Copyright: Greek National Opera
Greek National Opera, Athen
Lucia di Lammermoor
Besuchte Vorstellung am 18. März 2018
Tod in der Badewanne
Am Ende sind die Liebenden vereint im Tod, der in einem Badezimmer im Schottland des 19. Jahrhunderts vollzogen wird. So endet Gaetano Donizetti’s „Lucia di Lammermoor in der Athener Neuproduktion anders als man es üblicherweise zu sehen bekommt. Dieser Schluss ist aber in gewissem Sinn überzeugender, weil die Inszenierung von Katie Mitchell einem stringenten Konzept folgt. Das Publikum der besuchten vierten Vorstellung weiss die interessante Deutung, die zuvor bereits am Londoner Royal Opera House Covent Garden gezeigt wurde, zu schätzen. Nach langer Pause – die letzte Serie von „Lucia“-Aufführungen an der Griechischen Nationaloper fand im Dezember 1981 statt – kehrt ein Meisterwerk des Belcanto in einer erfrischend spielfreudigen und anregenden Interpretation zurück in den Athener Spielplan.
Katie Mitchell hat das Werk, wie bereits erwähnt, im 19. Jahrhundert angesiedelt und dabei, mehr als die Schöpfer der Oper, den Fokus auf die Rolle der Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft gelegt. Wie sie in einem Programmheftbeitrag zu Recht darlegt, gibt das Libretto der Hauptfigur nicht allzu viel Spiel- resp. Entwicklungsraum. Die Regisseurin erweitert darum den Handlungsrahmen, um mehr über Lucia, ihre Liebe, ihr Aufbegehren und ihren vermeintlichen Wahnsinn erzählen zu können. Sie tut dies, wenn man so will, in dreifacher Hinsicht, indem sie uns auf der Bühne stets zwei nebeneinander ablaufende Szenen sehen lässt, Handlungsabläufe hinzufügt und für Lucia und ihre Zofe stumme Doppelgängerfiguren einführt. Letzteres ist nicht nur ein Signum romantischer Dichtung, sondern auch ein Moment, welches der Rolle der Frau und deren von Männern entworfenem Image gleichsam historische Tiefe verleiht. Die simultan ablaufenden Szenen andererseits machen das Bühnengeschehen filmischer und eben auch komplexer. Der Zuschauer erfährt mehr über die Titelheldin, sieht ihren Emanzipationsversuchen – etwa, wenn sie und ihre Zofe Alisa in Männerkleider schlüpfen – wie ihrem Widerstand gegen die vom Bruder eingeforderte Ehe zu, darf über eine mögliche Schwangerschaft rätseln, den Mord in der Hochzeitsnacht und ihren Selbstmord in der Badewanne mitverfolgen. Mitchell macht die Figur der Lucia und ihre soziale Position facettenreich anschaulich, und dies im Kontext des 19. Jahrhunderts – Bühnenbild und Kostüme: Vicki Mortimer -, als die Frauen anfangen, sich zu emanzipieren.
So sehr die Sichtweise der britischen Regisseurin zu überzeugen weiss, so wenig tut dies das Dirigat von George Petrou. Das Spiel des Orchesters kann weder als besonders stilgerecht noch als sehr präzise bezeichnet werden. Mehr als einmal hakt die Kommunikation zwischen Graben und Bühne. Mehr Orchesterproben hätten der Produktion offenkundig gut getan. Auch der von Agathangelos Georgakatos einstudierte Chor kommt nicht über eine solide Leistung hinaus. Möglicherweise ist die Premierendichte des Frühjahrs schuld an den eher mässigen Leistungen der Kollektive.
Zu grosser Form laufen hingegen die Sängerinnen und Sänger auf. Christina Poulitsi als Lucia erweist sich den Anforderungen der Partie in höchstem Masse gewachsen. Man kann, wenn man etwa an den Gesang einer Edita Gruberova denkt, ein paar unsichere Triller oder die beschränkte Strahlkraft beim finalen, hohen Es bemängeln, muss aber die grossartige Gesamtleistung bewundern. In der Wahnsinnsarie sind einige Töne von geradezu betörender Schönheit. Poulitsi, die diese Rolle erstmals darstellt, gibt ein grosses Versprechen für die Zukunft ab. Alexey Dolgov als Edgardo kann mit einem virilen, stimmkräftigen Tenor prunken. Stilistisch sollte er sich aber noch besser in den Belcanto einüben. Als Enrico Ashton wartet Marco Caria mit einer klangschönen Baritonstimme auf, die nur gelegentlich mit etwas zu viel Druck geführt wird. Tassos Apostolou singt einen sehr guten Raimondo. Auch in den kleineren Partien hört man erfreulich gute Leistungen: so von Nikos Stefanou als Arturo, Theodora Baka als Alisa und Charalambos Velissarios als Normanno. Am Ende der Aufführung jubelt das Publikum und feiert insbesondere Christina Poulitsi, die griechische Primadonna des Abends.
Ingo Starz (Athen)