ist dem Schlafmittel entlehnt, mit dem Virginia Woolf ihren ersten Selbstmordversuch unternahm – im Jahr 2005 gegründet. Seine Ästhetik bindet den Tanz eng mit anderen Ausdrucksformen zusammen, wie Musik, Sprache, Bildern, Sound. Mit seinen Arbeiten wandelt er in den Spuren des surrealistischen Filmemachers Luis Buñuel. Auch Marau versteht sich bestens auf Montage und Schnitt. Das zeigt sich nun in seiner 75-minütigen Arbeit „Sonoma“. Der Titel des Stücks setzt sich aus dem griechischen Wort für Körper (soma) und dem lateinischen für Klang (sonus) zusammen. Neun Frauen agieren auf der Bühne als Klangkörper. Der Abend beginnt mit Seligpreisungen, die sich auf die biblische Bergpredigt beziehen und etliche aktuelle Referenzen aufweisen. Die Frauen tragen die Worte in traditionelle Gewänder gekleidet und um ein Kreuz herum angeordnet vor. Dies ist der Einstieg in eine assoziative, surreale Bilder- und Körperwelt. Es ist darin viel religiöse Erfahrung verarbeitet, oft mutet das Ganze wie ein Lamento an. Es gibt aber auch heiter-gelöste, fast komische Momente. Kleider und Requisiten wechseln, die Tänzerinnen erzeugen vokalen und mit Trommeln auch instrumentalen Klang. Man wird Zeuge wundersamer Rituale, einer Montage, welche die Welt aus weiblicher Sicht zur Erscheinung bringt. Der Einspruch der Frauen.
In einer weiteren Szene mit Text, wo die Frauen davon berichten, was sie nicht tun sollen, werden die Sprechakte vom Vorspiel zum ersten Akt von Richard Wagners „Lohengrin“ begleitet. Im Hintergrund ist ein symbolistisches Landschaftsbild mit Schwänen zu sehen. Das Frageverbot des Gralsritters kommt einem da natürlich sofort in den Sinn. Und der Widerstand der Frauen gegen das Schweigen wird durch ihre lässig-verspielten Posen und den schrägen Inhalt der vorgetragenen Verbote deutlich. In dieser Szene kommen auch Kopfbedeckungen zum Einsatz, die ganz offensichtlich einen Bezug zum Schwan, Lohengrins Tier, schaffen. Nach dem Schlussapplaus ist noch immer ein Scheinwerfer auf diese Kopfaufsätze gerichtet und wiederum ertönt die Lohengrin-Musik. Der Widerstand der Frauen geht weiter.
Das neunköpfige Ensemble macht seine Sache ganz wunderbar. Die Akteurinnen sorgen für starke tänzerische und vokale Momente. Am Schluss ist die Begeisterung des Publikums gross. Man hört zahlreiche Bravorufe.
Ingo Starz (Athen)