Copyright: Greek National Opera
Greek National Opera, Athen: Herrumbre
Besuchte Vorstellung am 9. Februar 2019
Koerpersprache der Gewalt
Nach einem misslungenen „Schwanensee“ bringt die Griechische Nationaloper nun eine zeitgenoessische Choreographie auf die Buehne: Nacho Duatos „Herrumbre“. Das 2004 in Madrid uraufgefuehrte, und 2016 in Berlin einstudierte Werk ist eine Reaktion auf Terrorismus und staatliche Folterpraxis unserer Tage. Duato bemerkt zu seiner Choreographie: „Es geht nicht nur um Folter, sondern auch darum, wie der Mensch ein derart herabwürdigendes Extrem erreichen kann, wie den Verlust der Würde. Ich vergleiche den Menschen mit Eisen, das oxidiert, als ob die Seele Rost ansetzt.“ Der Choreograph laesst sich also von der Frage leiten, was einen Menschen antreibt, andere zu foltern. Sein Blick wendet sich dem Rost auf der Seele zu – folgerichtig bezeichnet der spanische Titel „Herrumbre“ nichts anderes als diesen Rost.
Die gitterartige, mit Scheinwerfern versehene Buehnenwand, welche sich drehen und wenden laesst, charakterisiert treffend den Schauplatz des Schreckens, den man als Gefaengnis deuten kann. Und sie eroeffnet auf geschickte Weise unterschiedliche Perspektiven auf das Geschehen. Das Buehnenbild von Jaafar Chalabi verbindet sich hervorragend mit dem ausgekluegelten, atmosphaerischen Lichtdesign von Brad Fields. Vielleicht noch mehr als das Sichtbar-Raeumliche ist es das Hoerbare, was das Duatos „Herrumbre“ orchestriert und unheimlich macht. Der Musik bzw. dem Sound von Pedro Alcalde, Sergio Caballero und David Darling gelingt es eindruecklich, Klangraeume des Unbehagens und der Gewalt darzustellen. Der Tanz trifft so auf ein geradezu ideales Setting, das eine fliessende, gleichsam filmische Bilderfolge erlaubt. Von Schuessen oder Einschlaegen angetrieben startet ein Geschehen, das einmal auf die Taeter, ein anderes Mal auf die Opfer oder deren Angehoerige fokussiert. Es sind viele Einzelbilder, die sich wie ein Puzzle zu einem Ganzen fuegen – ohne freilich die Frage, warum gefoltert wird, beantworten zu koennen. Nacho Duatos taenzerische Sprache folgt klassischen Mustern und findet gleichzeitig zu einem ueberzeugenden zeitgenoessischen Idiom. Das etwas mehr als einstuendige Werk weist Geschlossenheit auf, aus welcher sich einige Szenen besonders hervorheben. Da ist etwa diejenige, in welcher zwei Maenner einen anderen mit Tritten und Schlaegen foltern. Wie dies in einen taenzerischen Fluss von hoher Intensitaet eingebunden ist, verdient Bewunderung. Oder da ist eine Szene, in welcher die Gitterwand (oder der Gefaengniszaun) die Buehne teilt und man links die gefangenen Maenner und auf der rechten Seite die verzweifelten Frauen erblickt. Diese Darstellung des weiblichen Leids gehoert zu den Hoehepunkten des Abends. Dass die Choreographie mit der umgestuerzten Gitterwand, auf der Kerzen an die Opfer erinnern, endet, ist konsequent – aber vielleicht auch unnoetig. Wie ein oft geschautes Fernsehbild rueckt diese Schlussszene das zuvor Geschehene gleich wieder etwas von uns weg.
Trotz kleiner Einschraenkungen, die die Wirkung einzelner Szenen betreffen, darf man sagen, dass Nacho Duato mit „Herrumbre“ eine eindrucksvolle Choreographie gelungen ist. Gelungen ist ihm insbesondere, die unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten resp. Betroffenen zu einem Gesamtbild zusammenzufuegen. Die zwanzig Taenzerinnen und Taenzer auf der Buehne zeigen sich ihren Aufgaben gewachsen, teilweise auf bemerkenswerte Weise. Erwaehnt seien an dieser Stelle nur die auftretenden Solisten: Eleana Andreoudi, Eurydice Issakidou, Maria Kousouni sowie Danilo Zeka, Agapios Agapiadis und Stelios Katopodis. Es bleibt zu hoffen, dass man im klassischen Repertoire in Zukunft aehnlich interessante und qualitaetvolle Arbeiten zu sehen bekommt.
Das Publikum im nahezu ausverkauften Opernhaus spendete kraeftigen, mit zahlreichen Bravo-Rufen durchsetzten Beifall.
Ingo Starz