Athens Epidaurus Festival / Peiraios 260
The Bacchae
Besuchte Vorstellung am 5. Juli 2023
Ekstase einer mediatisierten Welt
Foto: Pierre Gondard
Antike griechische Dramen gehören seit jeher zum Kernbestand des Athens Epidaurus Festival. Für gewöhnlich werden diese Werke in den beiden antiken Theatern von Epidauros gezeigt. Dort kommen allerdings in der Regel nur die Originale oder handzahme Neuschreibungen auf die Bühne. In einer der Hallen der Athener Peiraios 260 kam nun eine aussergewöhnliche Bearbeitung von Euripides Tragödie „Die Bakchen“ zur Aufführung. Es handelte sich um eine queere Version des Stoffs von Elli Papakonstantinou, die Performance „The Bacchae“ nach Euripides. Queere Theateraufführungen oder Bearbeitungen von Klassikern fanden sich in den letzten Jahren immer wieder in den Spielplänen Athener Häuser. Onassis Stegi richtet etwa viel Augenmerk auf diesen Themenbereich. Und Euripides‘ Tragödie birgt das Queere ja auch in ihrem Stoff: Man denke an Dionysos, eine Gottheit zwischen den Geschlechtern, und Pentheus, der sich als Frau herrichtet und sich unter die Bakchen mischt. Und im weiteren weist das antike Theater als solches, wo alle Rollen von Männern gespielt wurden, auf „Gender Fluidity“ hin. Es gibt also gute Gründe, das Queere zum bestimmenden Thema einer Inszenierung zu machen.
Elli Papakonstantinou’s Performance ist in gewissem Sinne eine der ekstathischen Momente. Es ist ein multimediales Ereignis, in welchem sich Bilder, Körper, Klänge und Musik zu einem dekadent anmutenden Endspiel zusammenfinden. Überzeichnung, mediale Fülle und grosse Gebärden sind die theatralen Mittel, mit denen die Geschlechter gleichsam verflüssigt, ausgestellt und befragt werden. Die performativen und technischen Medien sind zu einer eindrücklichen Szenenfolge zusammengesetzt: da ist die Choreografie von Christophe Béranger und Jonathan Pranlas-Descours, die Musik von Ariah Lester, das Sounddesign von Lambros Pigounis, Live-Video von Pantelis Makkas und das Lightdesign von Marietta Pavlaki. Das Bühnenbild von Maria Panourgia und die Kostüme von Ioanna Tsami stehen im Zeichen des Fliessenden, der wandelbaren Raum- und Menschenkörpern. Elli Papakonstantinou hat zusammen mit Chloe Tzia Kollyri den Text verfertigt, der hauptsächlich in Englisch, aber auch in Französisch und Griechisch daherkommt. Er folgt dem mythischen Geschehen und ist doch gleichzeitig ganz Gegenwart, wenn etwa von Flüchtlingen und Klimawandel die Rede ist. Er hat es allerdings bisweilen schwer, sich gegen die Überfülle an ästhetischen Mitteln durchzusetzen.
Eine grosse Stärke der Aufführung ist ihr Ensemble. Es stehen ganz unterschiedliche Charaktere, Schauspieler, Sänger und Performer auf der Bühne. Sie machen das Geschehen bunt und vielschichtig, setzen starke körperhafte Akzente. Dabei sind es besonders die Männer, die die „Gender Fluidity“ greifbar machen. Vassilis Boutsikos, Georgios Iatrou, Chara Kotsali, Ariah Lester, Lito Messini und Aris Papadopoulos sind die Erreger eines komplexen Geschehens, das mit einer von Erschütterungen heimgesuchten Gesellschaft ihren Anfang nimmt. Dionysos schlägt hier wie eine Bombe ein – oder dem Text folgend wie ein Meteorit. Das nachfolgende Treiben der Bakchen ist Befreiung, Anarchie und auch Gewaltakt. Der als Frau verkleidete Pentheus fällt dem Blutrausch seiner Mutter zum Opfer. Ihr metallenes Brustkleid wird am Schluss auf die Bühne gestellt. Es kündet von der zerstörerischen Kraft, die menschlichem Handeln innewohnt.
Das Publikum folgt dem Geschehen aufmerksam, der Schlussapplaus ist anhaltend, aber nicht enthusiastisch.
Ingo Starz (Athen)