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ATHEN/ Megaro Mousikis: LEHREN DES KRIEGES II: SIZILIANISCHES DRAMA – bearbeitet von Giannis Lignadis

14.05.2019 | Theater


Foto: Megaro Mousikis

Megaro Mousikis, Athen: Lehren des Krieges II: Sizilianisches Drama

Besuchte Vorstellung am 13. Mai 2019

Wenn Geschichte spricht

Kann man ein Werk der Geschichtsschreibung auf die Bühne bringen? Und wenn ja, wie sollte ein solches beschaffen sein, um als Grundlage einer dramatischen Handlung dienen zu können? Thukydides „Peloponnesischer Krieg“, das Werk, in welchem erstmals ein epochales Ereignis zum Gegenstand einer wissenschaftlichen historischen Darstellung gemacht wird, kann als eine solche Theatervorlage dienen. Dieser Meilenstein der Historiographie erzählt den mit Unterbrechungen von 431 bis 404 v.Chr. währenden Krieg nicht nur durch Zusammenfügung von Fakten, sondern auch mittels gleichsam dramatischen Einschüben, Reden der Hauptprotagonisten nämlich. Es ist eine Geschichte grosser Persönlichkeiten, die vor dem Leser ausgebreitet wird. Die Machtkämpfe, welche dabei zur Sprache kommen, nehmen bisweilen dramatische Qualitäten an, wie man sie von Shakespeares Königsdramen kennt.

Die Theaterproduktion „Lehren des Krieges II: Sizilianisches Drama“ ist die zweite in einer Aufführungsserie, welche sich Beschreibungen aus Thukydides‘ Buch annimmt. Sie befasst sich mit dem vom Athener Feldherrn Alkibiades angestossenen Sizilienfeldzug, der für den Stadtstaat Athen in einer Katastrophe endete. Die Aufführung folgt genau dem historischen Verlauf: Es beginnt mit der Mobilisierung des Volkes durch Alkibiades, der sich gegen die besonnenen Empfehlungen seines Konkurrenten Nikias durchsetzen kann und dann zusammen mit diesem und Lamachos die Truppen gegen Syrakus führt. Gekonnt erzählt die von Giannis Lignadis erstellte Theaterfassung – in neugriechischer Sprache mit einigen Einsprengseln in Altgriechisch – im Weiteren von der zermürbenden und erfolglosen Belagerung der Stadt, von der frühen, durch eine Anklage ausgelösten Rückberufung des Alkibiades, von der Hinrichtung des Nikias und der Gefangennahme vieler Athener. Der im Spannungsfeld der Grossmächte Athen und Sparta ausgetragene Konflikt gewinnt auf der Bühne erhebliche und eindrückliche Plastizität. Dies ist vor allem dem klugen, weil rhythmisch gut disponierten Einsatz der Sprache zu verdanken. Die Sprechakte der Schauspielerinnen und Schauspieler sind es, welche die Handlung vorantreiben. Sie sind es auch, welche die Hybris und Krise des demokratischen Athen so anschaulich machen.

Dimitris Lignadis bringt dieses wichtige Kapitel der griechischen Geschichte wie ein zeitgenössisches Dokumentartheater auf die Bühne der Dimitris Mitropoulos Hall des Megaro Mousikis. Der Konzertsaal bietet dafür mit seiner vom griechischen Theaterbau inspirierten Zuschaueranordnung das geeignte Raumerlebnis. Lignadis siedelt das Geschehen überzeugend und temporeich zwischen Rednertribüne und Kriegslager an. Eine im Hintergrund projizierte Karte Siziliens sorgt auf der Bühne und im Auditorium für die nötige Orientierung. Daneben sind es (passenderweise!) Bücher, die szenische Räume andeuten oder Unordnung anzeigen, und der rhythmische Sound von Thodoris Economou, welche dem Abend Struktur verleihen. In diesem Setting fungiert Dimitris Lignadis als Erzähler (oder Historiker), während eine Schar junger Darsteller mit Verve und vorbildlicher Diktion das kriegerische Geschehen vor dem Publikum ausbreitet. Zu loben sind sie alle, bemerkenswert ist der erst sechzehnjährige Darsteller des Alkibiades, welcher den ungestümen Populisten sehr überzeugend über die Rampe bringt. Die Aufführung kommt – und was könnte man besseres über sie sagen – überaus zeitgenössisch daher und lässt den Betrachter nachdenklich zurück, versunken in Gedanken über die Vergangenheit und Gegenwart. Man erlebt in der Tat eine Geschichtsstunde der besonderen Art. Ob es der einführenden Worte der Historikerin Androniki Makri bedurft hätte, sei dahingestellt. Die Geschichtsschreibung und das Theater finden jedenfalls in „Lehren des Krieges II: Sizilianisches Drama“ auf inspirierende Weise zueinander.

Das Publikum im ausverkauften Saal folgt dem Geschehen sehr aufmerksam und ist am Schluss begeistert.

Ingo Starz

 

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