Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

ATHEN/ Athens Epidaurus Festival / Peiraios 260 William Kentridge: FAUSTUS IN AFRICA !

23.06.2025 | Theater

Athens Epidaurus Festival / Peiraios 260

William Kentridge: Faustus in Africa!

Besuchte Vorstellung am 22. Juni 2025

Kolonialismus trifft Goethe

faus2
Foto: Epidaurus-Festival

Der südafrikanische Künstler William Kentridge ist dem Athener Publikums wohlbekannt. Man schätzt seine vielseitige, politisch konnotierte Arbeit, die sich spielerisch verschiedener Medien bedient. Animation und Puppentheater sind immer wieder zentrale Elemente im Schaffen des Künstlers. Und diese zeichnen auch eine Theaterarbeit aus, die bereits 1995 herauskam und nun wieder auf die Bühne gebracht wird: „Faustus in Afrika!“. Die hochgelobte Produktion macht für drei Aufführungen Station in Athen.

Es ist in diesem Fall nicht nur die Auseinandersetzung mit afrikanischer Geschichte, die Kentridge umtreibt, sondern auch der erfrischende und scharfsichtige Blick auf einen Klassiker der europäi­schen Literatur, Goethes „Faust“. Es ist erstaunlich, überraschend und faszinierend, wie der Theatermacher die Faustgeschichte – und er bezieht sich dabei auf beide Teile – mit der kolonialen Vergangenheit des afrikanischen Kontinents zusammenbringt. Und dafür braucht er gerade einmal hundert Minuten. Natürlich muss er Goethes Klassiker ganz erheblich zusammenstreichen, aber wichtige Szenen und Orte fallen auch in dieser kolonialen Perspektivsetzung sofort auf. Nennen lässt sich etwa der Prolog im Himmel und Auerbachs Keller, der sich nun in Dar es Salaam befindet, aus dem ersten oder der Kaiserhof aus dem zweiten Teil. Nicht nur die Szenenfolgen der beiden Stücke wurden radikal zusammengestrichen, sondern auch das Personal der Handlung. Kentridge legt den Fokus auf Faust, Mephisto, Gretchen und Helena. Die Frauenfigur des ersten Teils, die von Fausts Handeln zugrundegerichtet wird, ist eine Schwarze, die des zweiten Teils eine Weisse. Der Kaiser wird zum afrikanischen Diktator, der mit dem Westen Geschäfte macht. Der Titelheld wird stärker als im Original als Abenteurer gezeigt, den eine rege Geschäftstätigkeit zu Entdeckungs- und Ausbeutungsreisen antreibt. Der Kolonialismus, der den Kontinent Afrika so sehr geprägt und verändert hat, wird hier zum faustischen Handlungsprinzip, das sich auf dem unmoralischen Teufelspakt gründet. Und wie wir wissen ist die Zeit, in der Goethe seinen Faust schrieb, eine des Kolonialismus, der Sklaverei und europäi­scher Entdeckungsreisen. Faustus in Africa!“ schaut in überzeugender Weise von Afrika aus auf einen deutschen und europäi­schen Klassiker. Die weisse Marmorästhetik von Goethes Antikenbild ist ersetzt durch ein koloniales System, das Schwarze unterdrückt. 

fau1
Foto: Epidaurus-Festival

Es ist beeindruckend, wie William Kentridge die recht komplexe Handlung sich in einem multimedialen Setting (Bühnenbild: Adrian Kohler) entfalten lässt. Da ist zunächst der Bühnenraum, der weniger an die Bibliothek eines Gelehrten denn ein Handelskontor des frühen 20. Jahrhunderts erinnert. Im Zentrum ist ein Screen platziert, auf dem die animierte Welt des kolonialen Afrikas – geschaffen von William Kentridge – zu sehen ist. Die unterschiedlichen Schauplätze und die Reisen von Faustus lassen sich im Bewegtbild anschaulich und hintersinnig darstellen. Auf den Pulten des Kontors agieren grosse Handpuppen – gestaltet vom Regisseur und Adrian Kohler -, welche die verzwickte Geschichte von Faust und dem Kolonialismus erzählen. Die Puppenspieler von der Handspring Puppet Company, welche auch das gesprochene Wort liefern, machen ihre Sache ganz ausgezeichnet. Neben den Puppen gibt es nur einen Schauspieler auf der Bühne. Es ist ausgerechnet Mephisto, der von einem Menschen verkörpert wird, einem Weissen muss man hinzufügen. Das Geschehen konzentriert sich auf wesentliche Schauplätze, die Dialoge sind kurz gehalten. Das Bühnensetting schaut ein wenig wie eine Installation aus, eine Imaginationsmaschinerie, die leichterhand Gedankenräume öffnet und verbindet. Goethes „Faust“ wird in dieser Umsetzung zu einer bildmächtigen Parabel über ein schwieriges und blutiges Kapitel der Weltgeschichte.

Das Publikum folgt der Aufführung sehr aufmerksam. Am Schluss gibt es sehr freundlichen Applaus und ein paar Bravorufe. Dass nicht mehr Enthusiasmus aufkommt, liegt wohl daran, dass viele der Handlung nicht recht folgen konnten. Es war in diesem Falle zweifelsohne von Vorteil, wenn man Goethes „Faust“ gelesen hatte. Beeindruckt waren die Athener aber schon.

Ingo Starz (Athen)

 

 

Diese Seite drucken