Megaron – The Athens Concert Hall
Staatsorchester Athen
Besuchtes Konzert am 17. März 2023
Klänge im Widerstreit
Die laufende Saison zeigt eine sehr erfreuliche Besucherentwicklung in den Konzerten des Staatsorchesters Athen. Die Veranstaltungen sind gut ausgelastet und die Qualität der Darbietungen zeigt einen Aufwärtstrend. Der Klangkörper konnte nun für ein überwiegend russisches Programm den belgischen Dirigenten Michel Tilkin und die bulgarische Pianistin Plamena Mangova gewinnen. Beide warfen sich recht ins Zeug und entfachten ein lebhaftes dramatisches Geschehen auf dem Podium.
Der Abend begann eher meditativ mit einer Aufführung von Yannis Constantinides‘ Orchesterstück „Kleinasiatische Rhapsody“. Die Komposition ist deutlich der französischen Moderne verpflichtet und nimmt, wie häufig in griechischer Musik des 20. Jahrhunderts, Bezug auf traditionelle Melodien und Rhythmen. In drei Sätzen erzählt das Werk von der Klangwelt des 1922 verlorenengegangenen griechischen Siedlungsraums an der kleinasiatischen Küste. Das Orchester lieferte eine gediegene Interpretation ab. Das vierte Klavierkonzert g-Moll, op. 40 ist das letzte seiner Art von Sergei Rachmaninow. Es zeigt im mittleren Satz rhythmisch und harmonisch die Auseinandersetzung des Komponisten mit dem Jazz der 1920er Jahre, zu grosser Popularität hat es das Konzert deshalb jedoch nicht gebracht. Klavier und Orchester finden sich darin häufig weniger in dialogischer denn konfrontativer Anordnung. Schon im ersten Satz musste Mangova kräftig in die Tasten hauen, um dem kraftvollen und lautstarken Orchesterpart Paroli zu bieten. Die Pianistin wurde der Virtuosität des Stücks eindrücklich gerecht, während das Orchester mehr durch sein kraftvolles Spiel als durch gestalterische Details hervorstach. Es ist ein Klavierkonzert, dessen erzählerische Haltung sich nicht recht erschliesst.
Nach der Pause wurde es mit der fünften Sinfonie in d-Moll op. 47 von Dmitri Schostakowitsch deutlich interessanter. Das Werk aus den 1930er Jahren reflektiert in raffinierter Weise die staatlichen Repressionen, denen der Komponist in der Sowjetunion ausgesetzt war. Das formbewusste Stück weist interessante Referenzen zu Beethoven und Mahler auf – man könnte die Fünfte als Schostakowitschs Schicksalssinfonie bezeichnen. Der aufgeblähte Ländler im zweiten Satz wird etwa als Kritik an der politischen Führung verstanden, welche einen Volksmusikkult betrieb. In dieselbe Richtung weist auch der verzerrte Jubelgesang, der im letzten Satz vom Orchester angestimmt wird. Der gebändigte, aber trefflich ausformulierte Modernismus der Sinfonie wurde unter Tilkins Leitung bildhaft zum Ausdruck gebracht. Das Staatsorchester lief zu sehr guter Form auf, überzeugte mit energischen und geschärften Streicherpassagen ebenso wie mit auftrumpfenden Blechbläsern – letztere sorgten insbesondere für einen mitreissenden Finalsatz. Eine rundum gelungene Darbietung.
Das Publikum spendete lebhaft Beifall, der nach der Schostakowitsch-Sinfonie zu Begeisterung anschwoll.
Ingo Starz (Athen)