Megaron – The Athens Concert Hall : Operngala: Lise Davidsen
Konzert am 15. Oktober 2022
Wohlklang der Emphase
Lise Davidsen. Foto: Starz
Die Operngala als Veranstaltungsform ist ziemlich beliebt in Athen. Das mag wohl auch damit zu tun haben, dass der hiesige Kreis von Opernkennern eher klein ist. Dargeboten wird in der Regel mit griechischen Sängerinnen und Sängern das immer selbe italienische Repertoire, bevorzugt Ausschnitte aus Opern von Verdi und Puccini. Wenn etwas eine Operngala rechtfertigt, dann ist es freilich das Auftreten herausragender Sängerinnen und Sänger. Megaron und das Athener Staatsorchester taten fürwahr einen guten Griff, als sie die norwegische Sopranistin Lise Davidsen in die griechische Hauptstadt einluden. Die berühmte Sängerin bescherte den Veranstaltern ein nahezu ausverkauftes Haus und dem Publikum ein grossartiges Konzert.
Das Staatsorchester trat unter der Leitung des jungen Dirigenten Kornilios Michailidis an. Das Engagement des Griechen führte leider zu dem altbekannten Problem, dass ein Mangel an Erfahrung und Gestaltungswillen das Orchester nicht zu Höchstform führt. Die Vorspiele zu Verdis „Macbeth“ und „La Traviata“ machten das eben Genannte bereits deutlich, bei der Ouvertüre zu „Der Freischütz“ und dem Vorspiel zum dritten Akt von „Lohengrin“ wurden der Mangel an Gestaltung und Spannungsaufbau in aller Klarheit offenbar. Webers Stück zerfiel in seine Einzelteile und Wagners Musik kam zu gebremst und im Vortrag nicht brilliant genug daher. Im Orchester waren es die Bläser, die den Ton angaben, die Streicher blieben eher unterbelichtet und bisweilen unpräzise. Natürlich stand an diesem Abend nicht das Orchester im Zentrum. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf die vielerorts für Furore sorgende Sopranistin.
Lise Davidsen bot im ersten Teil des Konzerts drei Verdi- Arien dar. Den Anfang machte „Ma dall’arido stelo divulsa“ aus „Un ballo in maschera“. Die voluminöse Stimme der Sopranistin, deren üppiger, warmer Ton beeindruckte sogleich. An dramatischer Gestaltungskraft mangelt es Davidsen wahrlich nicht. Dies machten auch Beginn und Schlussteil der Arie „Tu che le vanità“ aus „Don Carlo“ mehr als deutlich. Was man als Hörer jedoch etwas vermissen konnte, war eine ausgefeilte Gestaltung musikalischer Linien und eine ausgeprägte Pianokultur. Der Gesang der Norwegerin beeindruckte, ist aber in diesem Fach nicht als einzigartig zu bezeichnen. Das „Ave Maria“ aus „Otello“ beschloss den ersten Programmteil. Die Innigkeit des Vortrags stach hier positiv hervor.
Es war der zweite Teil des Konzerts, der die Künstlerin ganz auf der Höhe ihres Könnens zeigte. Es steht ausser Zweifel, dass Davidsens Stimme wie geschaffen ist für das deutsche Repertoire, für die anspruchsvollen Partien der Opern von Richard Wagner und Richard Strauss. „Leise, leise, fromme Weise“ aus Webers „Der Freischütz“ kam umwerfend daher. Jedes Detail, jede Phrase war bestens gestaltet, die Emphase der Hoffnung war hinreissend vorgetragen. Webers Musik rückte nahe Wagner wie selten. Danach zeigte sich Davidsen mit Strauss‘ „Cäcilie“ als versierte, einfühlsame Liedsängerin. Man hätte freilich noch lieber eine Strauss-Arie gehört – etwa aus „Ariadne auf Naxos“. Über die Elisabeth der Lise Davidsen muss nicht viel gesagt werden. Im Bayreuther „Tannhäuser“ erntete sie Jubel für ihre Interpretation und so auch in Athen. Der Wohlklang der Wagnerschen Emphase erklang in exemplarischer Qualität. Stimmkraft und -schönheit der Norwegerin sind hier schlichtweg überwältigend.
Das Athener Publikum feierte Lise Davidsen mit lautstarkem Jubel. Toscas „Vissi d’arte“ und das Strauss-Lied „Morgen“ waren als Zugaben zu hören. Man durfte den Konzertsaal beglückt verlassen.
Ingo Starz (Athen)