Griechische Nationaloper, Athen
Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
Besuchte Vorstellung am 21. April 2024
Mahagonny als Metropolis-Klon
Werke des zwanzigsten Jahrhunderts nehmen im Spielplan der Griechischen Nationaloper in jüngster Zeit einen durchaus prominenten Platz ein. Kurt Weills Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ kam in Athen bereits zweimal auf die Bühne, nämlich in den Jahren 1977 und 1999. Die griechische Erstaufführung wurde von dem namhaften Komponisten Manos Hadjidakis vorangetrieben. Bertolt Brechts Werk ist in Griechenland seit den späten 1950er Jahren hochgeschätzt. Man lies hier seine Werke und seine Stücke kommen regelmässig auf die Bühne. Die Neuinszenierung ist dem Regisseur Yannis Houvardas anvertraut, der mit der deutschen Dramenliteratur sehr vertraut ist und in der Vergangenheit auch im deutschsprachigen Raum gearbeitet hat. Im interview des Programmhefts streicht Houvardas die Aktualität der Oper heraus. Wie sieht nun sein Regieansatz aus?
Der Regisseur möchte genau das zeigen, was der Titel aussagt: Den Aufbau einer Stadt und deren Zerstörung. So ist der erste Akt im Bühnenbild von Eva Manidaki auf einer Bühnenschrägen mit rückwärtiger Wand angesiedelt. Die Neuangekommenen beginnen mit grossen, baukastenartigen Blöcken eine Stadt zu errichten. Im zweiten und dritten Akt beherrscht eine hochragende Stadtkulisse die Szene, welche wie die Kostüme von Ioanna Tsami an Fritz Langs Film „Metropolis“ erinnert. Es gibt fraglos interessante, zeitbedingte Verbindungen zwischen Oper und Film – ebenso wie Unterschiede ersichtlich sind. Gegenwärtig wird das Geschehen der Oper mit dieser ins Zentrum gerrückten Referenz aber kaum. Es scheint, das Produktionsteam hat sich so sehr auf ein Metropolis ähnliches Setting konzentriert, dass all das, was Städte unserer Zeit zum Thema aussagen könnten, vergessen ging. Was der Zuschauer sieht, zumindest im zweitenTeil des Abends, ist keine Vergegenwärtigung des Stoffs, sondern dessen Historisierung. Das veranschaulicht leider auch die Bewegungsführung von Amalia Bennett, die stellenweise Momente des Fritz Lang-Films kopiert. Der Einsatz von Live-Video auf der Bühne hängt wohl nicht nur mit der Filmreferenz zusammen. Video erweitert immer auch das erzählerische Spektrum einer Inszenierung. Das Video-Design von Pantelis Makkas kommt allerdings allzu oft recht geschmäcklerisch daher, scheint mehr auf Effekt und Metropolisreferenz denn auf Sinngewinn zu zielen. Houvardas erzählt die Handlung in diesem Rahmen ganz ordentlich, zeigt aber niemals den Willen etwas zu dekonstruieren oder mit aktuellen Referenzen aufzuladen. Darum verliert die Neuinszenierung im Laufe des Abends an Drive und wird uninteressanter.
Musikalisch kann sich die dritte „Mahagonny“-Produktion der Griechischen Hauptstadt hören lassen. Das Orchester unter der Leitung von Miltos Logiadis vermag die stilistische Vielfalt der Musik überzeugend umzusetzen. Die Bläser setzen starke Akzente. Die Koordination zwischen Graben und Bühne funktioniert sehr gut. Aus dem Sängerensemble ragt der Tenor Vassilis Kavayas als Jim Mahoney mit prägnantem Ton und sehr guter Diktion heraus. Marissia Papalexiou als Jenny lässt es etwas an Farbe und Durchsetzungskraft vermissen. Das Ensemble bietet im Ganzen erfreuliche, gute Leistungen: Anna Agathonos als Begbick, Christos Kechris als Fatty, Tassos Apostolou als Trinity Moses, Yannis Kalyvas als Jack resp. Toby, Haris Andrianos als Bill, Yanni Yannissis als Joe sowie Maria Mitsopoulou, Hera Zerva, Liudmila Bondarenko, Antonia Despouli, Barunka Preisinger und Magda Tzavella als Prostituierte. Der von Agathangelos Georgakatos einstudierte Herrenchor weiss zu überzeugen. Akustische Probleme im ersten Akt resultierten aus dem allzu offenen Bühnenraum. Das Klangbild war nach der Pause deutlich besser.
Das Publikum zeigt sich von der Produktion und den musikalischen Leistungen sehr angetan und spendet reichlich Beifall. Vereinzelte Bravorufe.
Ingo Starz (Athen)