Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

ATHEN/ Griechisches Nationaltheater: DER MANN AUS PODOLSK von Dmitry Danilov

20.10.2022 | Theater

Griechisches Nationaltheater, Athen 

Dmitry Danilov: Der Mann aus Podolsk 

Besuchte Vorstellung am 19. Oktober 

ath

Repression und Therapie

Künstler hatten es schon vor dem Ukrainekrieg in Putins Russland nicht einfach. Wie äussert man Kritik in einem System, das eigentlich nur Zustimmung einfordert? Nun haben die Künste gottseidank die Möglichkeit, kritische Bemerkungen ästhetisch zu maskieren. Die Geschichte lehrt, dass gerade Literatur und Theater immer wieder zu Höchstform aufgelaufen sind, wenn es darum ging, Kritik an der Zensur vorbeizuschmuggeln. Der 1969 in Moskau geborene Dmitry Danilov ist ein Schriftsteller und Journalist, der vor wenigen mit seinem ersten Stück „Der Mann aus Podolsk“ erfolgreich als Theaterautor auf sich aufmerksam machte. Das satirische Werk richtet, und das macht es besonders interessant, seinen Blick gleichermassen auf staatliche Repressalien und die Ohnmacht vieler Russen gegenüber dem Leben und seinen Herausforderungen. Der junge griechische Regisseur Giorgos Koutlis hat nun das Stück ins Griechische übersetzt und auf der Kleinen Bühne des Athener Nationaltheaters in Szene gesetzt.

Nikolai, ein Mann aus Podolsk, wird in Moskau von der Polizei abgeführt und auf der Wache einer Befragung unterzogen. Man klärt ihn nicht über den Grund der Verhaftung auf und die Fragen über seinen Alltag nehmen schnell absurde Züge an. Die Polizei hält ihm Desinteresse und Passivität dem Leben gegenüber vor. Ein anderer Inhaftierter, ein Mann aus Mytishchi, wird ihm als gelungenes Beispiel einer Umerziehung vorgestellt. Doch wie geht diese Umerziehung vonstatten und handelt es sich wirklich um eine solche? Genauer betrachtet gleicht das Geschehen eher einer Therapiesitzung, wobei die Polizisten vor repressiven Massnahmen nicht zurückschrecken. Die staatliche Polizeigewalt und der uninteressierte, desorientierte Bürger werden mit satirischer Schärfe gezeichnet und ihre Zusammenführung legt wesentliche Probleme der russischen Gesellschaft offen. Man könnte sagen, das Verhalten der Polizisten, ihre Befragung hat Selbsterkenntnis zum Ziel. Die Vielschichtigkeit der Figuren – so schätzen selbst die Bullen „Einstürzende Neubauten“ – verhilft dem satirischen Stück zu einer eindringlichen Botschaft. 

Die Vielschichtigkeit des Texts, die absurde Anlage der Handlung verlieren sich leider in Koutlis‘ Inszenierung allzu oft in überbordender Komik, die einen an Balkankomödien erinnern kann. Die Musik und der anwesende Musiker (Panayotis Manouilidis) geben ein wenig die Anmutung des Absurden. Raum und Personenführung tun das leider nicht. Man hätte die Handlung und Szene fraglos stärker aufbrechen und so mehr Reflexionsraum schaffen können. Die tempo- und gestenreiche Inszenierung langweilt nicht, geht aber zu leichtfertig über die Fragen des Autors hinweg. Das Ensemble gibt dem Affen reichlich Zucker, das Spiel der Akteure bleibt dabei ziemlich eindimensional. Auf der Bühne agieren Aris Balis als Mann aus Podolsk, Yilmaz Husmen als Mann aus Mytishchi sowie Dimitris Imellos, Alexandros Siatras und Eleni Koutsiouba als Polizeicrew.

Das Publikum unterhält sich gut und spendet am Schluss viel Beifall. 

 

Ingo Starz (Athen)

 

 

Diese Seite drucken