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ATHEN/ Griechisches Nationaltheater: DER ANDERE von Penny Fylatakis

30.01.2023 | Theater

Griechisches Nationaltheater, Athen : Der Andere

Besuchte Vorstellung am 29. Januar  2023

Griechische Nabelschau

andre

Das griechische Theater ist noch stärker textbasiert als dasjenige in den deutschsprachigen Ländern. Auch wenn weniger Unterstützung für Dramatiker oder Schriftsteller im allgemeinen zur Verfügung steht, bieten die zahlreichen Athener Theater doch gute Möglichkeiten ans Publikum zu gelangen. Das Nationaltheater leistet dabei einen wichtigen Beitrag. Dort steht derzeitig eine satirische Komödie auf dem Programm, die leider recht holzschnittartig gezeichnet die griechischen Familienverhältnisse und die Bedeutung der orthodoxen Kirche humorvoll und kritisch be- und hinterfragt. 

Penny Fylaktakis Stück „Der Andere“ führt eine geplatzte Hochzeit vor. Ein Brautpaar – der Bräutigam ist ein angehender EU-Parlamentarier in Strassburg – landet mit Brautvater und Bräutigammutter wegen eines Schneetreibens in der falschen Kapelle. Dort treffen diese auf einen skurrilen Priester und den Anderen, der offensichtlich ein Obdachloser ist. Die unverhoffte Situation entfacht Wortgefechte, entblösst die Spannungen innerhalb der Familien, deren unterschiedliche politische Färbung, deckt aber auch gesellschaftliche Fragen auf und kratzt am Lack der allmächtigen orthodoxen Kirche. Der Vater Roulis entpuppt sich etwa als ehemaliger Gastarbeiter, als ein zu Vermögen gekommener Autonarr, der nichts über einen deutschen Mercedes kommen lässt. Im Umgang mit dem Anderen werden Vorurteile und Rassismus ersichtlich. Die einbrechende Dunkelheit löst ein sexuelles Verwirrspiel aus. Als nach der Nachtruhe der Rest an Bohnensuppe verschwunden ist, gerät die Notgemeinschaft in heftigen Streit, aus dem der Andere als Toter hervorgeht. Mühsam versuchen sich die Täter zusammenzureissen. Das Geschehen endet in „Unordnung“, wie es im Wortgesang der Schlussszene, einer Art Anti-Lithurgie, auch ausgesprochen wird.

Die Inszenierung zeigt eine aus hellen Stoffbahnen konstruierte Kapelle, die auch allgemein auf ein familiäres Heim verweist (Bühne: Evangelia Therianou). Wir befinden uns in der Gegenwart. Die Regisseurin Sophia Paschou lässt das Ensemble überagieren, was für Turbulenz auf der Bühne sorgt, das Ganze aber durchaus nicht komischer erscheinen lässt. Dass auf Szenen voll Überzeichnung eine triebhafte Nachtszene in Slow-motion und schliesslich eine Art Wortgesang als Ausklang folgen, ergibt keine rechte Plausibilität. Die Figuren sind, was schon ein Problem des Texts ist, ziemlich flach und eindimensional gezeichnet. Das sechsköpfige Ensemble zeigt dementsprechend keine grosse Schauspielkunst, sondern eher grosse Boulevardgesten. Es wirft sich aber mit Elan ins Geschehen: Giorgos Zygouris als Bräutigam, Katerina Patsiani als Braut, Kostas Filippoglou als Roulis, Evdokia Roumelioti als Mutter, Pantelis Dentakis als Priester und Dimitris Drossos als der Andere. „Der Andere“ von Penny Fylaktaki bietet 85 kurzweilige Minuten auf der kleinen Bühne des Nationaltheaters. 

 

Das Publikum spendet am Schluss herzlichen Beifall.

 

Ingo Starz (Athen)

 

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