Griechische Nationaloper, Athen : WERTHER
Besuchte Vorstellung am 31. März 2023
Wetzlar liegt am Meer
Anita Rachvelishvili, Francesco Demuro. Foto: Griechische Nationaloper
Die Griechische Nationaloper brachte Jules Massenets Oper „Werther“ 1962 erstmals auf die Bühne. Die letzte Neuinszenierung, welche nun ihre Wiederaufnahme erlebt, fand 2014 im Olympia-Theater, der vormaligen Spielstätte der Oper, statt. Der vor wenigen Jahren verstorbene Spyros Evangelatos ist der Regisseur dieser Produktion. Evangelatos war als Regisseur, Übersetzer und Theaterwissenschaftler tätig und fungierte für einige Jahre auch als Intendant der Nationaloper. Für die Wiederaufnahme des „Werther“ bietet das Haus nun ein hochkarätiges Rollendebüt auf: Anita Rachvelishvili singt erstmals die Partie der Charlotte.
In der Inszenierung von Evangelatos werden die Schauplätze der Handlung mit wenigen Requisiten angedeutet. Seitliche Schrägen mit Türen begrenzen die wechselnden Räume (Bühne: George Patsas). Auf der Hinterwand zeigen Videoprojektionen Naturstimmungen, markieren Himmel die wechselnden Jahreszeiten. Das Videodesign stammt von Eirini Vianelli. Im ersten Akt deuten Miniaturhäuser die Stadt an, zeigt das Hintergrundvideo eine Küste: Wetzlar liegt offensichtlich am Meer. Man könnte sagen, die Inszenierung schwankt zwischen historischem Realismus und Symbolismus. Eine eindringliche Personenführung lässt sie jedenfalls vermissen – und Anita Rachvelishvili hätte derer in der Tat bedurft. Viel über Massenets oder Goethes „Werther“ lernt man an diesem Abend nicht.
Das Orchester der Nationaloper spielt unter der Leitung von Jacques Lacombe gut auf. Musikalische Intensität entwickelt sich vor allem im dritten und vierten Akt. Der von Konstantina Pitsiakou einstudierte Kinderchor hätte ein paar Stimmen mehr vertragen können. Der Star des Abends ist Francesco Demuro, der mit Schmelz und immer stilvoll einen grossartigen Werther gibt. Sein Tenor hat Wärme und Farben, die Spitzentöne kommen sicher. Anita Rachvelishvili ist dagegen stimmlich und darstellerisch eine schwerfällige Charlotte. Sie bemüht sich Töne im Fokus zu halten, oft klingt ihr Mezzo aber zu dramatisch und farblos in den Höhen. Nikos Kotenidis als Albert singt gut, aber mit etwas monotonem Klang. In Spiel und Gesang bieten der Vater (Yanni Yannissis) und seine Freunde (Nicolas Maraziotis und Marinos Tarnanas) sehr schöne Leistungen. Als sehr gut in Stimmführung und -klang erweist sich der Sopran von Chrissa Maliamani. Die junge Sängerin überzeugt auch darstellerisch. Musikalisch fällt der Athener „Werther“ erfreulich gut, um nicht zu sagen sehr gut aus.
Am Schluss gibt es viel Beifall für die Beteiligten, Ovationen für Demuro und Rachvelishvili.
Ingo Starz (Athen)