Griechische Nationaloper / Park und Alternative Bühne
Novoflot: The Opera #2 und The Opera #3
Besuchte Vorstellungen am 1. und 7. Oktober 2022
Monteverdis verlorene Oper oder Wie macht man Oper
Novoflot Opea. Foto: Falco Siewert
In einem Artikel der Deutschen Welle wurde dieser Tage die Frage gestellt, ob wir in unserer Zeit die Kunstform Oper noch bräuchten. Das Berliner Kollektiv Novoflot gibt mit seinen Arbeiten bejahende Antworten auf diese Frage. Seit 2002 arbeitet es an neuen Formen des Musiktheaters. Novoflot’s Werke wurden bereits häufiger international präsentiert, nun wurden zwei Arbeiten in Athen gezeigt. Die Alternative Bühne der Griechischen Nationaloper hatte die Berliner Opernaktivisten eingeladen. Zu sehen waren The Opera #2 und #3, Teile einer Trilogie, die anlässlich des 400. Geburtstags von Claudio Monteverdi in den Jahren 2019-2021 entstanden.
Das Athener Gastspiel begann mit „The Opera #3 The Outtakes“, einer Openairperformance, welche im Park des Stavros-Niarchos-Kulturzentrums (zu welchem die Oper baulich gehört) dargeboten wurde. Das vom Regisseur Sven Holm und dem musikalischen Leiter Vicente Larranãga entfachte Spektakel führte Oper und Sport zusammen und bot dem Publikum ungewohnte Seh- und Hörerfahrungen. Leider war vom Text (Ulrich Holbein) und manchmal auch von der Musik nicht immer viel zu verstehen resp. zu hören. Das lag wohl auch daran, dass die meisten Zuschauer dem Geschehen eher zufällig beiwohnten, sich oft unruhig verhielten und ihre Gespräche nach kurzer Zeit fortsetzten. Das war angesichts des beträchtlichen Aufwands – immerhin kamen drei Musikensembles zum Einsatz, das Dissonart Ensemble, Johnny La Marama und das Philharmonische Orchester der Vorortgemeinde Chalandri – schade. Szenisch gab es ein paar starke Bilder, etwa wenn das Orchester auf dem Spielfeld einzog, Magne Håvard Brekke als Trainer zum Publikum sprach oder die wunderbare Rosemary Hardy ihren ausdrucksvollen Gesang erklingen lassen durfte. Die einzelnen Bilder des abendlichen Spektakels erinnerten an Formen des Musiktheaters, bezogen sich auf musikalische Einzel- und Gruppenaktionen. Da die Koordination des Geschehens und die Führung des Publikums nur teilweise gelang, erschloss sich der Inhalt von Opera #3 nur fragmentarisch. Ersichtlich wurde, dass es um eine Befragung der Kunstform ging und darum, was Oper eigentlich ausmacht.
Foyer und Bühnenraum der Alternativen Bühne boten rund eine Woche später bessere Voraussetzungen für eine konzentrierte Aufnahme des Dargebotenen. „The Opera #2 On the Ropes (About the End)“ verwendet musikalische Motive aus Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ und „rekonstruiert“ die verlorene Oper „Nelle corde (dalla fine)“ des italienischen Komponisten. Das wiederum vom Team Sven Holm und Vicente Larranãga auf die Bühne gebrachte Musiktheater erwies sich als eine gedankenreiche Dekonstruktion der Gattung Oper. Der Abend begann im Foyer mit dem Finale II und endete nach knapp 90 Minuten auf der Bühne mit der Ouvertüre und einem Wiegenlied. Das Publikum war um das Geschehen herum platziert und verfolgte einen Opernabend im Rückwärtsgang. Oder besser gesagt, die Zuschauer erlebten eine spielerische Versuchsanordnung. Obschon traditionelle Elemente wie Arie, Rezitativ oder Ballett erkennbar blieben, traten sie doch verändert auf. Die Transformation des Überlieferten machte deutlich, wie jede Zeit sich Oper neu aneignen kann, wie unterschiedliche Musikstile Arien und Tanz formen können. Dass sich die präsentierte „Rekonstruktion“ mit der intensiven Krönungszeit im England des 10. Jahrhunderts beschäftigte, war dabei wohl nicht so wichtig. Rosemary Hardys Auftreten war gleichwohl einer Queen würdig und sie setzte neben Ichi Go, die eine fulminante Gesangs- und Tanzeinlage zeigte, die stärksten szenischen Akzente der Aufführung. Nicht jede Intention der Macher liess sich einfach erschliessen und nicht jede Idee wurde zum überzeugenden Bild, der Abend bot aber in jedem Fall ein anregendes Nachdenken über das, was Oper ist und sein kann.
Das Publikum reagierte mit kräftigem Applaus auf die beiden Berliner Opernerkundungen.
Ingo Starz (Athen)