Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

ATHEN/ Griechische Nationaloper/Alternative Bühne: KASSANDRA von Pablo Ortiz. Agamemnons bestes Stück 

04.10.2024 | Oper international

Griechische Nationaloper / Alternative Bühne 
Pablo Ortiz: Kassandra ‚
Besuchte Vorstellung am 29. September 2024

Agamemnons bestes Stück 

trans

Die Alternative Bühne der Griechischen Nationaloper fiel bislang nicht eben durch eine progressive Programmgestaltung auf. Viele der dort zur Uraufführung gekommenen, von griechischen Komponisten geschaffenen Auftragswerke gleichen eher Musicals denn Opern. Die Ankündigung der Zusammenarbeit mit dem Teatro Colón in Buenos Aires machte darum neugierig. Das rund siebzigminütige Musiktheaterwerk „Kassandra“ von Pablo Ortiz auf ein Libretto von Sergio Blanco wird vom Leiter der Alternativen Bühne, Alexandros Efklidis und Diana Theocharidis auf die Bühne gebracht. Als Kassandra agiert und singt die Transfrau María Castillo de Lima. Eine interessante Konstellation. Wie schauen also südamerikanische Künstler auf die mythische Frauenfigur des trojanischen Krieges? 

Wenn man Kassandra zu einer zeitgenössischen Transfrau macht, liegt es wohl nahe, deren antike Opferrolle zu überwinden. Ja, auch hier ist von sexuellem Missbrauch zu hören, von Abhängigkeit, aber eben auch vom Ausgang aus der männerdominierten sozialen Hierarchie. Kassandra wird zu einem Beispiel von Selbstermächtigung, einem Vorgang, in dem das Begehren gleichsam umgedreht wird. Es ist die Transfrau, welche die Männer benutzt, Trojaner wie Griechen. Und dabei ist sie immer noch ein bisschen Seherin. Diese Kassandra ist ganz und gar eine Person von heute, wie auch das einfache Bühnenbild von Gonzalo Córdova anzeigt. Die Musiker sind in das Geschehen miteinbezogen, welches zwischen privatem und öffentlichem Raum angesiedelt ist. Blickt man auf ein Café oder in die Wohnung der Kassandra alias María Castillo de Lima? Man gewinnt in jedem Fall tiefe Einblicke in ihr Sexualleben. Die Geschichte vom trojanischen wird häppchenweise nacherzählt, die Namen der Helden tauchen auf, deren Bedeutung wird aber auf deren Schwanzgrösse eingeschrumpft. Ganz bildlich wird das in einer Szene, wo Kassandra an einem Tisch mit Dildos in unterschiedlichen Grössen sitzt. Die Dildos stehen für die besten Stücke der Krieger – und natürlich hat Agamemnon den grössten. Das ist schön plakativ und gar simpel, zumal wenn man von Selbstermächtigung sprechen will. Vom Inneren der Figur, ihren Ängsten und Zweifeln erfährt man leider kaum etwas. Das ist nun wirklich keine befriedigende Neudeutung der Kassandrafigur. Was den Abend gleichwohl zu einem kleinen Ereignis macht ist die Sopranistin María Castillo de Lima. Ihre schiere Präsenz vermag starke Akzente zu setzen. 

Leider bietet der Abend, und darauf kommt es ja am meisten an, musikalisch keine Überraschungen. Die Komposition bewegt sich zwischen elektronisch grundierten Klangflächen und Elementen populärer Musik. Die Gesangsstimme wird konventionell geführt, das klangliche Geschehen kommt fast so flach wie das Libretto daher. Fünf Mitglieder des Ergon-Ensembles, die unter der kundigen Leitung von Nicolas Vassiliou stehen, bringen die Musik tadellos zur Aufführung. Besser wird die Musik und das gesamte Werk dadurch leider nicht. Der Betrachter schaut fasziniert auf die Sängerin und vernimmt die wiederkehrenden Erzählungen von Troja und den Griechen  mit zunehmender Langeweile. 

Das Publikum spendet am Schluss sehr freundlichen Beifall, der zuallererst María Castillo de Lima gilt.

Ingo Starz (Athen)

 

Diese Seite drucken