Griechische Nationaloper / Alternative Bühne: Cheap Smokes (Billige Zigaretten)
Besuchte Vorstellung am 24. Dezember 2022
Foto: Griechische Nationaloper
Nightlife in Athen
Der Film „Ftina Tsigara“ (Billige Zigaretten) von Renos Haralambidis kam im Jahr 2000 am Internationalen Filmfestival in Thessaloniki heraus. Die nachdenkliche, einer Jazz-Improvisation gleichende, von Alltagsphilosophie, Gesprächsfetzen und Flirts durchtränkte Reise durch eine Athener Augustnacht war zunächst in den Kinos erfolglos. Der Erfolg stellte sich erst später mittels Homevideo und Internet ein. Der nunmehr populäre Film, der einen an Arbeiten von Jim Jarmusch erinnern mag, gelangt nun als sogenannte Operette auf die Bühne – und er ist nicht der einzige populäre Film, dem in Athen derzeit eine Musikalisierung widerfährt. Die Operette ist eine Zusammenarbeit des Komponisten Panayotis Kalantzopoulos, des Librettisten Petros Vouniseas und der Liedtexter Eleni Zioga und Michalis Ganas. Das Werk wurde von der Alternativen Bühne der Griechischen Nationaloper in Auftrag gegeben. Der Filmemacher Renos Haralambidis steht in allen Aufführungen selbst als Erzähler auf der Bühne. Wie schaut das Athener Nachtleben nun als Operette aus?
Haralambidis Film zeigt eine Aneinanderreihung von Momenten, von zufälligen Begegnungen, welche durch die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen Nikos und Sofia – im Film ist Nikos Renos, also der Filmemacher – zusammengehalten werden. Daneben treten etliche weitere Gestalten der Nacht in Erscheinung. Der Film hat bereits einen deutlichen musikalischen Mood und überzeugt durch seine Unaufdringlichkeit, seine dahingleitende Handlungsfolge und durch die charaktervollen Menschentypen, die er präsentiert. Auf der Bühne sind diese Gestalten der Nacht permanent in einem Raum mit vielen Sofas – an einem Ort, der sich als Café, Bar oder Club lesen lässt. Dazu tritt eine Telefonzelle als wichtiges Element der Handlung. Zahlreiche Bildschirme liefern ständig wechselnde Bilderfluten. Anfangs liest man auf ihnen „Gruppentherapie“. Doktor Freud lässt grüssen, könnte man angesichts der Sofas denken. Was der Regisseur und Bühnenbildner Konstantinos Rigos auf die Beine gestellt hat, schaut allerdings eher wie eine Travestie griechischer Befindlichkeiten aus. Alles tendiert zum Lauten und Effektvollen, die Charaktere werden überzeichnet, die Handlungsfolge wird zur permanenten Show mit Gags und bunten Kostümen (Apostolos Mitropoulos). Das ist kein Dahingleiten durch die Nacht mehr, die Typen des Films sind Zerrbildern, Karikaturen gewichen. Für Rigos ist alles Show, die Nachdenklichkeit und Melancholie der Vorlage geht verloren. Eine therapeutische Wirkung hat das Ganze wohl kaum. Eine Weile mag dieses Getöse ja unterhalten, spätestens nach einer Stunde beginnt man sich jedoch zu langweilen.
Wenn einen etwas aus der Langeweile reisst, dann sind es einige treffliche Musiknummern und die ruhigeren Szenen zwischen Nikos und Sofia. Nikos Lekakis und Christina Stefanidi sind als Flirtende darstellerisch und sängerisch überzeugend. Panayotis Kalantzopoulos liefert dem Ensemble einige schöne Melodien, etwa die Songs, in denen Zigaretten und Kaffee – beide essentiell für die Bewältigung des griechischen Alltags – besungen werden. Seine Musik verbindet gekonnt verschiedene Stile, von Jazz bis zu traditioneller griechischer Musik. Eher kitschig gerät jedoch ein Song auf die Musik des Weihnachtslieds „Stille Nacht“. Mit der Musik hätte man jedenfalls mehr machen können als eine grelle, knallig-bunte Show. Die sechs Musiker, unter ihnen der Komponist, machen ihre Sache sehr gut. Idra Kayne als Sängerin Lana muss wegen ihrer eindrücklichen stimmlichen Leistung hervorgehoben werden. Gute Leistungen zeigt das restliche Ensemble: Konstantinos Bibis, Sofia Kourtidou, Paris Thomopoulos, Alexandros Psihramis, Takis Vamvakidis, Dimitris Nalbantis und Athina Vrouva. Man hätte den Beteiligten eine Inszenierung gewünscht, die mehr einem Nachttraum als einer Nummernrevue gleichen würde.
Das Publikum im vollen Saal war jedenfalls nach fast zweieinhalb Stunden recht begeistert. Die Aufführung trifft offensichtlich den Nerv vieler Athener oder zumindest deren Unterhaltungsbedürfnis.
Ingo Starz (Athen)