Griechische Nationaloper / Alternative Bühne
Nicht Ich
Besuchte Vorstellung am 25. Februar 2023
Foto: Griechische Nationaloper
Die Alternative Bühne der griechischen Nationaloper bringt unterschiedlichste Formen von Musiktheater zur Aufführung. In qualitativer Hinsicht hält sich der Erfolg der zahlreichen Auftragsarbeiten leider in Grenzen. Ein gutes Ergebnis erzielt die aktuelle Produktion, eine Aufführung von Samuel Becketts spätem Monolog „Nicht Ich“. Man spürt und sieht, dass das Team um den Komponisten Zesses Seglias und den Regisseur Savvas Stroumpos gut zusammengearbeitet hat. Die knapp einstündige Aufführung erweist sich als sehr sorgfältig gearbeitet.
Becketts Text beschreibt eine Innenwelt, entfacht einen Gedankenstrom um Erinnerung, Schmerz und Schuld. Er gleicht einem Kopfrauschen im Loop. Die Stimmung ist düster, mutet trostlos an. Der Monolog bringt einen existenziellen, inneren Widerstreit zum Ausdruck. Was das Publikum auf der Alternativen Bühne sieht, ist keine Oper. Die Macher bezeichnen es einfach als Theater. Es darf aber sehr wohl als Musiktheater betrachtet werden. Seglias‘ Musik unterstreicht die Worte, erweitert und strukturiert den Text. Man könnte sagen, die Komposition verortet den unruhigen Gedankenstrom Becketts. Gleich den Worten fliesst der Klang, markiert Zäsuren, setzt Satzzeichen, nimmt bisweilen körperhafte, gleichsam mündliche Form an. Letzteres geschieht beispielsweise einmal unter Einsatz der E-Gitarre, deren Sound sich wie eine Klageschrei erhebt. Zesses Seglias wird dem Text in interessanter Weise gerecht. Man fragt sich nur momenthaft, wie dieses Projekt als Oper mit Singstimmen aussehen würde.
Die Inszenierung von Savvas Stroumpos bringt drei Akteure auf die Bühne. Elli Ingliz und Evelyn Assouad geben den Text wieder, Babis Alefantis reagiert körperlich auf den Wort- und Lautschwall. Die zwei Frauen ragen mit hohen Frisuren gleich Büsten aus einem felsartigen Konstrukt hervor, das man auch als Kanzel lesen könnte (Ausstattung: Katerina Papageorgiou). Der junge, fast entblösste Mann ist durch ein Seil mit dem Bühnenaufbau verbunden. Er verstrickt sich im Lauf der Aufführung immer mehr, sinkt schliesslich wie leblos zu Boden. Wie die Musik trägt diese szenische Anordnung, in der das gespannte Seil gleichsam eine Grundspannung ausdrückt, zur sinnfälligen Verortung des Textes bei. Es ist eine Szenerie der Unentrinnbarkeit. Der Text ist dabei eine Partitur und wird auch so von den zwei Akteurinnen vorgetragen, einander abwechselnd und im Duo. Geräusche des Mundes, Atmen und Röcheln, unverständliche und verstehbare Sätze sind da zu hören. Existenzielle Not wird schon allein auf der akustischen Ebene erfahrbar sowie im intensiven Dialog zwischen Sprecherinnen und Orchester. Das neunköpfige Musikensemble wird von Nicolas Vassiliou souverän dirigiert.
Das Publikum spendet am Schluss starken, anhaltenden Beifall.
Ingo Starz (Athen)