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ATHEN/ Greek National Opera: WOZZECK

Die Welt als Tollhaus

27.01.2020 | Oper


Copyright: Greek National Opera

Greek National Opera, Athen: Wozzeck

Besuchte Vorstellung am 26. Januar 2020

Die Welt als Tollhaus

Die griechische Nationaloper setzt ihre Erweiterung und Entdeckung des modernen Opernrepertoires fort. Zum ersten Mal in ihrer achtzigjaehrigen Geschichte steht Alban Bergs „Wozzeck“ auf dem Programm. Die 1925 uraufgefuehrte Oper wurde zuvor nur im Musikzentrum Megaro Mousikis auf die Buehne gebracht. Dort setzte Georg Rootering das Werk 1995 in Szene, Michael Schonwandt dirigierte das Berliner Sinfonie-Orchester, das heutige Konzerthausorchester Berlin. Nun kehrt die Oper, welche einen Meilenstein in der Musiktheatergeschichte darstellt, in die griechische Kapitale zurueck. Fuer die Inszenierung zeichnet Olivier Py verantwortlich, der seit 2013 das renommierte Festival d’Avignon leitet.

Der franzoesische Regisseur zeigt, tatkraeftig unterstuetzt vom Ausstatter Pierre-Andre Weitz, eine unheimlich gegenwaertige Welt. Die Buehne wird beherrscht von einer tribuehnenartig auf- und absteigenden Hochhausarchitektur, welche die Figuren eher einschliesst denn individuell befreit. Die so dargestellte Stadt entpuppt sich als Labyrinth und Machtinstrument, als spaetkapitalistisches Tollhaus, in dem klare Hierachien herrschen. Die zahlreichen Umbauten gehen fliessend vor sich, offenbaren immer neue architektonische Facetten und geben dem Ganzen ein filmisches Gepraege. Wozzeck erscheint als hilflos Gefangener in einer Welt, die zwar Gott kennt, aber Natur nur mehr als Idee und Experiment zulaesst. Olivier Py akzentuiert das Geschehen mit Symbolen, von denen der als Clown gezeigte Narr das auffaelligste ist. Der Totenkopf, den Wozzeck zu Beginn auf einem Stuhl findet und der Clown. der staendig und ueberall auftaucht, lassen sich als Mementi mori verstehen. Die Titelfigur wird gleich einem Spielball durch das Geschehen getrieben, sie erscheint verloren in einer Welt, die als Ausgang nur den Tod kennt. Pys Personenfuehrung fokussiert auf die Welthaltigkeit des Stoffes und weniger auf die Beziehungen zwischen Wozzeck und seiner naeheren Umgebung. In Hinblick auf Marie, Andres und den Doktor koennte man sich tatsaechlich eine schaerfere Zeichnung der Personen vorstellen. Insbesondere die Frauenfigur haette mehr Aufmerksamkeit verdient. Der Inszenierung gelingt gleichwohl eine stringente, spannungsreiche Erzaehlung der Geschichte.

Vassilis Christopoulos am Pult des Opernorchesters sorgt fuer eine beachtliche Wiedergabe des Werks. Er hat den Apparat nicht nur unter Kontrolle, er weiss das musikalische Geschehen auch sinnhaltig zu formen und voranzutreiben. Es sind vor allem die Blaeser und Perkussionisten, welche unter seiner Leitung zu Hochform auflaufen. Der Orchesterepilog vor der Schlussszene macht dies beispielhaft deutlich. Der Klangkoerper zeigt, was er kann, wenn er den richtigen Dirigenten am Pult stehen hat. Die kurzen Einsaetze von Chor und Kinderchor der Nationaloper kommen akkurat daher. Die beiden Kollektive wurden von Agathangelos Georgakatos und Konstantina Pitsiakou gut praepariert.


Copyright: Greek National Opera

Tassis Christoyannis hat nicht den charaktervollsten Bariton, aber die Faehigkeit, seine Stimme gestalterisch zur Wirkung zu bringen. Ausserdem ist er schauspielerisch begabt, so dass er einen ueberzeugenden Wozzeck abgibt. Peter Hoare als Hauptmann und Peter Wedd als Tambourmajor setzen starke tenorale Akzente. Der Andres des jungen Tenors Vassilis Kavayas laesst aufhorchen. Tadellos ist auch der von Yanni Yannissis gesungene Doktor. Nadine Lehner als Marie braucht etwas Zeit, um ihre Stimme voll entfalten zu koennen – wobei es auch an der akustisch nicht ganz einfachen Buehnenarchitektur liegen mag, dass sie anfangs stimmlich weniger stark hervortritt. Lehners Sopran gibt der Figur jedenfalls ein empfindsames, ansprechendes Profil. Das gesamte Ensemble hinterlaesst einen ueberzeugenden Eindruck und verhilft Alban Bergs „Wozzeck“ zu einer stimmigen und gelungenen Erstauffuehrung an der griechischen Nationaloper.

Das Publikum spendet anhaltenden Beifall mit Bravorufen fuer Saenger, Dirigent und Orchester,

Ingo Starz/ Athen

 

 

 

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