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ATHEN/ Griechisches Nationaltheater/Openairtheater der Schauspielschule: DIE BAKCHEN von Euripides

01.10.2024 | Theater

Griechisches Nationaltheater / Openairtheater der Schauspielschule. Euripides: Die Bakchen 

Besuchte Vorstellung am 28. September 2024

Dekorative Antike 

bak
Foto: Nationaltheater

Ein griechischer Theaterwissenschaftler und Kritiker warf kürzlich die Frage auf, ob man die sommerlichen Aufführungen griechischer Tragödien und Komödien im antiken Theater von Epidauros nicht für ein paar Jahre aussetzen solle. Die geschah vor dem Hintergrund, dass eben diese Produktionen international fast gar kein Interesse hervorrufen – sieht man etwa von Theodoros Terzopoulos‘ diesjähriger „Orestie“ einmal ab -, sofern diese nicht von ausländischen Regisseuren auf die Bühne gebracht werden. Griechische Theatermacher tun sich, der Verfasser kann dies bestätigen, schwer mit dem antiken Theatererbe. Das hat wohl mit der Erwartungshaltung eines Publikums zu tun, welches die Stücke als Teil einer nationalen Identität begreift und darum deren Aufführung an tradierten Mustern zu messen gewohnt ist. Das Publikum tendiert dazu, den Text als unantastbar zu begreifen und das Szenische nur als Visualisierung von Sprechakten anzusehen. Auch in griechischen Rezensionen wird darum der Erörterung der zugrundeliegenden Übersetzung ins Neugriechische oft mehr Platz eingeräumt als der Diskussion der Inszenierung. Das Theatererbe wird noch immer stark unter einem philologischen Aspekt betrachtet und die Inszenierung als eine Verbildlichung und Bewegtmachung des dramatischen Texts. Man kann sich leicht vorstellen, dass solche Aufführungen weit von dem entfernt sind, was etwa das deutschsprachige Regietheater auszeichnet. Soll man nun wirklich eine Pause ausrufen und warten, bis das griechische Theater Anschluss an internationale Positionen zum antiken Theater gefunden hat?

Man ist geneigt, der eingangs erwähnten Überlegung des griechischen Kollegen zuzustimmen, wenn man sich Thanos Papakonstantinous Inszenierung von Euripides „Bakchen“, die zuerst in Epidauros gezeigt wurde, anschaut. Die Tragödie bietet interessante Fragen, die zum Beispiel auf das Verhältnis von Staat und Religion, auf Geschlechteridentität und anderes mehr zielen. Davon ist leider auf der Bühne wenig zu sehen, wenn man davon absieht, dass Papakonstantinou den als Frau verkleideten König Pentheus zum Anlass nimmt, Queerness zum Leitmotiv seiner Inszenierung zu machen. So bringt Dionysos hier etwa die Farben des Regenbogens als Bestandteil des Kults nach Griechenland, wird der Seher Teiresias von einer Frau dargestellt. Diese Setzungen könnten zu einer tiefgreifenden Befragung des Werks führen, sind aber de facto nur recht äusserlich eingesetzte Momente. Die Inszenierung bietet in der Ausbreitung der Sprechakte und der Bewegungsführung der handelnden Figuren eine Art Textverweissystem. Die Musik von Dimitrios Skyllos und das Bühnenbild von Niki Psychogiou bekommen darin eine unterstützende Funktion – der musikalische Part schlägt immerhin da und dort Funken. Die Personenführung des Regisseurs bleibt folgerichtig recht im Vagen. Die Schauspieler werden bewegt, bewegen den Betrachter aber kaum. Konstantinos Avarikiotis als Dionysos, Marianna Dimitriou als Teiresias, Alexia Kaltsiki als Agave, Argyris Pantazaras als Pentheus und Themis Panou als Kadmos könnten sich mehr befragendes Leben auf die Bühne. Dafür bräuchte es freilich eine Inszenierung, die radikale Fragen stellt und die Tragödie dramaturgisch ins Hier und Jetzt überführt. Nun ist das, was man dargeboten bekommt, so zeitlos wie beliebig. Man schaut auf eine reichlich dekorative Antike. Und dies vor Augen, ist man geneigt, dem in den Raum geworfenen Wunsch nach einer Theaterpause für das antike Repertoire zuzustimmen. 

Das Publikum spendet am Schluss sehr freundlichen Applaus.

Ingo Starz (Athen)

 

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